10 nach 8: Julia Eckert über Asylrecht

 
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22.06.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Auch ich bin das Volk!
 
In meinem Namen sollen Menschen in Kriegsgebiete abgeschoben werden? Zu meiner Sicherheit werden Menschen in Lagern festgehalten? Ich will das ganz bestimmt nicht.
VON JULIA ECKERT

Das Transitzentrum für Asylsuchende im bayrischen Manching könnte eines von mehreren sogenannten Ankerzentren werden.
 
Das Transitzentrum für Asylsuchende im bayrischen Manching könnte eines von mehreren sogenannten Ankerzentren werden.
 

Ich bin fassungslos: In welchem Land lebe ich? Wie kann es sein, dass wir Menschen Grundrechte verweigern? Wie kann es sein, dass wir unsere zentralen Werte abschaffen: die im Grundgesetz verankerte Würde des einzelnen Menschen, das Menschenrecht auf Leben – jedes Menschen! - und die Werte der Mitmenschlichkeit? Für wen tun wir das und warum?

Was soll das heißen: "Das Volk wendet sich gegen Merkel" (Trump)? Welches Volk? Ich bin auch das Volk. Und Millionen anderer in diesem Land, die ein Asylrecht, das den Namen wert ist, für wichtig halten. Die sehr wohl daran glauben, dass wir das schaffen; die keine Angst haben vor einer gemeinsamen Zukunft. 

Die eine solche gemeinsame Zukunft wollen, weil sie das einzig Mögliche ist, weil sie überzeugt davon sind, dass alles andere, wie die weitere Entrechtung durch den Abbau des Asylrechts, nur zu mehr Elend und sozialen Spannungen führt und nichts löst. Die Millionen, ja: Millionen! (Siehe Studien: Ahrens 2017, DIW 2017; Karakayali 2018), die sich – mit oder ohne deutschen Pass, hier geboren oder neu angekommen – seit Jahren und seit 2015 ganz besonders darum bemühen, eine solche gemeinsame Zukunft möglich zu machen. Und die dabei durch immer neue Gesetze der Entrechtung behindert, als "Gutmenschen" geschmäht, vor allem aber völlig ignoriert werden. Wieso hört uns keiner? Sind wir nicht "das Volk", nur weil wir keine (potentiellen) AfD-Wähler sind?

"Merkels Alleingang" war kein Alleingang. Millionen von Menschen in diesem Land standen und stehen hinter ihrer Entscheidung, wie auch Millionen anderer Europäerinnen und Europäer von Griechenland bis Schweden. Nicht aber ihre Partei. Und nicht die anderen europäischen Regierungen. 

Auch die Medien, die vom Kippen der Stimmung sprachen, haben uns weismachen wollen, dass wir allein seien mit unserer Überzeugung, dass die Hilfe für Menschen in Not, die Öffnung unserer Gemeinden, Häuser, unserer Schulen, Krankenhäuser, und Arbeitsstätten nicht nur ethisch richtig, sondern auch möglich ist; dass wir das schaffen.

Wir sind fassungslos über die Normalisierung rassistischer Mythen in den Medien. Wir lassen uns nicht entmutigen von den Widerständen in Politik und Medien, und dem vielfachen Versagen der Verwaltung, auf die wir stoßen. Wir sind immer noch der festen Überzeugung, dass wir das sehr gut schaffen, und dass es uns noch besser gelingen würde, wenn diejenigen unter uns, die auf das Asylrecht angewiesen sind, um hier zu sein, mehr Sicherheit, mehr Zukunftsperspektiven hätten.

All das, was gerade abgeschafft wird, sodass vom individuellen Recht auf Asyl, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet wurde, nichts mehr übrigbleibt, weil nicht mehr geprüft wird, ob jemand einen Anspruch auf Asyl hat, sondern nur, ob er oder sie nicht auch anderswo bleiben könnte. Und all das geschieht immer mit Berufung auf mich, "das Volk". Nein! Ich will das nicht, was ihr in meinem Namen tut. 

Ich will nicht, dass in meinem Namen und angeblich zu meiner Sicherheit Menschen in Kriegsgebiete zurücktransportiert werden. Ich will nicht, dass in meinem Namen und angeblich zu meiner Sicherheit Menschen in sogenannten sicheren Drittstaaten verelenden. Ich will nicht, dass in meinem Namen und angeblich zu meiner Sicherheit Menschen in Lagern, die ihr Ankerzentren nennt, festgehalten werden, sodass wir uns nicht mehr begegnen können.

Wie Millionen anderer will ich nach wie vor, dass Menschen hier Zuflucht finden und sich ein neues Leben aufbauen können. Ich will ein erweitertes Asylrecht, das die Menschenwürde wahrt, und das den Gegebenheiten von Not und Gewalt in unserer gegenwärtigen Welt gerecht wird. Ich will, dass Menschen, die zu uns fliehen, sich hier ein Leben aufbauen können, mit ihren Familien, dass sie hier arbeiten dürfen, selbst darüber entscheiden dürfen, ob und wann sie zurückkehren können.

Ich will, dass Flucht nicht kriminalisiert wird, sodass Menschen, die zu uns fliehen, sicher sind und nicht auf dem Weg ertrinken, in Lastwagen ersticken, oder in Lagern gefoltert und versklavt werden. Ich will, dass Menschen selbst entscheiden dürfen, wo sie ihre Zukunft am Besten aufbauen können, und sie nicht in absurdem administrativen Geschacher von einem Ort zum anderen geschickt werden. Und ich bin auch das Volk!

Julia Eckert ist Professorin für Sozialanthropologie an der Universität Bern. Sie ist im Vorstand der Iniatitive "Wir Machen Das". Sie lebt in Bern und Berlin und ist Gastautorin von "10 nach 8". © privat


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