»Ohne meine Kamera hätte ich die Zeit auf der Straße nicht überlebt«Bilder und Gedichte, die Mut machen: Mit dem
StrassenBUCH teilen zwei ehemals Obdachlose, eine Fotografin und ein Poet, ihre Perspektiven vom Leben auf der Straße. Sie hat sechs, er zehn Jahre ohne Dach über dem Kopf hinter sich. Nun bringen die Vereine »Straßenblues« und »MenscHHamburg« die gesammelten Werke als Buch heraus. Im Interview erzählt Fotografin
Rosi, wie sich ihr Blick auf die Welt durch die Kamera verändert hat.
Elbvertiefung: Rosi, Sie sagen, die Kamera war überlebenswichtig für Sie – warum?Rosi: Bei meinen Streifzügen durch die Stadt hab ich immer wieder Dinge entdeckt, die mich aufgebaut haben, und einen Blick für das Schöne um mich herum entwickelt. Es war auch für mich eine Aufwertung, weil ich später anderen etwas zeigen konnte, das von mir kommt – meine Fotos.
EV: Wie sah Ihr Alltag auf der Straße aus?Rosi: Übernachtet hab ich meistens in Notunterkünften, aber das war schwer auszuhalten, da wollte ich immer so schnell wie möglich wieder raus. Also bin ich herumgestreunt, hab mir immer wieder Ecken gesucht, wo ich für mich alleine sein konnte. Ich wollte keinen Kontakt zu anderen Menschen, weil niemand merken sollte, dass ich obdachlos bin. Oft hatte ich das Gefühl, nicht mehr zu können und auch gar nicht mehr zu wollen. Ich hab mich oft gefragt: Was willst du hier noch? Du bist hier doch gar nicht mehr erwünscht.
EV: Wie kamen Sie zum Fotografieren?Rosi: In Frankfurt habe ich eine Therapie gemacht, da gab mir ein junger Therapeut eine Kamera und sagte: Geh mal damit los! Und weil ich plötzlich so was Wertvolles in der Hand hatte, musste ich damit auch etwas anfangen.
EV: Was für eine Kamera war das denn?Rosi: Eine analoge Canon, digitale Kameras gab es noch gar nicht. Durchs Ausprobieren habe ich gelernt, wie ich damit umgehe und mir später dann eine eigene besorgt. Ganz günstig, übers Internet. Die musste ich nachts natürlich immer verstecken. Tagsüber hatte ich sie ja immer um den Hals hängen.
EV: Wurden Sie mit der Kamera anders angesehen?Rosi: Wenn ich fotografiere, bin ich eine von vielen. Es laufen ja viele Leute mit einer Kamera rum. Ich bin dann einfach eine Frau, die interessiert durch die Gegend guckt. Manchmal werde ich auch angequatscht und habe so etwas, worüber ich mich mit anderen austauschen kann. Und ich werde nicht nur als jemand gesehen, der kein Dach über dem Kopf hat.
EV: Am 6. Dezember wird das Buch mit Ihren Bildern in der St. Pauli Kirche vorgestellt – was bedeutet Ihnen das?Rosi: Es ist mir wichtig, den Mund aufzumachen – nicht für mich, ich habe zum Glück seit 2012 eine Wohnung. Aber für die, die noch draußen sind. Es sind schon wieder Menschen in Hamburg erfroren, das muss nicht sein. Mit dem Buch will ich auf das Problem aufmerksam machen. Mal sehen, wie meine Bilder mit den Gedichten von Alex, der auch auf der Straße gelebt hat, zusammenpassen. Noch habe ich selbst nicht alles gesehen. Aufgeregt bin ich aber nicht. Der Kopf bleibt dran.
Weitere Infos zum Buch gibt es hier.
Kinderbischöfinnen setzen sich für Vielfalt ein
Ein roter Mantel um die Schultern, eine Mitra mit Kreuz auf dem Kopf, ein Bischofsstab in der Hand: Nein, die Rede ist nicht vom Nikolaus, sondern von den
drei Kinderbischöfinnen Emma, Julia und Mathilde von der Wichern-Schule. Am 6. Dezember werden sie in der Kirche St. Nikolai ins Amt eingeführt (wo wir dann doch wieder beim Nikolaus wären). In dem Gottesdienst halten die drei auch ihre
erste Predigt über das diesjährige
Motto »Für Vielfalt – gegen Ausgrenzung«. »In der Predigt geht es um
Mobbing und was dazu führen kann, dass Mitschüler ausgegrenzt werden, zum Beispiel wenn jemand eine andere Sprache spricht oder eine Brille trägt«, erzählte uns
Julia, zehn Jahre alt und aus Hamm. Für ihre sechswöchige Amtszeit haben sich die drei jungen Bischöfinnen etwa einen
Besuch in einem Flüchtlingsheim vorgenommen, wo sie Schoko-Nikoläuse und andere Süßigkeiten vorbeibringen. Wie Vielfalt aussehen kann, haben die Mädchen mit ihren Klassen auch im Unterricht besprochen. Die wichtigsten Botschaften aus dem Projekt wurden auf Postkarten gedruckt, die die Kinderbischöfinnen in verschiedenen Stadtvierteln verteilen. Hinter der Idee mit den Kinderbischöfen steckt übrigens ein
mittelalterlicher Brauch, der früher in ganz Europa verbreitet war und 1994 an der evangelischen Wichern-Schule neu belebt wurde. Jedes Jahr im Herbst können sich die Fünftklässler für das Amt bewerben. Ein Kinderbischof-Team aus Lehrern und der Schulpastorin trifft die Kandidaten zum Gespräch und wählt aus.
»Ich hab mich beworben, weil ich das Motto gut finde. Keiner soll ausgegrenzt werden, jeder ist anders normal!«, sagt Kinderbischöfin Julia.
Der Gottesdienst mit der Einführung der Kinderbischöfinnen findet am 6. Dezember um 16 Uhr in der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern statt.