Helmholtz muss zwangssparen | Bolsonaros Mission | Auslandsvisa | 3½ Fragen an Martin Grund

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
vergangene Woche fand in Berlin die Falling Walls-Konferenz statt – wir sind noch ganz erleuchtet von den inspirierenden Vorträgen und Gesprächen. Da fühlt sich der Wochenstart etwas verkatert an. Auf dem Programm daher: Ein bisschen Zerstreuung und eine wichtige Zahl. Das Lob von Doktorand Martin Grund (MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften) im heutigen Fragebogen ist übrigens nicht gekauft. Danke für die Blumen!
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Helmholtz muss zwangssparen
Vergangenes Jahr kursierte plötzlich die Metapher von der „Bugwelle“: eine solche nämlich, kritisierte der Bundesrechnungshof, schöbe die außeruniversitäre Forschung vor sich her, und zwar in Form nicht verausgabter Mittel von einer Milliarde Euro. Martin Stratmann rechtfertigte das damals für die Max Planck-Gesellschaft (Tagesspiegel): es brauche solche „überjährigen Dispositionsmöglichkeiten“, um „in größere Projekte investieren zu können“. Jetzt landet das Thema wieder auf der Tagesordnung, und zwar vor allem bei Otmar Wiestler. Der Helmholtz-Gemeinschaft werden, das beschloss jetzt der Bundestag, 25 Prozent der Betriebsmittel für ihre Forschungszentren gesperrt. Bis zu 300 Millionen Euro aus dem Bundestopf könnten fehlen, und das könnte zum Beispiel das MDC in Berlin hart treffen. Der Tagesspiegel berichtet ausführlich – demzufolge sei die Helmholtz-Gemeinschaft von dem Haushaltsbeschluss „überrascht“ worden, wie ein Sprecher sagte. 
  
 
 
Brasilien: Bolsonaros Wissenschaftspolitik
Der neu gewählte Präsident Jair Bolsonaro bedeutet nichts Gutes für Brasiliens Wissenschaft. Das Land gilt als Motor für die Forschung des ganzen Kontinents, muss aber wohl mit finanziellen Einschränkungen rechnen. Bolsonaro will die Ministerien für Hochschulbildung und für Forschung und Entwicklung zusammenlegen. Dazu kommt eine scharfe ideologische Haltung, mit der die Forschungs- und Meinungsfreiheit beschnitten wird. Die Bildungswissenschaftlerin Marion Lloyd von der Universität in Mexiko schreibt bei University World News: „The campaign against freedom of speech is part of a broader ideological battle for the hearts and minds of Brazilians. Under Temer, the government took initial steps to reduce the influence of the social sciences and philosophy in the public school system in a bid to root out so-called Marxist teachings. (...) At stake is not only Brazil’s progress in expanding access to universities for the least fortunate. If the current witch-hunt is any indication, the effects of Bolsonaro’s presidency on higher education as a whole will be devastating.“
  
 
 
Academia-Zerstreuung am Morgen
Montag Morgen. Manchmal braucht man erstmal ein bisschen produktive Zerstreuung, bevor es ans Eingemachte für die neue Woche geht. Hier unser aktueller Prokrastinationstipp für hartgesottene Mitglieder der Scientific Community, die jeden Winkel von Kooperationsverbot und Bildungsförderalismus zu kennen meinen: dieses Schulportal-Quiz dürfte ein Leichtes für Sie sein. Das Deutsche Schulportal (eine Initiative, an der die ZEIT Verlagsgruppe beteiligt ist) sei übrigens all jenen ans Herz gelegt, die Schulen in Theorie und Praxis besser machen wollen.
  
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
 
   
22.231
Wissenschafts- und Studierendenvisa wurden seit 2015 abgelehnt.

 Vergangene Woche nannten wir hier an dieser Stelle die Zahl „5114“ – ein aufmerksamer Leser wies uns darauf hin, dass die Zahl viel höher sei. Er schreibt uns: „Als Studiengangskoordinator habe ich ständig mit Botschaften/Konsulaten weltweit zu tun, und ich kann die langen Bearbeitungszeiten nur bestätigen. Es gibt dort wahrscheinlich einfach zu wenige Mitarbeiter, denn in jedem einzelnen Fall hatte ich bisher das Gefühl, dass die Verantwortlichen dort tun, was Sie nur können. Aber auch die Universitäten sind nicht ausreichend gewappnet: Wir haben einfach zu wenige Personen, die den Visum-Prozess sachkundig und durchgängigfür die immer größere Zahl ausländischer Studierender und Wissenschaftler unterstützen können.“
   
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
3½  Fragen an…
 
 
   
 
   
Martin Grund
Experimentalpsychologe am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften; N² Beirat 

Was haben Sie zuletzt von jemand anderem gelernt?
Dass wir mehr gut recherchierten Journalismus in der Wissenschaftspolitik brauchen. Wiarda und der CHANCEN Brief leisten hier gute Arbeit. Aber andere Perspektiven wären auch hilfreich. Alle wissenschaftspolitischen Akteure sind hier gefragt, auf Twitter und Blogs (z.B. http://elephantinthelab.org) ihr Wissen zu teilen und sich zu vernetzen. Das könnte ganz neue Dynamiken freisetzen.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Die Debatte zum Machtmissbrauch in der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zeigt, dass wir ein Demokratiedefizit in der Wissenschaft haben. Doktorand_innen sind in den Gremien nicht vertreten. Die MPG ist kein Einzelfall. Unser Präsident könnte aber ein Zeichen setzen und Gremien mit allen Statusgruppen einführen. Wie das aktuelle PhDnet Positionspapier zu Machtmissbrauch zeigt, haben junge Wissenschaftler_innen Ideen für Reformen. Sie sollten auch gestalten und entscheiden dürfen. Vielleicht ziehen Helmholtz und Leibniz dann nach?
 
Lektüre muss sein. Welche?
Aufenthaltsgesetz. Dort wird nämlich deutlich, dass wir noch fern von einer Willkommenskultur für internationale Wissenschaftler_innen sind. Trotz Vollzeitarbeitsvertrag werden an nicht-EU Doktorand_innen häufig nur Studiumsvisa vergeben. Dadurch erhalten sie unter anderem kein Eltern- und Kindergeld und der Zugang zu Arbeitslosengeld ist erschwert. Das Gesetz müssen wir im Bund anpacken und lokal sollten Spielräume für Visa mit sozialer Absicherung genutzt werden. Außerdem: Die Broschüre „Haltung zeigen! Gesprächsstrategien gegen Rechts” der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sich schon in einigen Situationen als sehr hilfreich erwiesen.
 
Und sonst so?
Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollten nicht nur Labor für neue Impfstoffe sein, sondern auch Labor für den Staat der Zukunft. Wir sollten experimentierfreudiger sein, wie wir unsere Hochschulen organisieren und Lehre gestalten. Nur gemeinsam sind wir stark. Diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt kontinuierlich zu organisieren, scheint mir die große Herausforderung unserer Zeit. Wer Lust hat, die Zukunft der Wissenschaft sozialdemokratisch zu gestalten, ist herzlich eingeladen, sich in unserem Netzwerk Wissenschaftspolitik in der SPD einzubringen – bundesweit, offen und digital: http://spdwisspol.de
   
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
„Wer, wenn nicht wir?“ Wie drei ostdeutsche Pfarrerssöhne in Spitzenpositionen im Vereinten Deutschland aufstiegen: Hier sprechen die Brüder Dorgerloh über den Mut des 9. November 1989, deutsche Identitäten sowie Bildung in Ost und West
 
„Erschreckend und bedauerlich“ 
Vor zwei Wochen berichtete Johanna Schoener über den Dokumentarfilm „Elternschule“. Das schreiben ZEIT-Leser zu der erhitzten Erziehungsdebatte Misshandelt? Nun befassen sich sogar Staatsanwälte mit dem Film „Elternschule“ Reif für die Insel Vier Eltern über die Gründe, warum sie ihre Kinder auf eine Privatschule schicken

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
c.t.
 
 
   
 
 
Beim Abschlussdinner der Falling Walls-Konferenz am vergangenen Freitag Abend wurde ausschließlich vegetarisches Essen gereicht. Ziegenkäse-Crème brûlée, lilafarbene Kartoffeln, elegant halbierte Möhren. Manche Gäste waren erfreut. Andere brummten: "Ich glaube, ich muss gleich noch eine Currywurst essen gehen."
 
 
 
 
 
   
Ist es wirklich schon Mitte November? 

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an – unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
   
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