Und ewig grunzt das Weib Whoo-oaa-arrghhh! In der Welt des Heavy Metal zählt Härte, aber Männer tragen lange Haare und Leggings. Und Frauen wie unsere Autorin schätzen ein ordentliches Moshpit. VON MARLEN HOBRACK |
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| | Tatiana Shmailyuk und ihre Kollegen von der ukrainischen Metalcoreband Jinjer © Napalm Records |
Es ist nicht leicht, jemandem, der noch nie ein Metalkonzert miterlebt hat, den Reiz eines Moshpits begreiflich zu machen: Schwitzende Langhaarige mit fragwürdigen Tattoos und ungewaschenen Kutten, die auf Kommando einen Kreis bilden, der rennend, schlagend und pogend zum Auge eines Sturms wird. Das Circle Pit als menschlicher Malstrom, in dem schon mal ein Nasen- oder Schienbein zu Bruch geht. Die Wall of Death, bei der Metaller auf Kommando aufeinander losstürmen, wie bei einer Schlachtenformation oder einem symbolischen Amoklauf.
Es ist unmöglich, die bizarre Freude über Hämatome und aufgeplatzte Lippen in Worte zu fassen, die man nach einem Metalkonzert wie Tapferkeitsmedaillen mit sich herumträgt. Oder wie es sich anfühlt, wenn der eigene Körper mit anderen Körpern kollidiert, als wäre er eine Billardkugel. Womöglich übersieht man leicht die Schönheit tätowierter, schwitzender Körper in Muskelshirts, die zu kreischenden, dröhnenden Gitarrensounds zu Berserkern werden.
Im Moshpit, das aus der Ferne wie ein gesetzloser Ort der Gewalt anmuten mag, herrschen klare Regeln: Niemand ist unnötigerweise aggressiv. Wenn jemand zu Boden geht, wird ihm aufgeholfen. Das Schwitzen, Stoßen, Rempeln, der Druck der nachrückenden Menge ermöglichen eine Körperlichkeit, die man sonst kaum irgendwo erleben kann – außer vielleicht im Kampfsport.
Die Welt des Metal ist durch und durch männlich geprägt. Was nicht heißen soll, dass es keine Frauen in der Metalszene gäbe. Aber anders als im Punk, wo weibliche Aufmüpfigkeit von Anfang an eine wichtige Rolle spielte, wirken die Frauen in all den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Metalszene, von Death-, Black-, Groove- und Thrash-Metal, eher zurückhaltend. Buchstäblich wie eine Randerscheinung.
Auf Metalkonzerten habe ich immer das Gefühl, der Versammlung einer Bruderschaft beizuwohnen. Etwa wenn ich beobachte, wie mein Mann und seine engsten Freunde freudestrahlend, ekstatisch und wie auf ein unsichtbares Kommando ins Moshpit stürmen. Oder wie sie Erinnerungen an gemeinsam durchlebte Festivals unter ziemlich unwürdigen sanitären Bedingungen, bei Unwetter oder 40 Grad im Schatten teilen. Sie wirken dann auf mich wie alte Männer, die über Kriegserfahrungen sprechen.
Als Mädchen trug ich am liebsten Jungenkleidung, wollte nur das tun, was mein Vater oder mein Bruder taten. Vielleicht übt die Metalbruderschaft auch deswegen einen ungeheuren Reiz auf mich aus. Mädchencliquen fand ich gruselig, und die Vorstellung, gemeinsam über Jungs zu quatschen, erschien mir geradezu absurd. Ich wollte nicht über Jungen reden, ich wollte einer von ihnen sein.
Nun bewohne ich nach wie vor denselben Geschlechtskörper wie damals, aber meine Einstellung zum Frausein hat sich gründlich gewandelt. Vielleicht liegt es auch an der Metalszene? In gewisser Weise trainierte sie mir etwas von der Härte und Zähigkeit an, die man überall dort benötigt, wo man als Frau mehrheitlich auf Männer trifft. Zumal ich etwas Wichtiges über Metaller, vielleicht über Männer im Allgemeinen lernte: Hinter der harten Schale verbirgt sich ein ziemlich weicher Kern. In dieser Binsenweisheit aus dem Reich der Poesiealbensprüche steckt eben doch ein Körnchen Wahrheit.
Das Bild von Männlichkeit im Metal ist extrem widersprüchlich: Einerseits tragen die Kerle Kutten, Nieten, Patronengurte und schwere Stiefel. Andererseits sind die langen Haare und Spandexhosen durchaus Zeichen für Androgynität und Gender-Bending.
Mit viel Druck ein- und ausatmen
In der Szene, die wie kaum eine andere naserümpfend über Balladen urteilt und gleichzeitig einige der schönsten Rockballaden überhaupt produziert hat, ist die Themenvielfalt auf den ersten Blick überschaubar: Teufel, Krieg, Massenvernichtung und Tod (je nach Spielart variiert das eine oder andere Thema). Für einen Manowar- oder Iron-Maiden-Song braucht man keinen besonders umfangreichen Vokabelbaukasten. Aber das ist natürlich nur Oberfläche. Schließlich müssen die Regeln des Genres bedient werden. Die zur Schau gestellte Härte ist eine Vorbedingung für die seelische Entblößung. Blickt man hinter die Fassade, so findet man eine Vielzahl von Texten, die persönliche Gewalterfahrungen, gesellschaftliche Ungerechtigkeit und rohe Emotionen entblößen. Der Mann erscheint mal roh und hart, mal gequält, verletzt, prekär in seiner Existenz oder unbändig stolz.
Apropos Doing Gender: Ausgerechnet in der Szene der harten Kerle sieht man neuerdings mehr und mehr Frauen auf der Bühne, gerade auch im Death Metal und Metalcore, die growlend Geschlechterklischees sprengen. Falls Sie nicht wissen, was Growling ist: Stellen Sie sich vor, Sie würden tief in ihr Zwerchfell einatmen und sanft summen. Nun ein bisschen die Kehle verengen und mit dem Mund ein O formen. Jetzt mit viel Druck ein- und ausatmen. Das gibt einen ziemlich verstörenden Sound. Voilà, Sie machen Death Metal. Na ja, fast. Stellen Sie sich nun vor, dieser verstörende Sound entkäme dem Mund einer schönen jungen Frau. Ewig lockt das Weib – mit Grunzen und Grölen.
Frontfrauen im Death Metal gab es auch früher. Allen voran Angela Gossow, die ehemalige Sängerin von Arch Enemy. Inzwischen aber sieht man, interessanterweise gerade in der osteuropäischen Szene, immer mehr Frontfrauen, die sehr feminine Looks mit einer männlichen Attitüde und grobem Gesang verbinden. Tatiana Shmailyuk von der ukrainischen Metalcoreband Jinjer beispielsweise. Schließt man die Augen und hört man letztere grunzen, glaubt man zunächst, einen wütenden Keiler zu hören. Wäre da nicht die Tatsache, dass Shmailyuk ganz unvermittelt in einen an Amy Winehouse erinnernden Soulgesang wechseln kann.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass all die grölenden, grunzenden Frauen zwar nicht wie zarte Elfen, sondern wie Ausgeburten der feuchten Fantasien männlicher Metalheads aussehen: lange farbenfrohe Haare, sexy Piercings und Tattoos, süße Stupsnäschen zu vollen Lippen. Wir haben es gewissermaßen mit dem Gegenteil des oben beschriebenen Effekts zu tun. Während die Kerle hart aussehen, aber gerade dadurch softe Seiten offenbaren können, borgen sich die Frontfrauen Elemente männlicher Geschlechterperformanz und kombinieren sie mit einem hyperweiblichen Look. Der Effekt ist erstaunlich. Es offenbart sich eine ganz neue Seite von Weiblichkeit, die hart und feminin zugleich ist. Wer hätte gedacht, dass all das in der vermeintlich hypermännlichen Metalwelt möglich ist? Whoo-oaa-arrghhh.
Marlen Hobrack studiert im Masterstudiengang Kultur- und Medienwissenschaften, nachdem sie zuvor einige Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet hat. Derzeit schreibt sie an einem Social-Media-Roman. Sie lebt mit ihrem Sohn in Dresden und ist Gastautorin bei "10 nach 8". |
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Frauen schreiben jetzt auch abends. Montags, mittwochs, freitags. Immer um 10 nach 8. Wir, die Redaktion von 10 nach 8, sind ein vielseitiges und wandelbares Autorinnen-Kollektiv. Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht.
Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen. |
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