10 nach 8: Marlen Hobrack über Bibis Beauty Palace

 
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04.06.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Baby, das süßeste Accessoire ever!
 
Die YouTuberin Bianca Heinecke ist schwanger. Jetzt kann sie noch mehr Geld mit Werbung verdienen. Welches Mutterbild vermitteln eigentlich Influencerinnen?
VON MARLEN HOBRACK

"Die beigen Socken find' ich auch richtig süß." Bianca Heinicke präsentiert Babykleidung. © Screenshot ZEIT ONLINE/ Quelle: Youtube
 
"Die beigen Socken find' ich auch richtig süß." Bianca Heinicke präsentiert Babykleidung. © Screenshot ZEIT ONLINE/ Quelle: Youtube
 

Bibi ist schwanger und Werbefachleute jubilieren. Weil ich annehme, dass Sie älter als 15 sind und sich nicht hauptberuflich mit Influencer-Marketing beschäftigen, werde ich den Eingangssatz für Sie übersetzen: Die YouTuberin Bianca Heinicke, deren Kanal Bibis Beauty Palace mehr als fünf Millionen Follower hat, erwartet ein Kind.

Weil Bibi eine Influencerin ist, also gewissermaßen mit ihrer Persönlichkeit die Güte der Produkte bestätigt, die sie auf ihrem Kanal bewirbt, ohne dies als Werbung auszuweisen, frohlocken nun die Fachleute über neue Marketingmöglichkeiten. Das Bibi-Baby könne die Vermarktungsmöglichkeiten der YouTuberin um fünf Prozent steigern, bestätigt eine Influencer-Expertin in der Süddeutschen Zeitung. Die Rechnung ist einfach: neues Baby, neue Zielgruppe. 

Ich möchte keine Spielverderberin sein, aber ich sehe da einige logische Probleme. Die Hauptzielgruppe für babybezogene Produkte in Deutschland dürfte aus Frauen zwischen 30 und 35 Jahren bestehen, jedenfalls liegt das Durchschnittsalter für Erstgebärende bei 31 Jahren.

Die Follower von Bibi sind jedoch überwiegend Teenager. Besorgten Eltern könnte nun Böses schwanen: Was, wenn Bibi ihre Zuschauerinnen beeinflusst, nur eben auf eine andere Art als von Werbefachleuten erhofft? Was, wenn nun massenhaft Teenagermädchen ihre Kontrazeptiva die Toilette hinunterspülen, um mit ihren Teenagerboyfriends Bibis Babybauchglücksszenen nachstellen zu können? Was also, wenn die Zahl der Teenagerschwangerschaften, die seit Jahren rückläufig ist, dadurch sprunghaft ansteigt? Wir alle wissen ja, dass die kuscheligen Babybauchkussfotos bei Lilly und Lukas aus Buxtehude oder Janet und Jason aus Chemnitz nicht halb so ästhetisch ausfallen werden wie in Bibis perfekter Instagram-Inszenierung.

Aber Spaß beiseite. Erst vor einigen Monaten brachte Kylie Jenner (20), die jüngste Schwester aus dem Kardashian/Jenner-Genpool, nach monatelang mehr schlecht als recht geheim gehaltener Schwangerschaft eine Tochter zur Welt. Auch Kylie Jenner verfügt über Millionen vorrangig junger Follower, aber im Gegensatz zu diesen auch über reichlich Geld. Und das ist das Interessante an den jungen Instagrammerinnen, Influencerinnen und Internetcelebrities, die Babys bekommen: Der ultimative Makel der Schwangerschaft einer jungen Frau – die häufig vorhandene materielle Abhängigkeit von Eltern oder Staat – entfällt. So offenbart sich auf faszinierende Art die ökonomische Dimension von Mutterschaft.

Über Jahrzehnte hinweg stieg das Alter für Erstgebärende, weil sich dank Pille und guter Bildungs- und Jobaussichten plötzlich sinnvolle Alternativen zum Muttersein fanden. Eine Frau wolle karrieretechnisch erst sich selbst verwirklichen und danach, vielleicht, Mutter werden. Das ist die gängige Erzählung, die erklären soll, warum Frauen immer später Mutter werden. Dabei zeigen wohlhabende Celebrities wie Models oder Musikerinnen, die sich permanent und hartnäckig bis zur Erschöpfung selbstverwirklichen, dass frühe (aber auch sehr späte) Mutterschaft durch vorhandene ökonomische Mittel zur Selbstverständlichkeit werden kann.

Geld, so die gleichermaßen banale wie erfrischende Erkenntnis, befreit ein Frauenleben ganz erheblich vom sozialen Druck, zum richtigen, perfekten, absolut passenden Zeitpunkt ein Kind zu bekommen. Die Freiheit von Arbeitgebern, die potenziell gebärfähige Frauen – also alle zwischen 18 und mindestens 40 – unter der Hand auf einen möglichen Kinderwunsch hin befragen, macht den emotional perfekten Zeitpunkt für Mutterschaft zum einzigen entscheidenden Kriterium. So unabhängig sind Influencer-und Celebrity-Moms, dass sie sich auch nicht einmal fragen müssen, ob ihre Partnerschaft ein Leben lang – oder jedenfalls lange genug – halten wird. Ökonomisch jedenfalls sind sie nicht von dem Mann abhängig.

Ressentiments gegen arme Mütter?

Ich habe auch deswegen die Nachricht über Kylie Jenners Schwangerschaft einigermaßen interessiert, wenn auch aus der nötigen ironischen Distanz, verfolgt, weil bei ihr ausblieb, was ich, als ich im selben Alter Mutter wurde, fast täglich erlebte: Anfeindungen, Beschimpfungen und Beleidigungen. "Verantwortungslos" und "asozial" gehörten zu den am häufigsten verwendeten Attributen, mit denen Bekannte und Arbeitskollegen meine frühe Mutterschaft bewerteten. Und das ist das Stichwort: Frauen werden ohnehin ständig und überall bewertet. Das gilt umso mehr, wenn sie Mutter werden, und noch einmal mehr, wenn sie sehr jung Mutter werden.

Junge Mütter werden hierzulande nicht nur für Verantwortungslosigkeit und Naivität gescholten, wenn sie in einem Alter Kinder bekommen, das biologisch betrachtet ideal fürs Gebären ist – nämlich irgendwann zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr. Gemeint ist dabei aber nicht die Frage der psychischen Reife, oder jedenfalls nur vorgeblich. In Wirklichkeit scheint man besorgt darüber zu sein, dass die junge Mutter Staat und Gesellschaft auf der Tasche liegen könnte. 

Sollte das Ressentiment gegen junge Mütter am Ende eines gegen arme Mütter sein? Zudem werden nur solche Frauen jung Mutter, die zu dumm und zu ungebildet sind, irgendetwas anderes mit ihrem Leben anzufangen, so jedenfalls lautet das grauenerregende, von RTL2-Vorabend-Dokusoaps genährte Stereotyp. Ich weiß nicht, wie gebildet und intelligent Bianca Heinicke ist, aber jemand, der sich mit dem publikumswirksamen Gebrauch von Shampoos und Parfums eine goldene Nase verdient, ist vermutlich verdammt schlau.

Jedenfalls: All die subtil bis brutal offen kommunizierte Sozialkontrolle, die jungen Frauen das Schreckbild verfrühter Mutterschaft und verkrachter Existenzen auftischt, entfällt urplötzlich, wenn Frauen über das ökonomische und symbolische Kapital verfügen, das zum Beispiel mit einem Celebrity-Status verbunden ist. Was nicht heißt, dass sie deswegen immun gegen Kritik wären. Die Kritik verschiebt sich nun aber auf die Frage, ob sie als Mutter hingebungsvoll genug sind.

Während sich früher so manches Starlet von einer männlichen Celebrity ein Kind machen ließ, um sich ökonomisch abzusichern oder für einige Wochen die Schlagzeilen der Yellow Press zu zieren, stellt so ein Baby heute eher eine Portfolioerweiterung für Influencerinnen dar, die Kraft der eigens inszenierten Social-Media-Persona zu Stars wurden. Die Väter bleiben dabei meist seltsam blass im Hintergrund – sie stören die hübsch inszenierte, Instagram-gefilterte Mutter-Kind-Einheit nur.

Nun könnte man es als Gipfel und Tiefpunkt des neoliberalen Zeitgeistes betrachten, dass so ein Baby, gewissermaßen als niedlichstes Accessoire ever schon vorgeburtlich auf allen Kanälen beworben wird. Diese Erscheinung ist aber schlicht folgerichtig in einer Zeit, in der die meisten Menschen in westlichen Gesellschaften, wenn überhaupt, ein oder zwei Kinder bekommen, ein Kind also ein quasi-singuläres Lebensereignis ist. 

Nicht nur Celebrity-Influencer feiern ihr Baby online. Beim nächsten Kind lohnt sich vielleicht auch für mich ein schicker Mutter-Baby-Instagram-Account mit gaaanz vielen weichgezeichneten Schnuckelbildern. Der wird meine Vermarktungsmöglichkeiten – hoffentlich! – um mehr als fünf Prozent steigern.

Marlen Hobrack studiert im Master-Studiengang Kultur- und Medienwissenschaften, nachdem sie zuvor einige Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet hat. Derzeit schreibt sie an einem Social-Media-Roman. Sie lebt mit ihrem Sohn in Dresden und ist Gastautorin bei "10 nach 8".


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