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Als Nescafé erfunden wurde, warb man für den neuen Kaffeegenuss mit dem Prädikat: sofort löslich. Polaroids ließen sich in kürzester Zeit mit einer Sofortbildkamera erstellen, und die Sofortreinigung suggerierte, dass der Übergang von schmutzig zu sauber ohne Zeitverlust über die Bühne gehen könne. Das sind alles Beispiele aus analogen Zeiten – und entsprechend rührend. Aber eines verbindet sie mit den medialen Instant-Formaten – Twitter, Instagram etc. – des digitalen Zeitalters: die Wertschätzung des nahezu Simultanen, des kurzen Prozesses. Auf politisch-gesellschaftlicher Ebene findet das seit den späten Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts seine Entsprechung in der Feier der Spontaneität: Gegenkonzept zur allmählichen Vermittlung dogmatischer Lehrinhalte, zu Schulung und konzeptioneller Enge. Die Bewegung der „Spontis“ war dafür unmittelbarer Ausdruck. Spontane Aktionen, vom Straßentheater über Hausbesetzungen, wurden als probateres Mittel angesehen, die Massen, die Arbeiter oder die Mitbürger zu erreichen, als parteibuchkonforme Indoktrination. Eigentlich eine ausgesprochen basisdemokratische, durchaus emanzipatorische Idee: Jeder kann mitmachen beziehungsweise sich anschließen; für eine solche Teilnahme ist weder eine besondere Qualifikation oder Expertentum noch Erfahrung in politischer Praxis erforderlich. Solche Happenings finden in der analogen Welt kaum noch statt, Occupy war kein langes Leben beschert. Im Internet, in Gestalt der Schwarmintelligenz, gibt es sie durchaus. Man könnte argumentieren, dass auch in der virtuellen Realität, im Twitter-Gewitter, in den reflexartig abgesonderten Tweets, die emanzipatorische Grundidee, sich Autoritäten nicht zu beugen und dies durch spontane Kundgebungen auszudrücken, ihre Fortsetzung gefunden hat. Ich glaube aber, dass es sich um eine Pervertierung dieser Idee handelt: Der (meist) anonyme Twitterer oder Follower (dazu später mehr) hat mit seinen Einlassungen nicht das gesellschaftliche Wohl im Auge, sondern nur das eigene Wohlbefinden. Das mit einer selbst ausgestellten Lizenz zum Pöbeln – so wird das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verkürzt und leider häufig missverstanden – am schnellsten erreicht wird. Fähigkeit zur Differenzierung Der typische pöbelnde Twitterer erkennt zwar keine Autoritäten an, aber das ist kein politischer Gestus des Protests, sondern einer der Selbstermächtigung, der Grandiosität. Er kann sich keinen anderen Standpunkt, keine andere Sichtweise anverwandeln, als diejenige, die seinem eigenen Vorteil oder eben Wohlbefinden – neudeutsch Komfortzone; wie verräterisch! – dient. Komfortabel fühlt er sich unter seinesgleichen. Die Kriterien für „seinesgleichen“ sind nicht verhandelbar, sondern im Sinne von Merkmal – Nationalität, Religion – gegeben. (Die derzeitige Feier des Performativen – jeder ist nur er selbst, performt sich selbst, Bühne hin oder her, – entspringt vermutlich einem ähnlichen Misstrauen in die Kraft der Abstraktion und die durch Reflexion entstehende Fähigkeit zur Distanzierung. Aber das wäre einen eigenen Essay wert.) Eine unmittelbare und schwerwiegende Folge dieser Selbstermächtigung ist das Wegfallen der Unterscheidung zwischen Privatperson und Bürger. Nicht das Private ist politisch, sondern das Politische privat. Es gab im Frühjahr 2017 seitens der evangelischen Kirche eine Initiative, die dem Spontanen, Unüberlegten, Instant-Angerührten den Kampf ansagte und Enthaltsamkeit anriet. Die Fastenaktion hieß: Augenblick mal! Sieben Wochen ohne Sofort.
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