Die asiatisch-pazifischen Wirtschaftsbündnisse Asean und Apec haben beide in den letzten Tagen ihre Gipfeltreffen abgehalten, Asean in Singapur, Apec in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua-Guinea (dessen Nordteil, was längst vergessen ist, einmal eine deutsche Kolonie war). Beide Treffen waren überschattet von der amerikanisch-chinesischen Rivalität im Stillen Ozean. Die Auseinandersetzung zwischen US-Vizepräsident Mike Pence und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping endete in einem Eklat: Zum ersten Mal in fast 30 Jahren konnte kein gemeinsames Abschlusskommuniqué verabschiedet werden. Die heftige Konfrontation der beiden verhinderte eine Einigung.
Für den G20-Gipfel, der in zehn Tagen in Buenos Aires zusammentritt, ist das ein schlechtes Omen. Die Hoffnung schwindet, dass Donald Trump und Xi Jinping sich am Rande des Treffens verständigen können, eine Eskalation des Handelsstreits zu verhindern, der seit dem Frühjahr infolge der amerikanischen Strafzölle immer unabwendbarer erschien. "Welche Richtung sollen wir einschlagen", hatte Xi in Port Moresby gefragt. "Kooperation oder Konfrontation? Offenheit oder Abschottung?" Washingtons Antwort steht weiterhin aus.
Gibt es eine Chance auf Waffenstillstand?
Trumps Wirtschaftsberater liegen sich öffentlich in den Haaren: Soll Washington den Handelskrieg mit China weiter verschärfen oder doch lieber einen Handelsfrieden schließen, mindestens einen Waffenstillstand vereinbaren, der den beiden Seiten Zeit gibt, ohne Termindruck eine Übereinkunft zu finden?
Peter Navarro, der Handelsdirektor im Weißen Haus, und Robert Lighthizer, Trumps Handelsbeauftragter im Kabinett, treten für einen harten Kurs ein; Navarro erklärte letzte Woche, China spiele nicht fair, es wolle die Amerikaner nur an den Verhandlungstisch bringen, um sein internationales Ansehen aufzumöbeln; zugleich kritisierte er die Unternehmer und die Wall-Street-Banker, die Trump bedrängen, rasch einen Deal zu machen. Daraufhin wurde er öffentlich von Larry Kudlow, dem Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates, als "Falke" kritisiert: "Peter hat nur für sich geredet, er spricht weder für den Präsidenten noch für die Regierung", die auf allen Ebenen mit den Chinesen verhandle. Auch Finanzminister Steven Mnuchin rät Trump, auf weitere Zollerhöhungen zu verzichten und lieber mit Peking handelseinig zu werden.
Es ist sehr die Frage, ob dafür vor Buenos Aires noch genug Zeit ist. Überdies steht dahin, was Donald Trump wirklich will. Geht es ihm nur um ein Abkommen, das die vielen Beeinträchtigungen und Benachteiligungen beseitigt, die ja auch die Europäer mit zunehmendem Unmut beklagen? Oder hat er sich zum Ziel gesetzt, Chinas Aufstieg zur technologischen Führungsmacht nicht nur zu bremsen, sondern komplett zu verhindern? In seinen morgendlichen Tweets hat er beides erkennen lassen: den Willen, China zu einer Verringerung des amerikanischen Handelsdefizits und zu weiterer Marktöffnung zu bewegen, aber weit darüber hinaus auch die Absicht, Xi Jinping ganz von seinen technologischen Aufstiegszielen abzubringen und ihn überhaupt zum Verzicht auf seine Vormachtträume im Indopazifik zu zwingen.
Will Donald Trump den Druck erhöhen?
Mit einer Folge von Zollerhöhungen hat Trump die Chinesen 2018 unter Druck gesetzt. Im März verhängte er Strafzölle von 25 beziehungsweise 10 Prozent auf Stahl und Aluminium; im April wurde eine 25-Prozent-Abgabe auf 1.300 chinesische Produkte im Wert von 50 Milliarden Dollar angekündigt, die im Juli in Kraft trat; im September schlug er 10 Prozent auf Einfuhrgüter im Gegenwert von 200 Milliarden Dollar auf und drohte, falls China nicht einlenke, den Zollsatz am 1. Januar 2019 auf 25 Prozent zu erhöhen. Damit sind jetzt Waren im Wert von 250 Milliarden Dollar mit unterschiedlich hohen Strafzöllen belegt. Der US-Präsident drohte indes, er könne sich Zollerhöhungen auch auf Importgüter im Wert von 500 Milliarden vorstellen – praktisch also auf die gesamte Einfuhr aus China.
Bei Donald Trump kann man nie wissen, was er wirklich denkt, ernst meint oder tatsächlich vorhat. Konfrontation sei manchmal die einzige Option, ist sein Art-of-the-deal-Grundsatz. Man verlangt Unmögliches, Unzumutbares, Unrealistisches, um dann, wenn alles auf Spitz und Knopf steht, aufs Machbare zurückzufallen. Will er also nur den Verhandlungsdruck erhöhen – oder will er seinen "Freund" Xi Jinping in die Knie zwingen? Solange er völlig fixiert bleibt auf das Handelsdefizit, ist das Schlimmste zu befürchten – das Minus ist im laufenden Jahr weiter gestiegen, bis Ende September auf 305,4 Milliarden Dollar gegenüber 276,6 Milliarden letztes Jahr. Wenn er jedoch die Nachteile eines totalen Handelskrieges gerade für seine Wählerschaft in den Blick nimmt, könnte er auch nachgeben.
Es bleibt auf Staatskunst zu hoffen
Wird es den Pragmatikern in seinem Wirtschaftsteam gelingen, bis Buenos Aires ein Verhandlungsergebnis vorzulegen, in das der Präsident einwilligen kann? Viele bezweifeln es. Allenfalls, glauben Fachleute, wird bei den Gesprächen am Rande des G20-Treffens in Argentinien eine lose Abmachung herauskommen wie jene, auf die der US-Präsident Trump und der EU-Kommissionspräsident Juncker sich Ende Juli einigten. Sie lief auf einen Zoll-Waffenstillstand hinaus, wendete eine weitere Eskalation ab und eröffnete den Kontrahenten Spielraum für detaillierte Verhandlungen. Käme es in Buenos Aires zu einer ähnlichen Übereinkunft, könnte die Welt mindestens zeitweilig aufatmen.
Die historische Konfrontation zwischen dem Aufsteiger China und der bisherigen Weltvormacht Amerika würde damit freilich nicht verschwinden. Ihre nationalen Interessen sind gegenläufig. Ihre Sicherheitskonzepte widersprechen einander nicht nur im Südchinesischen Meer. Wie Henry Paulsen, US-Finanzminister während der Weltfinanzkrise 2008 und Verfechter einer möglichst engen chinesisch-amerikanischen Zusammenarbeit, Anfang dieses Monats in einer glänzend räsonierten Rede in Singapur in allem Freimut erklärte: "Die zugrunde liegenden Spannungen werden fortdauern. (…) Was wir derzeit sehen, wird die amerikanische Politik noch einige Zeit bestimmen. (…) Die negative Stimmung gegenüber China verbindet Politiker auf der Rechten wie auf der Linken, Demokraten wie Republikaner, die sich sonst über nichts einig sind. China wird zunehmend nicht bloß als strategische Herausforderung der USA gesehen, sondern als ein Land, dessen Aufstieg auf Kosten Amerikas gegangen ist."
Doch Paulson argumentiert auch vehement gegen eine Isolierung Chinas durch einen "wirtschaftlichen Eisernen Vorhang". Er hofft, dass statesmanship – Staatskunst – sich durchsetzt. "Gegenwärtig sind wir in der Gefahr", moniert er, "einem langen Winter entgegenzugehen, ehe wir einen halbwegs erträglichen Frühling erreichen. Die Frage ist: Wie lange wird dieser Winter dauern, und wie viel unnötige Probleme, wie viel Pein müssen wir während des Weges auf uns nehmen?"
Die Antwort liegt bei Donald Trump und Xi Jinping. Ob sie sie in Buenos Aires schon geben können?