Allianz schreibt Offenen Brief an Orbán | Katja Becker folgt auf Peter Strohschneider | Plus 4 Prozent Habilitandinnen | Karliczek und die Batterieforschung

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
die Deutsche Forschungsgemeinschaft gilt (vor allem der DFG selbst) als bedeutendste Forschungsfördereinrichtung des Landes, vielleicht sogar der Welt. Entsprechend wichtig ist die gestern entschiedene Personalie: die Gießener Biochemikerin Katja Becker wurde zur neuen DFG-Präsidentin gewählt; ab 1. Januar 2020 folgt sie auf Peter Strohschneider. Sie setzte sich gegen Dorothea Wagner (KIT) und Wolfgang Marquardt (FZ Jülich) durch und ist die erste Frau in diesem Amt. Die Wahl Beckers kommentiert Jan-Martin Wiarda im Standpunkt. Außerdem im Programm: Ein Brief an Viktor Orbán, eine Hundert Prozent-Frauenquote – und in der Fußnote ein Demokratie-Tipp von Manuel J. Hartung.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Allianzorganisationen: Offener Brief an Viktor Orbán
Nachdem der ungarische Minister für Innovation und Technologie László Palkovics vergangene Woche im ZEIT-Interview sagte, Grund für die jüngsten Gesetzesreformen sei allein das Ziel, die wissenschaftliche Leistung zu steigern – „Wir suchen nach Möglichkeiten, in der Wissenschaft die Besten zu sein“, etwa wie die Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland – reagiert nun die Allianz der Wissenschaftsorganisationen. In einem Offenen Brief an Ministerpräsident Viktor Orbán, den die aktuelle ZEIT exklusiv abdruckt, heißt es: „Ihre Regierung, Herr Ministerpräsident, soll und will künftig direkten Einfluss auf die wissenschaftliche Ausrichtung des neuen Forschungsnetzwerks nehmen. Das geplante Gesetz knüpft an andere Gesetzesvorhaben an, mit denen die ungarische Regierung ihre Einflussmöglichkeiten im Bereich der Wissenschaft vergrößern will.“ Die Einflussnahme der Regierung zeige sich etwa darin, dass die Geschlechterforschung als „Ideologie“ bezeichnet und die Finanzierung eines neuen Forschungsnetzwerkes „politisch gesteuert“ werde, heißt es in dem Brief; und dass Palkovics’ Verweis auf die MPG „sachlich falsch“ sei. Bereits im Februar war aus Deutschland ein Offener Brief an Palkovics gegangen, den allerdings die Fraunhofer-Gesellschaft nicht unterschrieben hatte. Nachdem sie dafür von Palkovics im Interview hofiert wurde, entschied sich Fraunhofer-Chef Reimund Neugebauer nun offenbar zur Distanzierung und setzte seinen Namen mit unter den Orbán-Brief. – Das ungarische Parlament beschloss derweil am Dienstag das Gesetz zum Aufbau eines neuen Forschungsnetzwerkes, das die Wissenschaftsakademie entkernt und unter den Einfluss der Regierung stellt. (index.hu; Deutsche Welle)
  
 
 
Kritik an Karliczek für Batterie-Forschungsprojekt
Im Lichte des oben genannten Themas wirkt nun folgende Diskussion besonders unangenehm: BMBF-Chefin Anja Karliczek verantwortet die Ansiedelung eines Forschungsprojekts in der Nähe ihres Wahlkreises – Münster erhielt den Zuschlag für die „Forschungsfabrik Batterie“, ein vom BMBF ausgeschriebenes, von der Fraunhofer-Gesellschaft getragenes Projekt. Beworben hatten sich auch die Standorte Ulm, Salzgitter, Augsburg. Deren Ministerpräsidenten beschweren sich nun in einem Schreiben an Angela Merkel, die Entscheidung sei intransparent abgelaufen – und erheben damit den Vorwurf gegen Karliczek, Partei- bzw. Wahlkreispolitik zu eigenen Gunsten betrieben zu haben, denn Teile des Projekts werden in Ibbenbüren angesiedelt, Karliczeks Heimatstadt. (SWR; Manager Magazin) Karliczek distanzierte sich im ARD-Mittagsmagazin von der Kritik: Die Expertenkommission habe „kein explizites Votum“ für einen Standort abgegeben und das sei auch nie vorgesehen gewesen, man habe allein aufgrund des überzeugenden Konzepts, nicht aber des Standortes entschieden. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sprang ihr zur Seite, die Vorwürfe gegen Karliczek seien "abwegig" (Rheinische Post).
  
 
 
Kurz vermeldet: Bundesrat zum Bachelor, Frauenquote, Reasons to love Academia
Rückenwind für die HRK: Der Bundesrat betonte in einer Stellungnahme zum geplanten Neufassung des Berufsbildungsgesetzes, dass die von Anja Karliczek vorgeschlagenen neuen Berufsbezeichnungen (etwa der „Bachelor Professional“) so heißen sollten, dass sie nicht mit akademischen Abschlüssen verwechselt werden können. +++ Streitbare, in jedem Fall offensive Maßnahme der niederländischen TU Eindhoven: Um ihre Frauen-Quote zu verbessern, hat ihr Rektor Frank Baaijens beschlossen, in den nächsten Jahren nur noch Wissenschaftlerinnen einzustellen. Im SpOn-Interview erklärt er, warum er diesen Schritt für richtig hält. +++ Dazu passend neue Zahlen vom Statistischen Bundesamt: Die Zahl der Habilitandinnen steigerte sich vergangenes Jahr um vier Prozent; insgesamt wurden 1529 Habilitationen abgeschlossen. +++ Gelegentlich wird über die Arbeitsbedingungen in Academia so viel geklagt, dass man sich wundert, warum dann so viele Menschen ebendort arbeiten mögen. Zeit also mal über die vielen Vorteile des Forscherlebens zu sprechen – findet Patrick D. Schloss (Ann Arbor) und schrieb ein Paper „In Defense of an Academic Career in Microbiology“ 
  
   
   
   
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Personen
 
 
   
  
NRW I
Amtszeit Nummer drei für Holger Burckhart: Soeben wurde der Philosoph erneut zum Rektor der Universität Siegen gewählt; er leitet die Uni seit 2009.
 
NRW II
Die Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen in NRW hat ihren Vorsitzenden im Amt bestätigt: Marcus Baumann, Rektor der FH Aachen; auch seine Stellvertreterin Ute von Lojewski von der FH Münster bleibt im Amt. Weiterhin im Vorstand: Hartmut Ihne (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) und Martin Wortmann (Rheinischen Fachhochschule Köln).  

Communicator-Preis
Die Informatikerin Katharina A. Zweig (Universität Kaiserslautern) wurde gestern von der DFG und dem Stifterverband mit dem diesjährigen Communicator-Preis ausgezeichnet – auf Youtube gibt es ein schönes ­Videoportrait über sie, ihre Arbeit und unsere Zukunft mit den Algorithmen.
 
Job: Komplexitätsliebhaberin (m/w/d)
Stellen wir uns folgende Situation vor: Eine Party. Häppchen, Sekt, man plaudert, und was machst Du so? „Ich bin Direktorin der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur.“ Wenn Sie Glück haben, sind Sie auf dieser Party unter anderen Wissenschaftlern, die ahnen dann: es geht um irgendwas mit Datenbeständen von Wissenschaft und Forschung. Ansonsten: Viel Spaß beim Erklären des Jobprofils! Freunde der komplexen Partygespräche können sich jedenfalls bewerben; die Details zur Bewerbung stehen im ZEIT Stellenmarkt.
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
   
 
   
Frau der Tat
Es war der Wunsch nach Erneuerung. In jeder Hinsicht. Die Biochemikerin Katja Becker wird Peter Strohschneider als Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nachfolgen.
Vor allem die Unirektoren waren zuletzt nicht mehr zufrieden damit, wie die Dinge liefen bei „ihrer“ DFG, die sich so gern als Selbstorganisation der Wissenschaft präsentiert. Zu abgehoben, zu politiknah agiere die Führung unter Strohschneider. Als die Ex-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek im vergangenen November gehen musste, reichte der Ärger über die vermeintliche Intransparenz des Vorgangs dann bis in die Ministerbüros hinein. Und die Reform der anstehenden Fachkollegienwahl brachte Fachgesellschaften und Fakultätentage auf die Barrikaden. Sie sahen sich gegenüber den Hochschulleitungen benachteiligt.
Es wäre nicht fair, für die Modernisierungskrise, in der die DFG steckt, allein ihren amtierenden Präsidenten verantwortlich zu machen. Eine solche Darstellung wäre auch insofern zu einfach, weil Becker selbst als amtierende Vizepräsidentin schon seit 2014 zur (erweiterten) DFG-Führung zählt. Doch wirkte das Präsidium zuletzt alles andere als homogen und im Gezerre zwischen Bewahrern und Erneuerern gefangen.
Auf Becker ruhen jetzt viele Hoffnungen. Schafft sie es, die DFG mit ihren Mitgliedern und der Wissenschaft, vor allem aber mit ihrem eigenen Wachstum versöhnen? Denn die gegenwärtige Krise liegt vor allen in ihrem enorm gewachsenen Budget begründet: rund eine Milliarde mehr in zehn Jahren. Die Politik gibt mehr Geld und verlangt dafür, oft sehr subtil, mehr Mitsprache. Das viele Geld muss über immer mehr Gutachter auf immer mehr Projekte verteilt werden, was die Gutachterauswahl an Grenzen stoßen lässt; genau wie die sinnhafte Evaluation der Forschungsqualität. Bei all dem wirkte die DFG als Organisation schwerfällig, ihr Förderpolitik nutzte dem Mainstream oft mehr, als dass sie den Mut zur Innovation unterstützte. Weil ihren Förderinstrumenten selbst die Innovation fehlte.  
Nach einem Mann des Wortes, als welcher der brillante, aber gelegentlich überdrehende Redner Strohschneider gilt, wünschten sich die DFG-Mitglieder jetzt offenbar eine Frau der Tat. Eine, die als ehemalige Gießener Uni-Vizepräsidentin Führungserfahrung hat, die die DFG kennt und gleichzeitig weit weg ist von den Männer-Netzwerken, die große Teile der deutschen Wissenschaftslandschaft immer noch unter sich ausmachen. Ein wenig mag sich so auch der deutliche Vorsprung vor Beckers Mitkandidaten Wolfgang Marquardt erklären, dem hochgeachteten Chef des Forschungszentrums Jülich, auch wenn der persönlich als uneitler Pragmatiker bekannt ist.  
Die größte Gefahr für Becker ist, dass die Erwartungen jetzt überbordend werden. Als erste Frau an der Spitze der DFG und einzige Frau unter den fünf größten Wissenschaftsorganisation wird ihre Wahl schon jetzt als „Revolution“ gefeiert, als „Aufbruch“, als „Riesenchance“. Nicht nur für die DFG, nein für die Wissenschaft insgesamt. Es zeichnet Becker aus, dass sie abgeklärt genug ist, um mit all dem umgehen zu können. Und dann trotzdem richtig anzupacken.
   
 
   
 
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Mit wem wollt ihr leben? Familien werden kleiner, die Sehnsucht nach Zusammenhalt aber wächst. Im ganzen Land suchen Menschen nun nach neuen Formen von Gemeinschaft
 
So lässt sich’s leben
Ohne Engagement keine Gemeinschaft. Die wichtigsten Modelle im Überblick „Das tiefe Bedürfnis, etwas zu geben“ Wie wollen Menschen heute zusammenleben? Fragen an den Soziologen Frank Adloff

Der Offene Brief der Allianz der Wissenschaftsorganisationen an Viktor Orbán steht im Ressort WISSEN

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Manchmal sind gute Ideen sehr einfach und einfache Ideen sehr gut. Eine solche Idee ist der Förderfonds Demokratie, den acht deutsche Stiftungen aufgelegt und mit über 800.000 Euro ausgestattet haben. Über diesen Fonds können Initiativen, Vereine, aber auch Wissenschaftliche Institute bis zu je 5000 Euro für Projekte erhalten, mit denen sie Demokratie voranbringen. »Was trägt unser Projekt oder unsere Initiative zur Stärkung der Demokratie bei?«, diese Frage müssen Sie in der Bewerbung  beantworten. Der Förderfonds ist aus (mindestens) drei Gründen eine sehr gute Idee: 1. Weil er das Thema der Stunde adressiert, 2. weil er die Initiativen in den Blick nimmt, die mit geringen Budgets, viel Ehrenamt und noch mehr Herzblut für die Demokratie streiten, 3. weil er zeigt, wie wirksam die Idee des „collective impact“ ist – wenn Stiftungen zusammenarbeiten und gemeinsam Ideen voranbringen anstatt parzellierte Projekte anzustoßen. Die Ausschreibung für die erste Runde beginnt noch im Juli.
Manuel J. Hartung
   
 
   
 
 
   
Wir sind etwas ermattet vom Temperatur-Jojo… Sie auch?

Ihr CHANCEN-Team

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