Heidelberg | München | The Death of an Adjunct | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Das Exzellenz-Argument

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
im Süden der Republik gibt es jedenfalls kein Sommerloch: München und Heidelberg sind in Aufruhr (Das ist wichtig). Und eigentlich ist auch in Hamburg und Kiel einiges los, wo die Uni-Präsidenten nach dem ExStra-Erfolg bzw. -Misserfolg mit ihren Wissenschaftsministerinnen auseinandersetzen, wie Jan-Martin Wiarda im Standpunkt analysiert. Und das heutige c.t. gibt, ebenso wie unsere Longread-Empfehlung aus dem Atlantic, Anlass zum Nachdenken über den Tenure Track.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Heidelberg: Konsequenzen aus dem Bluttest-Skandal
Was im Februar mit einer sensationsheischenden Meldung in der BILD begann – eine Krebsdiagnose per Bluttest wurde verkündet, eine „Weltsensation“ – hat sich längst zu einem Skandal ausgewachsen. Jetzt geht es ans Eingemachte für alle, die an der Heidelberger Universitätsklinik Verantwortung tragen: Nach dem Dekan Andreas Draguhn sind nun auch die Vorstandsvorsitzende, Annette Grüters-Kieslich, und die Kaufmännische Direktorin, Irmtraud Gürkan, zurückgetreten. (SWR; Mannheimer Morgen; FAZ; Wiarda-Blog) Ob das reicht für einen Neuanfang? Denn im Zentrum der Affäre steht weiterhin Christoph Sohn, dem der Aufsichtsrat der Uniklinik denn auch die „Hauptverantwortung“ zuschreibt. Sohn leitet die Gynäkologische Klinik und hatte der Öffentlichkeit den Bluttest verfrüht als marktreifes Instrument zur Brustkrebsfrüherkennung präsentiert. Das Baden-Württembergische Wissenschaftsministerium prüft derzeit die Vorgänge und weitere personelle Konsequenzen; aufgrund seines beamtenrechtlichen Status ist eine Entlassung Sohns nicht ohne weiteres möglich.
  
 
 
München: Entlassener Klinikdirektor
Das Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie steht seit längerem in der Kritik, genauer: dessen Direktor Martin Keck. 2016 nahm die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrugs Ermittlungen auf. Jetzt wurde Keck, der 2014 aus der Schweiz an das Institut berufen wurde und zugleich Chefarzt der zugehörigen Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie ist, fristlos gekündigt. Ob die Ermittlungen der Kündigungsgrund sind, ist bislang offen. Gegenüber dem Tagesspiegel kommentierte die MPG: „Bei der Staatsanwaltschaft München I ist seit geraumer Zeit ein Ermittlungsverfahren anhängig, zu dem wir die nun ergriffenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen zur Kenntnis gebracht haben.“ (SZ; RiffReporter
  
 
 
The Death of an Adjunct
Vor vierzig Jahren waren 80 Prozent der Fakultätsmitglieder an amerikanischen Universitäten entfristet oder auf einem Tenure Track. Heute sind drei Viertel aller Lehrenden „nontenured“, also befristet angestellt. Eine bedrückende Geschichte hinter diesen Zahlen finden Sie in unserer Sommer-Longread-Empfehlung der Woche aus dem Atlantic: Dort schreibt Adam Harris in „The Death of an Adjunct“ über Thea Hunter – als „adjunct Professor“ (was in Deutschland den Lehrbeauftragten entspricht) „a member of academia’s underclass“.
  
   
   
   
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Deutscher Studienpreis
Der Studienpreis der Körber-Stiftung gehört jedes Jahr zu den begehrtesten wissenschaftlichen Auszeichnungen für Promotionen. Jetzt wurden wieder die Preisträger und Preisträgerinnen bekanntgegeben. Geehrt werden mit dem ersten Preis Katharina Neumann (Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften; LMU München); Kilian Huber (Sektion Sozialwissenschaften; LSE) und Frederik Kotz (Sektion Natur- und Technikwissenschaften; KIT). Alle weiteren Ausgezeichneten stehen hier.
 
Job: Workaholic
Gelegentlich lernt man bei der Lektüre des ZEIT-Stellenmarktes neue Begriffe kennen. Zum Beispiel das Wort „Arbeitsspitzen“. Was vermutlich zu übersetzen ist mit: Überstunden. Die muss man gelegentlich machen, wenn man in Berlin arbeiten möchte, bei der Hochschulrektorenkonferenz – die sucht nämlich eine Referentin (m/w/d) mit juristischem Staatsexamen für den Bereich „Studien-, Kapazitäts- und allgemeine Rechtsangelegenheiten“. Bewerbungsschluss: 29. August.
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
   
 
   
Das Exzellenz-Argument
Dieter Lenzen hat von Natur aus ein robustes Selbstbewusstsein. Doch seit er seine Universität, die Hamburger, die lange als mittelmäßig galt, vor zwei Wochen zum Exzellenztitel geführt hat, hat er den Ton noch etwas weiter aufgedreht. Wenn Hamburgs Landesregierung nicht als vertragsbrüchig dastehen wolle, sei künftig ein Plus bei der Grundfinanzierung in Höhe von 3,5 Prozent „alternativlos“. „Wir haben geliefert“, sagte der Unichef dem Hamburger Abendblatt. „Jetzt ist die Politik am Zug.“
Auch Lenzens Kollege 100 Kilometer weiter im Norden will mehr Geld. Doch während Lenzen seine Forderung mit dem Exzellenz-Erfolg begründet, tut Lutz Kipp, Präsident der Universität Kiel, genau das Gegenteil: Kiel hatte zwar zwei Cluster eingeheimst, ging am 19. Juli aber leer aus. Um mit den siegreichen Universitäten mithalten zu können, sagte Kipp der dpa, sei eigentlich eine Verdopplung Grundhaushaltes nötig – mindestens aber 3,5 Millionen mehr als bislang geplant. Wenn das Geld nicht komme, müsse man „natürlich“ entsprechend bei den Exzellenzbereichen kürzen.
Zwei Wortmeldungen, die eine Reihe Schlussfolgerungen zulassen.
Erstens: Die lähmende Zeit des taktischen Schweigens, des Abwartens in den Leitungsetagen der Universitäten, des Vermeidens von Konfrontationen mit der Politik ist seit dem ExStra-Finale vorbei.
Zweitens: Die Forschheit, mit der zwei Unirektoren ihre Forderungen artikulieren, ist bemerkenswert. Die Hochschulen haben die jahrelange Exzellenz-Rhetorik der Politik verinnerlicht und wenden sie nun gegen jene, die diese einst über sie brachten. Nachdem die Hochschulen von der Politik über Jahre unter Effizienzdruck gesetzt wurden, ist es diesmal die Politik, die unter Rechtfertigungsdrang gerät. Nach dem Motto: Wer Exzellenz bestellt, muss auch bereit sein, sie zu bezahlen.
Drittens: Je stärker die Hochschulpolitik der Länder auseinanderdriftet, desto mehr werden einige Landesregierungen zum Maßstab, an dem die anderen sich messen lassen müssen. Kipp sagt: In Berlin habe der Regierende Bürgermeister die Exzellenz-Förderung zur Chefsache gemacht. Auch Hamburg mache es mit einer eigenen Wissenschaftsbehörde schlauer. Lenzens 3,5 Prozent-Forderung wiederum hat ihre Entsprechung unter anderem in den 3,5 Prozent Jahres-Plus, das Müllers Senat den Unis seit 2018 zahlt.
Allerdings müssen die Unipräsidenten aufpassen, wer Gegner und wer Verbündeter ist. Auf der eigenen Wissenschaftsministerin herumzuhacken, wie Kipp das tut (das Wissenschaftsministerium sei nur ein „Anhängsel am Schulministerium“), mag als Reaktion auf die Exzellenz-Enttäuschung menschlich verständlich sein. Das verkennt jedoch, dass die Budget-Bremser meist anderswo sitzen: im Finanzministerium. Und dass man deshalb gut daran tut, den eigenen Ressort-Chefs den Rücken zu stärken – zum Beispiel mit den obigen Exzellenzargumenten.
Lenzen, der alte Fuchs, weiß das und hat Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) zuletzt freundlich behandelt. Woraufhin die sagte, sie wolle sich für deutlich höhere Steigerungsraten einsetzen. Fegebanks Schleswig-Holsteiner Kollegin Karin Prien (CDU) hat Lutz Kipp auch bereits geantwortet. Dessen Forderung, sagte sie den Kieler Nachrichten, sei „als gelinde gesagt unrealistisch zu bewerten“.   
Fest steht: Ihr ExStra-gestähltes Selbstbewusstsein werden die Universitäten angesichts nicht mehr so kräftig sprudelnder Steuerquellen gut brauchen können.
 
   
 
   
 
   
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