Kiyaks Deutschstunde: Der nächste Kanzler muss ein Fliesenleger sein

 
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Kiyaks Deutschstunde
24.11.2018
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Der nächste Kanzler muss ein Fliesenleger sein
 
Keine ganz uninteressante Debatte: Wenn Friedrich Merz zu viel Geld hat, um ein guter Politiker zu sein, ist klar, wo die SPD ihren Kanzlerkandidaten suchen muss.
VON MELY KIYAK


Große Deutschlandfrage: Könnte ein Millionär der nächste deutsche Kanzler werden? Jetzt nicht falsch verstehen, können nicht im Sinne von der Aufgabe gewachsen sein, sondern können im Sinne von dürfen. Mit anderen Worten: Darf ein deutscher Kanzler reich sein? Was natürlich eine seltsame Frage ist, weil man doch spätestens, wenn man Kanzler ist, zumindest nicht mehr arm ist. Die Frage ist deshalb aktuell, weil Friedrich Merz sich für den CDU-Vorsitz bewirbt. Seine Chancen stehen nicht ganz schlecht, obwohl er sehr vermögend ist. Das hat man in Deutschland nicht so gern. Dass einer die Volkspartei retten will, ohne jemals einen Dispokredit in Anspruch genommen zu haben.
 
Derzeit geht man davon aus, dass der nächste Kanzler der CDU angehört. Andernfalls müsste die große Deutschlandfrage lauten: Wäre es denkbar, dass die nächste deutsche Kanzlerin in eine Parteispendenaffäre verwickelt ist; oder: Könnte man sich eine Hundekrawatte auf einem G7-Treffen vorstellen? Oder: Sollten die Grünen die Regierung anführen, warum wird dann automatisch Robert Habeck als Kanzler gehandelt und nicht Annalena Baerbock? Fragen über Fragen.
 
Friedrich Merz jedenfalls ist reich und will politische Macht. Warum wird dieser Zusammenhang eigentlich vor allem in den Medien so stark betont? Wie viele Intendanten, Verleger oder Chefredakteure, in deren Häusern gerade eifrig der Zusammenhang von politischem Sachverstand und Vermögensverhältnissen durchdiskutiert wird, stammen denn selbst aus prekären Verhältnissen? Es gibt in diesem Land Menschen, die ohne ein parlamentarisches Mandat über politische oder gesellschaftliche Macht verfügen. Die meisten unter ihnen kennen die Lebensverhältnisse von Mitbürgern aus unteren und mittleren Einkommensschichten nur aus Erzählungen, nicht aber aus Erfahrung. In diesem Licht betrachtet wirkt Friedrich Merz als Sohn einer angesehenen Juristenfamilie schon sehr viel weniger als Fremdkörper, als der er im Moment einzig aufgrund seines Kontostandes betrachtet wird.
 
Kann jemand mit viel Geld ein guter politischer Führer sein? Diese Frage ist allein deshalb seltsam, weil bei allen Fähigkeiten, die in der Öffentlichkeit als Qualifikation fürs Kanzlersein in Betracht gezogen werden, eine fehlt: so etwas wie Intelligenz. Oder eine Art Intellektualität, die es einem ermöglicht, Verhältnisse auf der Grundlage von Kenntnis zu verstehen, ohne je davon betroffen gewesen zu sein. Immer geht es darum, ob jemand Persönlichkeit hat. Dabei hat jeder Mensch auf der Welt eine Persönlichkeit. Meistens handelt es sich um eine komplizierte Persönlichkeit. Welche Art von Persönlichkeit benötigt man aber, um in der Politik erfolgreich zu werden? Genügt es, arm zu sein? Ist man, aus der Mittelschicht stammend, prädestiniert dafür, besonders gute Sozialpolitik zu betreiben? Seit wann erwartet man von der CDU eigentlich eine großzügige Sozialpolitik für untere Einkommensschichten?
 
Es gibt politische Führer, die haben es im Ausland aufgrund ihrer diplomatischen Qualitäten leichter als im Inland. Und dann gibt es politische Führer, die international beliebt sind, weil sie einen freundlichen Charakter haben, politisch aber haben sie ihr Land keinen Deut weiter gebracht. Und dann gibt es politische Führer, deren gesamtes Ausmaß ihrer Persönlichkeit sich zeigt, nachdem sie das politische Parkett verlassen haben.
 
Die Zahl der Männer, die ihr in der Politik erlangtes Renommee nach dem Rücktritt von ihren Ämtern nicht dafür nutzen, NGO zu unterstützen, sondern die freie Wirtschaft, ist groß. Bei dieser Form der Lobbyarbeit geht es im Wesentlichen darum, bequem zu reisen, Geld anzuhäufen und bedeutend zu sein. Im Fachjargon heißt es natürlich nicht Lobbyismus, sondern Kontakte verwalten oder Brücken bauen. Gerhard Schröder tut es für Gazprom, Roland Koch für Bilfinger, Ole von Beust und Rezzo Schlauch tun es für Ispat, Dirk Niebel für Rheinmetall und Friedrich Merz für alles Mögliche. Sie landeten nicht bei Amnesty International, Unicef oder Ärzte ohne Grenzen. Der Grund dafür ist wohl kaum Geldnot, sondern ein soziokulturell bedingter Geltungsdrang. Manche Menschen scheinen diesen Drang stärker zu verspüren als andere, und es mutet fast wie ein Zufall an, dass einer in der Politik landet, der andere in der Wirtschaft, und ein Dritter wird Funktionär im Sport.
 
Wenn einer sich von unten hocharbeitet, ist es auch nicht recht
 
Apropos Geltungsdrang, um mal etwas völlig anderes unterzubringen: Ist es beispielsweise nicht strunzpeinlich, wenn ein ehemaliger Weltklassefußballspieler wie Bastian Schweinsteiger Werbung für die Deutsche Automatenwirtschaft macht? Für diese schlecht beleuchtete Branche, die Geld damit verdient, wenn spielsüchtige Männer Haus und Hof verzocken? Ist es nicht zum Sich-Kaputtschämen, dem in der ganzen Welt respektierten Bundestrainer Jogi Löw dabei zuzusehen, wie er für Geld "mit Nivea inn-dusch-bo-ddy-miiilk" seine "neue Beschtzeit" verkündet? Auch das ist etwas, das Menschen antreibt. Nicht immer nur stiller Experte auf seinem Gebiet zu sein, sondern mehrmehrmehr von allem haben zu wollen. Mehr Geld, mehr Plakate, mehr Aufsichtsratsposten, mehr Sichtbarkeit. Bloß kein Privatleben. Bloß kein Rückzug.
 
So gesehen ist es seltsam, dass ein Mann wie Friedrich Merz "zurück in die Politik" geht, weil er diesem Land, wie er bei Anne Will sagte, etwas zurückgeben wolle. Wenn dem so wäre, müsste er nicht ehrenamtlich arbeiten und dieses Etwas seiner Uni zurückgeben oder den Banken, denn von denen bekam er ja nachweislich sehr viel?
 
Kann man sich Angela Merkel nach ihrer Kanzlerschaft eigentlich als Rüstungslobbyistin vorstellen? Oder als Werbemaskottchen für eine Flasche Duschgel?
 
Kann eigentlich ein Fliesenleger deutscher Kanzler werden? Ein Handwerker, der in seinem ganzen Leben allenfalls mit vierstelligen Summen hantierte und als Gipfel aller Dekadenz von einem ausgebauten Dachstuhl mit elektrischen Jalousien träumt? Und wieder fällt einem etwas ein: wie einmal ein namhafter deutscher Journalist und Mitzeitungseigentümer aus einer Akademikerfamilie dem damaligen SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz die Fähigkeit zur Kanzlerschaft absprach. Einzig weil Schulz kein Abitur hat. Das ist in Deutschland nämlich die andere Diskussion. Wenn einer sich hocharbeitet, ist es auch nicht recht. Dann bekommen es die Aufsteiger mit dem saturierten Snobismus der Medienelite zu tun. Das wäre ja, als würde man sich von der Putzfrau dirigieren lassen.

Putzfrau ist ein guter Schluss. Das Schöne an Deutschlands Demokratie ist, dass der unehelich gezeugte Sohn einer alleinerziehenden Mutter Bundeskanzler wurde. Sein Name ist Willy Brandt. Sein wichtigstes Vermächtnis ist zugleich die höchste Errungenschaft der Bundesrepublik bis heute. Dass westdeutsche Arbeiterkinder Universitäten besuchen konnten, haben alle Willy zu verdanken. Auch deshalb konnte später ein Gerhard Schröder, Sohn einer Putzfrau, studieren und Kanzler werden.
 
Wenn die SPD jetzt klug ist, sucht sie in ihren Reihen nach einem Handwerker und lässt ihn gegen Friedrich Merz antreten. Angelehnt an Carstens Maschmeyers Wahlkampfhilfe 1998 für Gerhard Schröder ("Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein") sollten die Sozialdemokraten zur nächsten Bundestagswahl das ganze Land plakatieren: "Der nächste Bundeskanzler muss ein Fliesenleger sein." Wohingegen die CDU kontern könnte: "Der nächste Bundeskanzler darf Millionär sein."



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