10 nach 8: Anne Hahn über Fußball

 
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12.11.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Zwischen Rakitićs und Raketen
 
Mostar ist eine malerische Stadt. Doch wenn das herzegowinische Fußballderby zwischen den Vereinen Zrinjski und Široki Brijeg stattfindet, erwachen alte Feindschaften.
VON ANNE HAHN

  Die Brücke in Mostar, Bosnien-Herzegowinas erste Weltkulturerbestätte © Faruk Kaymak/unsplash.com
 
Die Brücke in Mostar, Bosnien-Herzegowinas erste Weltkulturerbestätte © Faruk Kaymak/unsplash.com
 
 

"Ich parlar Deutsch!", ruft die kräftige Frau und reicht mir strahlend drei Ožujsko-Becher über den improvisierten Stadiontresen. Wir stehen an einem der wackligen Tische auf dem Parkplatz des HŠK Zrinjski Mostar, hinter uns die grau verputzte Mauer zum Stadion. Darin ein quadratisches Loch, weiß umrandet, aus dem heraus die Tickets verkauft werden.

Alles ist symbolisch in dieser Stadt, die Ruinen, die flimmernde Hitze, das mächtige Kreuz auf dem kroatischen Hausberg, der orthodoxe Kirchenneubau auf dem anderen, die Minarette mittendrin und irgendwo tief unten der Fluss, der Kroaten und Bosniaken trennt. Wir sind Freunde – ein Mann und zwei Frauen, die sich im September 2018 über Belgrad, Zenica, Sarajevo und Visegrád auf eine fußballaffine Balkanreise begeben haben.

Am besten lässt sich Mostar frühmorgens erkunden, wenn die Stadt den Tieren gehört. Wir steigen hinab von unserer Ferienwohnung an der stark befahrenen Landstraße. Das muslimische Zentrum mit seinen Moscheen und Friedhöfen schlummert noch, eine Katze spaziert auf den glänzenden Steinen der leeren Hauptstraße Braće Fejića, wir queren den Fluss nördlich der Altstadt. Im Westteil herrscht buntes Treiben, Bäckereien und Friseure werden frequentiert, Musik quillt aus den Läden. Der Glockenturm des Franziskanerklosters ragt wie ein Phallus über Einkaufszentren, Hotels und Reisebusse, die sich mit Rollkofferträgern füllen. In südöstlicher Richtung wechselt das Alter der Häuser wieder und der Asphalt zu faustgroßen Pflastersteinen. Hier und da wird ein hölzerner Fensterladen geöffnet, Verkäufer jonglieren Tabletts mit Kaffeegläsern.

Eine Gasse steigt an und plötzlich liegt sie vor uns im Sonnenschein – die Brücke, vor mehr als 400 Jahren errichtet, vor 25 Jahren zerstört und 2004 wiederaufgebaut. Ihre hellen Steine geben Bögen frei und eine fantastische Aussicht ins Neretva-Tal. Drei dickfellige Straßenköter liegen quer über dem Stari Most drapiert und schlafen, unter ihnen schießen blau glitzernde Eisvögel den Fluss entlang. Noch sind keine Touristen unterwegs, um die erste Weltkulturerbestätte Bosnien-Herzegowinas zu bestaunen. Wenig später hat uns die Ostseite wieder und wir beschließen, ins Museum Of War And Genocide Victims zu gehen.

Wir sehen Modelle von Konzentrationslagern, Bilder von Befreiten, Überlebenden. Zerschossene Städte, Kirchen, Moscheen, Schulen. Fotos der von kroatischen Soldaten zerstörten Brücke.

Seitdem ist die Stadt tief gespalten. Hatten zunächst Bosniaken und Kroaten gemeinsam gegen die serbisch-montenegrinischen Belagerer gekämpft, verlief die Frontlinie seit Ende 1992 quer durch Mostar und teilte die Stadt in Ost und West. Bosniaken gegen Kroaten. Nach dem Dayton-Abkommen schwiegen die Waffen, Bilanz des Krieges in Mostar: 2.000 Menschen verloren ihr Leben, 26.000 flüchteten. Infrastruktur, Industrie, historische Gebäude und Wohnhäuser – schwer beschädigt.

Wir schauen uns eine Dokumentation über die Belagerung Sarajevos an; die Kinder, die Alten, der Winter, die Nächte. Kein Wasser, kein Strom. Menschen, die Minuten zuvor getötet wurden. Ein Mann kratzt mit einer Schaufel Blut vom Eis. Daneben ein Schlitten im Schnee, eine hellblaue Pudelmütze. Meine Freundin und ich laufen weinend aus dem Museum.

Aufgeräumte Stimmung im Stadion

Am Nachmittag nimmt uns unser Wirt Adem mit zum Zweitligaspiel FK Velež Mostar gegen NK Zvijezda Gradačac. Mit 2.000 anderen Fans pilgern wir gen Norden zum Stadion Vrapčići im gleichnamigen Stadtteil. Die Berglandschaft um das kleine Stadion bildet eine fantastische Kulisse. Malerisch gruppieren sich Industrieruinen vor den Gipfeln, der dreiseitige Blockaufbau korrespondiert mit der Horizontlinie.

Bei Brause und Sonnenblumenkernen herrscht aufgeräumte Stimmung. Junge Mädchen kommen mit ihren Cliquen, ein paar Jungs tragen das Trikot des Liverpooler Stürmers Salah mit der Nummer 11. Gegenüber der Tribüne trommeln und singen die etwa 50 Ultras des Fanclubs Red Army. Gästefans sind keine anwesend. Gradačac liegt gute 300 Kilometer und fünf Stunden Autofahrt nördlich von Mostar.

Während in diesem sommerwarmen Nachmittagsspiel sieben Tore für Velež fallen, finden wir eine gemeinsame Sprache mit Adem, unserem Wirt. In den von Pyrogewitter unterstützten Torjubel mischen sich russische Satzfetzen. "President kriminal." "Politika otschen plocho." Der Mittvierziger erklärt, wie die drei Bevölkerungsgruppen des Landes zwischen Korruption und Nationalismus zerrieben werden. Seine Geschwister würden im europäischen Ausland leben, aber er könne sich nicht von Mostar und Velež trennen.

Der nach dem östlichen Gebirgszug Velež benannte Verein hat seine großen Zeiten hinter sich, dabei galt der Arbeiterclub einst als Sinnbild für die Einheit der Stadt, errang zweimal den Jugoslawischen Pokal und spielte sogar im Europapokal. Beim Bau des Stadions Bijeli-Brijeg halfen Serben, Kroaten und Muslime mit, später kamen 40.000 Zuschauer, um Velež zu sehen! Adem strahlt. Vor uns landet der Ball gerade wieder im Kasten.

Eine Stunde später stehen wir auf der anderen Seite der Brücke, vor besagtem Bijeli-Brijeg (deutsch: der weiße Hügel). Wir wollen noch Mostars Erstligamannschaft sehen, HŠK Zrinjski Mostar, die am selben Septembersamstag gegen NK Široki Brijeg spielt. Die 2.500 Besucher dieser Partie sind im Durchschnitt einen Kopf größer als die von Velež Mostar, essen Bratwurst, trinken Bier und sitzen gemeinsam mit den Gästen aus der herzegowinischen Nachbarstadt auf der Tribüne. Popcorn und Sonnenblumenkerne werden aus Bauchläden verkauft, Tabletts voller Bier wandern in die Zuschauerreihen. Das herzegowinische Derby wirkt sehr friedlich, Mädchen schwatzen, kleine Jungs kicken im Graben, klettern auf die Absperrgitter. Sie tragen Rakitić-Shirts, ab und an flitzt ein Ronaldo oder Suárez vorbei. Vielleicht 300 Zrinjski-Ultras trommeln, singen und fackeln das gesamte Spiel über auf der Gegengraden, Tore fallen nicht.

Zrinjski Mostar ist der jüngere Fußballclub der Stadt – sieht man von der eigentlichen Gründung des kroatischen Vereins im Jahre 1905 ab. Faktisch existiert Zrinjski erst seit seiner Neugründung 1992. Unter Tito wurde der Club als nationalistisch geächtet, nach dem Bosnien-Krieg beanspruchte er das im Westteil gelegene Stadion Bijeli-Brijeg, sehr zur Trauer und Empörung der Fans von Velež Mostar, welchen es seit seiner Erbauung 1971 Heimstatt war.

Heute steht das Stadion für die Zerrissenheit Bosniens und Mostars. Versuche, sich das Stadion zu teilen, scheiterten. Das Mostar-Derby zwischen beiden Clubs erzeugt einen kriegsähnlichen Zustand in einer Stadt, die einst für ihre ethnische Toleranz und große Anzahl an sogenannten Mischehen bekannt war. Wenige Tage nach unserer Abreise kommt es bei Auswärtsfahrten beider Vereine zu einem Aufeinandertreffen von Fans, bei dem einige Verletzte zu beklagen sind. 

Das wissen wir noch nicht, als wir uns in der Halbzeit ein Bier bei der kräftigen Schankfrau holen wollen und mit hundert anderen Kroaten über den Parkplatz vor dem Stadion schlendern. In der Abflussrinne zwischen Parkplatz und angrenzender Straße fehlt ein Stück Abdeckgitter, und während ein kleiner Rakitić an mir vorbeiflitzt, falle ich in ein Loch.

Lesen Sie hier eine weitere 10-nach-8-Kolumne von Anne Hahn über ihre Fußballreisen.

Anne Hahn, 1966 in Magdeburg geboren, Autorin und Subkulturforscherin, Veröffentlichungen: zusammen mit Frank Willmann: "Stadionpartisanen – Fans und Hooligans in der DDR", Berlin 2007, "Satan, kannst du mir noch mal verzeihen, Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest", Mainz 2008, "Der weiße Strich", Berlin/Bautzen 2011 Romane: "Gegenüber von China", Mainz 2014, "Dreitagebuch", Mainz 2014, "Das Herz des Aals" Mainz 2017.


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