Fünf vor 8:00: Wie lange halten sie es noch zusammen aus? - Die Morgenkolumne heute von Maria Exner

 
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FÜNF VOR 8:00
19.11.2018
 
 
 
   
 
Wie lange halten sie es noch zusammen aus?
 
Mehr aus Ehrgeiz denn aus Überzeugung wurde Alice Weidel zur Frontfrau der AfD. Der Spendenskandal stellt nun nicht nur ihre Verbindung zu anonymen Gönnern infrage.
VON MARIA EXNER
 
   
 
 
   
 
   

Alice Weidel ist übrigens eine Frau. Das war, seit sie im April 2017 Spitzenkandidatin einer Männerpartei wurde, immer wichtig. Jetzt, da die Fraktionschefin der AfD im Mittelpunkt des Skandals um illegale Parteispenden steht, könnte es entscheidend sein.
 
Weidel hat einen Fehler gemacht. Sie hat großzügige Spenden verheimlicht: 130.000 Euro aus der Schweiz und 150.000 Euro aus Belgien gingen anonym an Weidels Kreisverband am Bodensee. Die Annahme von Parteispenden aus dem EU-Ausland ist illegal. Weidel, durch ihre Schatzmeisterin über den Geldeingang informiert, reagierte jedoch nicht. Mit einem Teil des Geldes wurden Anwaltskosten für sie bezahlt. Erst nach Monaten retournierte das AfD-Büro die Zahlungen.
 
Das wäre Anlass genug für ihren Rücktritt. Aber wäre es auch der Grund? Es sollte der Öffentlichkeit zu denken geben, dass die Kritik, die Weidel von außen entgegenschlägt, begleitet wird von geradezu enthusiastischer Kritik von innen.
 
Alice Weidel ist nämlich mehr als nur Spendennehmerin: Sie ist eine Frau, sie ist lesbisch, sie ist hochgebildet, sie denkt libertär. Soll sie darum weg? Und wenn ja: Warum erst jetzt?
 
Der Lebenslauf der Unternehmensberaterin – promoviert in Wirtschaftswissenschaften und dabei unterstützt von der Konrad-Adenauer-Stiftung, liiert mit einer in Sri Lanka geborenen Schweizer Regisseurin, eine von zwei Müttern in einer Regenbogenfamilie mit zwei Söhnen, wohnhaft in der Schweiz – widerspricht in mehr als einem Punkt dem heutigen Menschen- und Gesellschaftsbild der AfD. Weidel ist zu sehr Kind des Establishment, zu wenig Mutter im konservativen Sinn, zu selbstverständlich Teil einer konservativen deutschen Wirtschaftselite.
 
Warum wurde Weidel trotzdem Spitzenkandidatin und nach der Bundestagswahl Fraktionsvorsitzende?
 
Weil Frau und Partei sich gegenseitig beflügelten.
 
Weidel wusste die AfD als Spielfeld ihrer politischen Ambitionen klug zu nutzen. In etwa so, wie der Erfolg vieler Start-up-Gründer auf Geschäftsideen beruht, die eben gerade in der Luft liegen. Das Unbehagen eines Teils der Deutschen angesichts der Ankunft vieler Tausend Geflüchteter im Sommer 2015 war eine Opportunität für die Rechtspopulisten in der AfD. Und die waren eine Opportunität für die Euroskeptikerin Alice Weidel.
 
Die AfD ist kein misogyner Machohaufen
 
Im Windschatten fremdenfeindlicher Ressentiments witterte Weidel politischen Erfolg, der allein mit den Positionen, die sie im Jahr 2013 zur AfD brachten, nie zu haben gewesen wäre. Ein politisches Programm, das aus Deregulierung, Ablehnung von Mindestlohn und Erbschaftsteuer, der Kündigung jeglicher Solidarität innerhalb Europas und einer Obsession um goldgedeckte Währungen besteht, hätte bei der letzten Bundestagswahl vielleicht Chancen auf 1,3 Prozent der Stimmen gehabt, sicher nicht auf 13.
 
Der AfD andererseits konnte wenig Besseres passieren, als Frauke Petry direkt durch eine andere Frau mit Wirtschaftskompetenz zu ersetzen. Weidel diente als blitzgescheiter Beweis dafür, dass die Partei kein misogyner Machohaufen ist, der eine rechtsnationale Revolution anzetteln will. Im Gegenzug bekam Weidel von der AfD ein Amt und eine Bühne, auf der sie sich präsentieren kann als kernige Managerin, die das politische System der "Altparteien" zerschlagen will.
 
In diesem Sinn war das Verhältnis zwischen Weidel und der AfD Ausdruck jenes Schwebezustands, in dem sich die Partei insgesamt zu halten versuchte: zwischen konservativ und reaktionär, zwischen wirtschaftsliberal und national-sozial.
 
Weidels Sturz soll eine neue Ära markieren
 
Gegründet wurde die AfD auf einer Kampfansage an den Euro und ein Europa, demgegenüber der deutsche Staat weitreichende Verpflichtungen hat. Seither verlor ihre Selbstbeschreibung als Stimme einer konservativen Mitte mit jedem neuen Mitglied von rechtsaußen an Glaubwürdigkeit. Die homosexuelle Unternehmensberaterin Weidel an der Spitze ist eine der letzten Brücken, die die heutige, stramm in Richtung Verfassungsfeindlichkeit marschierende AfD noch mit ihrem politischen Gründungsmoment verbindet.
 
Offenbar geht diese Zeit vorbei, sie soll durch den Sturz Weidels beendet werden. Immer bockiger reagierten Teile der Partei zuletzt auf ihren Führungsanspruch. Eine von Weidel angeregte interne Arbeitsgruppe, die durch die Kontrolle und gegebenenfalls den Ausschluss von Rechtsextremen eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz verhindern soll, wird vom völkischen "Flügel" um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke regelrecht befehdet. Dieser Teil der AfD will jetzt ganz bei sich sein, also sehr rechts und sehr sozial, jedenfalls für einen imaginierten deutschen Volkskern.

Der Spendenskandal könnte offenbaren, wie deutlich Weidels eigene politische Vorstellungen im Widerspruch zu diesem Wunsch stehen. Zumindest wenn das Geld von Unterstützern eher libertärer Ideen – radikaler Rückbau des Gemeinwesens, ungehemmtes Wirken der Marktkräfte – käme. Zu Weidels politischem Unternehmertum gehörte zuletzt auch fremdenfeindliches Vokabular, im Bundestag sprach sie im Mai von "alimentierten Messermännern" und "Kopftuchmädchen". Wie lange werden diese Bekenntnisse zum neuen rechtsnationalen AfD-Kern sie noch schützen können?
 
In jeder anderen Partei müsste Weidel wegen der Spendenaffäre auf jeden Fall zurücktreten. Doch wo man das Holocaust-Mahnmal als "Schande" und das Grauen der Hitlerzeit als "Vogelschiss" bezeichnen darf, gelten andere Regeln. Wenn Weidel zum Rücktritt gezwungen wird, dann nicht wegen Spenden aus der Schweiz, sondern wegen ihres kosmopolitischen Lebens in der Schweiz. Wegen ihrer sexuellen Orientierung. Wegen ihres Geschlechts. Es wäre kein Sieg des politischen Anstands, sondern ein Sieg rechter Männer.
 
Muss man sie deswegen verteidigen? Nein. Alice Weidel ist eine Politikerin, die ihre eigene Liberalität an eine rechte Partei gewissermaßen veruntreut hat. Aber das Problem ist und bleibt: diese Partei.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

Süddeutsche Zeitung Fraktionschefin von Gaulands Gnaden (17.11.2018)
Deutschlandfunk „Die AfD ist eine extrem unkalkulierbare Partei“ (16.11.2018)
Tagesspiegel Was bedeutet die AfD-Spendenaffäre für Alice Weidel? (15.11.2018)

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.