Es wird wunderbare Familienfotos geben, aber man lasse sich nicht täuschen: Die Familie ist tief zerstritten. Am Wochenende werden Emmanuel Macron und Angela Merkel, Donald Trump und Wladimir Putin in Paris gemeinsam Kränze niederlegen. Anlass ist der Waffenstillstand und das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. In Frankreich war das schon immer ein Großereignis, für Deutsche, Russen und Amerikaner dagegen war es lange vom Ende des Zweiten Weltkriegs zugedeckt. Jetzt zieht Macron den Vorhang auf für eine große Erinnerungsshow und eine politische Demonstration im XXL-Format.
Denn in Paris werden mit den Staatschefs aus den USA, Russland und Frankreich sowie der deutschen Kanzlerin zwei rivalisierende Ansichten der Welt aufeinanderprallen. Es ist ein Kulturkampf und ein Kräftemessen darum, wie Staaten miteinander umgehen sollten. Nur auf die eigene Nation fixiert, egoistisch und autoritär, so wie Trump und Putin es bevorzugen? Oder in Zusammenarbeit mit anderen Staaten, in Bündnissen und auf gleicher Augenhöhe mit Großen und Kleinen? Dafür stehen Macron und Merkel, die beide am Sonntag hintereinander reden werden.
Nationalismus gegen Multilateralismus: Das waren genau die Alternativen, vor denen auch die Staatschefs vor 100 Jahren standen. Sie entschieden sich für den Nationalismus und taumelten von Weltkrieg zu Weltkrieg.
Macron will es nicht bei einem Plädoyer belassen
Doch es ist der Erste Weltkrieg, der uns heute mehr sagt als der Zweite, aus dem wir 2018 mehr lernen können, um nicht in die vielen Abgründe um uns herum zu rutschen. Der große Krieg 1914 wurde nicht von einem radikalen Diktator wie Adolf Hitler entfesselt, nicht von Großideologien wie Faschismus und Kommunismus. Es waren nationalistisch aufmunitionierte Regierungen, die den Krieg begannen. Und nationalistische Regierungen, die haben wir 2018 zuhauf, siehe die USA, Ungarn oder Polen. Der Brasilianer Jair Bolsonaro ist das jüngste Neumitglied in diesem düsteren Klub. Der Erste Weltkrieg wurde von glühenden Nationalisten begonnen und beendet, 1918 waren es Nationalisten, die in den Pariser Vororten Versailles, Trianon und Sèvres Friedensverträge diktierten, die Saat für den nächsten Krieg setzten. Es war ein Frieden, der jeglichen Frieden beendete.
Emmanuel Macron steht so gar nicht in der Tradition seiner nationalistischen Vorgänger in Paris, sondern in der von Woodrow Wilson. Der US-Präsident stellte Anfang 1918 seine 14 Punkte mit einer neuen Vision von der Welt vor. Dazu gehörten das Ende der Geheimdiplomatie, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ein Völkerbund als multilateraler Vorläufer der späteren Vereinten Nationen. Dem traten die USA zwar wegen des Widerstands amerikanischer Nationalisten nicht bei, aber die Idee war geboren. Und sie lebt heute weiter – in den Vereinten Nationen und ab Sonntag in Paris.
Denn Macron will es nicht bei seinem Plädoyer für den Multilateralismus belassen. Er wird dem Weltkriegsgedenken eine große Konferenz folgen lassen, das Paris Peace Forum, das noch am Gedenktag beginnen soll. Auf diesem globalen Marktplatz in der Grand Halle de La Villette soll internationale Zusammenarbeit geübt, gestaltet, praktiziert werden. Es geht um Frieden und Sicherheit, Klimawandel und Migration, digitale Revolution und künstliche Intelligenz – alles Fragen, die kein Staat für sich und allein regeln kann. Regierungen sind ebenso vertreten wie Nichtregierungsorganisationen. Wenn sie anfangen, zu diskutieren, wird Donald Trump wieder abgereist sein.
Das alles ist nicht nach seinem Geschmack. Der amerikanische Präsident hat seit Amtsantritt viel getan, um den Multilateralismus anzugreifen und die Vereinten Nationen zu schwächen. Donald Trump zog sich aus dem internationalen Klimaabkommen zurück, die USA haben den UN-Menschenrechtsrat verlassen. Mit dem Bruch des Nuklearabkommens mit dem Iran haben sie den UN-Sicherheitsrat geschwächt, der für diese Übereinkunft garantiert hat.
Zur Erinnerung: Nach dem Ersten Weltkrieg war der neu gegründete Völkerbund unfähig, den Nationalisten etwas entgegenzusetzen. Ohnmächtig mussten die Multilateralisten der Dreißigerjahre zusehen, wie Hitler einen Vertrag nach dem anderen zerriss. Er konnte das auch tun, weil die USA sich entschieden hatten, dem Völkerbund nicht beizutreten.