Der leichtgläubige Professor | Karliczek und die Batterien | 293.000 Euro Beratung | Gastkommentar Heike Mauer: Das prekäre Geschlecht

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
es gibt ja einige Gründe, warum man gerade nur ermattet in den Liegestuhl sinken möchte. Die Hitze. Das Semesterende. Das Exzellenz-Finale. Unseren Segen haben Sie. Dazu servieren wir: Batteriefabrik-News und einen Title IX-Longread (Das ist wichtig), den designierten Chef der Agentur für Sprunginnovationen (Personalia) – und einen Gastkommentar der Politikwissenschaftlerin Heike Mauer über Prekarität und Geschlecht in der Wissenschaft.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Karliczek rechtfertigt sich im Forschungsausschuss
Eigentlich wollte Anja Karliczek jetzt in den USA sein, um in San Francisco Wissenschaftlerinnen und Unternehmer zu treffen. Die Vereidigung von AKK kam dazwischen – sowie eine Sondersitzung des Forschungsausschusses. Darin wurde Karliczek erneut zur Vergabe eines 500 Millionen Euro teuren Batteriezellforschungsprojekts befragt, für das sie inzwischen seit Wochen in der Kritik steht. Beworben hatten sich mehrere Standorte. Wieso aber erhielt ausgerechnet Münster den Zuschlag, das nahe an Ibbenbüren liegt, dem Wahlkreis der Ministerin? Karliczek hat sich gegen den Vorwurf der Begünstigung mehrfach verwahrt – so auch gestern im Ausschuss, wo sie Berichten zufolge sagte: „Das kann ich nur ganz eindeutig immer und immer wieder zurückweisen.“ (Zeit Online; SpOn). Weil die Sitzung nicht öffentlich war, veröffentlichte das BMBF anschließend ein Video, in dem Karliczek das Verfahren nochmal erläutert und sagt, es seien in den letzten Wochen „Halb- und Unwahrheiten“ verbreitet worden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatter für Batterieforschung Andreas Steier verteidigte Karliczek: Die Entscheidung für Münster sei „aus rein fachlichen Gesichtspunkten“ gefallen und beruhe auf dem „höchsten Grad an Exzellenz“– „strukturpolitische Fragen dürfen dabei keine Rolle spielen“. Anna Christmann, Sprecherin für Innovationspolitik bei den Grünen, sagte im Deutschlandfunk, der Prozess der Projektvergabe sei auch nach der Befragung im Ausschuss „​undurchschaubar“ und wirke wie „ein ziemliches Durcheinander“. Sie fordert eine Offenlegung der Dokumente, um die Entscheidung transparent zu machen. 
  
 
 
Der leichtgläubige Professor
Hier eine Longread-Empfehlung: Kera Boloniks Artikel „The Most Gullible Man in Cambridge“, erschienen im New York Magazine. Eine fesselnder, gleichwohl nicht unbedingt leicht verdaulicher Text über den Rechtswissenschaftler Bruce Hay aus Harvard, gegen den ein Title IX-Verfahren vorliegt. HInter dem Vorwurf einer sexuellen Belästigung verbirgt sich eine komplizierte Geschichte – über Liebe, Betrug, Academia und zerstörte Existenzen.
  
 
 
Kurz vermeldet: Klimakrise, Bauchschmerzen wegen Boris, BMBF-Beratung
Gerade war Greta Thunberg in Paris zu Gast, und sagte dort: Wenn man schon nicht auf die demonstrierenden Kinder hören wolle, dann doch wenigstens auf die Wissenschaft. Als hätte die Leopoldina es geahnt, hat sie nun eine unzweideutige Erklärung veröffentlicht: Sie fordert einen „unmittelbaren Transformationsschub“ – Sofortmaßnahmen also, um die Klimakrise zu bekämpfen. Siehe dazu auch den aktuellen Leitartikel von Andreas Sentker: "Der Weckruf"  +++ Boris Johnson ist neuer Premierminister – und die britische Wissenschaft hat Bauchschmerzen. Forschung & Lehre hat die Reaktionen gesammelt. +++ Der Umzug der Central European University nach Wien (ZEIT 19/2019) schreitet voran; die Studiengänge wurden jetzt in Wien akkreditiert. +++ 178 Millionen Euro haben die Bundesministerien im ersten Halbjahr 2019 für externe Beraterinnen und Berater ausgegeben; ein Großteil der Summe entfällt auf das Innen- und Verkehrsministerium. Schlusslicht ist das BMBF: Hier wurde für 293.000 Euro Expertise von außen eingekauft (Deutschlandfunk). Interessant, weil das BMBF früher so viel Geld für Beratungen ausgab, wie kein anderes Ministerium; von einem "Berater-Eldorado" war diie Rede. Das BMBF rechtfertigte sich damals, ein Großteil dieser Gelder seien an Projektträger gegangen – hier nachzulesen im Tagesspiegel von 2013.
  
   
   
   
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Personen
 
 
   
  
Agentur für Sprunginnovationen 
Eine Agentur für Sprunginnovationen, hört man einige bisweilen lästern, das sei ja wie eine Behörde zur Entbürokratisierung. Aber wer weiß! Die von Anja Karliczek und Peter Altmaier eingerichtete Agentur soll „disruptiven Innovationen zum Durchbruch verhelfen“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Zuständig ist kein Wissenschaftler, sondern ein Unternehmer: Rafael Laguna de la Vera ist designierter Gründungsdirektor. Jahrgang 1964, geboren in Leipzig; 1980 „Informatikstudium Uni Dortmund für einige Wochen“ – so heißt es in seinem Lebenslauf. Seit 2008 war er CEO der „Open-Xchange AG“ mit 270 Mitarbeitern und 45 Millionen Euro Umsatz.

Hochschule Kehl
Die Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl in Baden-Württemberg – 1.400 Studierende, 44 Professoren – hat einen neuen Rektor, den Verwaltungs- und Rechtswissenschaftler Joachim Beck. Er folgt auf Paul Witt, der in den Ruhestand geht.

Job: Mauern umstürzen
Die Falling Walls-Konferenz, die seit 2009 immer am 9. November in Berlin stattfindet, gilt inzwischen als eine der ambitioniertesten wissenschaftlichen Großkonferenzen Deutschlands. Nun sucht die Falling Walls-Foundation eine/n "Managing Director (m/f/x)" – die Stelle wurde frei, weil Tatjana König, die den Posten der Geschäftsführung bislang innehatte, in den Vorstand der Körber-Stiftung wechselt. Die Ausschreibungsdetails stehen im ZEIT Stellenmarkt. Achtung: Bewerbungsfrist ist schon der 31. Juli.
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
von Heike Mauer
   
 
   
Das prekäre Geschlecht
Die Kampagne #FristIstFrust führt die öffentliche Debatte über Prekarität in der Wissenschaft mit Wucht. Und auch nach der Verlängerung des Hochschulpaktes wird die Kluft zwischen etablierten Wissenschaftler_innen und denjenigen, die trotz ihrer Forschungsleistungen von Projektstelle zu Drittmittelförderung hechten, weiterhin bestehen bleiben.
Allerdings wird nur selten der Blick auf die Diskriminierungspotentiale gelenkt, die die Chancen auf eine erfolgreiche Hochschulkarriere höchst ungleich verteilen. Dabei lässt es sich statistisch belegen, dass Geschlecht, soziale Herkunft oder der sogenannte ‚Migrationshintergrund‘ die Erfolgschancen für eine Berufung stark beeinflussen. Es spielen also Faktoren eine Rolle, die dem wissenschaftlichen Leistungsideal und dem Gedanken der Meritokratie diametral entgegenstehen. 
„Man ist Ende Zwanzig und wird als potenziell jeden Moment schwanger angesehen.“ So beschreibt eine Nachwuchswissenschaftlerin ihre Benachteiligung als Frau in der Hochschulmedizin in einer Untersuchung in NRW unter Nachwuchswissenschaftler_innen in der Medizin, die in der Institution permanent als potenzielle Mutter, nicht jedoch als Wissenschaftlerin angesprochen wird. Die Studie zeigt darüber hinaus, dass diese Schilderung dies kein Einzelfall ist: Knapp 60 Prozent der befragten Wissenschaftlerinnen gaben an, bereits Benachteiligung erfahren zu haben – am häufigsten übrigens auf Grund ihres Geschlechts. Hingegen berichten nur etwas mehr als ein Viertel (28 Prozent) der Männer davon, Diskriminierung erfahren zu haben. Bei ihnen spielt neben Geschlecht auch die sexuelle Orientierung, Elternschaft, die Herkunft sowie die Nationalität eine Rolle. Dies zeigt: Ungleichheitsfördernden Strukturen werden nicht nur ‚von außen‘ an die Hochschulen herangetragen (Stichwörter: mangelnde Karriereorientierungen von Frauen; Rassismus im Bildungssystem), sondern durch Mechanismen in der Wissenschaft selbst gestützt. Ein ‚männlicher Habitus‘ und ein ‚herkunftsdeutscher‘ Nachname gibt für den Erfolg in der Wissenschaft noch allzu oft den Ausschlag. 
Um dies zu verändern, wird die Schaffung von mehr Dauerstellen und flachere Hierarchien – etwa in Form einer Departmentstruktur – nicht ausreichen. Ebenso notwendig ist eine Gleichstellungspolitik an den Hochschulen, die eine gesteigerte Partizipation von Frauen und anderen bislang marginalisierten Gruppen auf höheren Karrierestufen und insbesondere auf Professuren materiell belohnen – und das Verfehlen dieses Ziels sanktionieren – kann.
 
Dr. Heike Mauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen und zugleich Mitglied des Sprecher*innenrates der Sektion Politik und Geschlecht in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW). Twitter: @HeikeMauer
   
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Reise ins Bildungswunderland Als Verena Friederike Hasel mit ihrer Familie nach Neuseeland umzog, staunte sie über die dortigen Schulen – wo es einheitliche Lehrpläne gibt, die Lehrer immer wieder umlernen und ein Direktor auch mal tanzt. Was kann sich Deutschland davon abgucken?
 
Teenie-Mutter ist erwachsen Mit 14 war Katarina Gemmerich plötzlich schwanger. Heute ist sie 28 – und hat ihr zweites Kind bekommen. Was ist jetzt anders? Judith Scholter hat sie damals und heute besucht »Sie müssen immer funktionieren« Für Kinder fühlt sich die Kita wie Arbeit an – deswegen brauchen auch sie Urlaubstage, sagt eine Erzieherin Unis mit Goldrand Elf Hochschulen tragen jetzt den Exzellenz-Titel – eine Übersicht über den Wettbewerb, der Deutschlands Wissenschaft verändert hat  

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Gerade ist die dritte Ausgabe unseres internationalen Magazins „ZEIT Germany“ erschienen. Das Magazin berichtet über Studieren, Forschen, Leben in Deutschland; es liegt an Universitäten auf der ganzen Welt aus und ist auch online abrufbar. Deborah Steinborn ist Editor-in-Chief, Manuel Hartung ist Publisher. Ich selbst stehe als „Advisor“ im Impressum. Bei uns im Haus hat dieser Job aber eine viel schönere Bezeichnung: „Die Schleife“. Das ist die Person, die alle Seiten – die einzelnen Texte, Überschriften, Bildunterzeilen – mit einem außenstehenden Blick liest und letzte Fehler oder Änderungsvorschläge rückmeldet. Ich dachte bis vor kurzem, der Begriff „Schleife“ meine die Extra-Korrekturleserunde, die jeder Text zieht. Neulich sagte mir aber ein Kollege, diese Bezeichnung komme vom Verb „schleifen“, man sei eine Art Leserin mit Schmirgelpapier in der Hand. Wie dem auch sei: Vielleicht haben Sie ja Lust, mal durchzublättern. Ich gebe jetzt ab an meine Ressortkollegen – damit sie diesen heutigen CHANCEN Brief einmal schnell, nun ja: schleifen. 
Anna-Lena Scholz
   
 
   
 
 
   
Homeoffice – dieser Tage auch nur so ein Alibi-Begriff für "Sitze mit Laptop auf dem Balkon und halte die Füße ins Planschbecken", oder?

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an – unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
   
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