Freitext: Norbert Niemann: Nur die Quote zählt

 
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30.06.2018
 
 
 
 
Freitext


Nur die Quote zählt
 
 
Aufmerksamkeit bekommt derzeit nur populistisches Geschrei, nicht die kritische Reflexion. Gerade in Deutschland sollte man sich an die Gefahr von Propaganda erinnern.
VON NORBERT NIEMANN

 
© plainpicture/Millennium/Attura Nadia
 

In dem klugen, differenzierten Beitrag von Michael Ebmeyer vom 6. Juni gibt es einen einzigen Punkt, den ich mir noch präziser und differenzierter gewünscht hätte – und der steht gleich in der Überschrift. Die undogmatische, selbstkritische „linke Erzählung“, die der Autor vermisst und verzweifelt sucht, gibt es nämlich längst. Ein Nachdenken kritischer Intelligenz darüber, „wie wir uns von der neoliberalen Irrlehre lösen und erkunden, wie eine neu und demokratisch fundierte internationale Solidarität aussehen kann“, findet an vielen Orten statt – unter anderem auch hier im Freitext. Allerdings ist dieses Nachdenken so sehr im Lärmteppich des medialen Tagesgeschäfts verstreut, dass ihr Gemeinsames aus eigener Kraft offenkundig kaum noch bemerkt wird. Ebmeyers Argumente korrespondieren in vielem, was in früheren Beiträgen zuletzt – als zwei Beispiele für viele andere kritische Stimmen, die sicherlich ebenfalls zu finden sind – von Dagmar Leupold oder mir vorgetragen wurde. Das thematische Zentrum ändert sich – MeToo-Debatte, Populismus, konservative Revolution, Sigmar Gabriel lobt Thea Dorn etc. –, die Analysen berühren sich, die Forderungen sind ähnlich. Aber dass dies und wie dies alles zusammenhängt, wird offenbar nicht wahrgenommen, geschweige denn herausgearbeitet.
 
Woran liegt das? Wie wäre dem entgegenzuwirken? Kritisches Denken bedarf der Unterstützung durch einen Kulturjournalismus, der das Verstreute zusammendenkt, das Nachdenken konturierend begleitet. Warum aber versäumt die mediale Öffentlichkeit, ausgerechnet für undogmatische, kritisch reflektierende Diskussionen angemessene Aufmerksamkeit aufzubringen, während alle Aufmerksamkeit ständig auf das reaktionäre Geschrei von Populisten gerichtet wird? Wie steht es diesbezüglich ums journalistische Ethos, um die Selbstkritik der vierten Gewalt? Wieso andererseits redet die Kanzlerin, wenn sie von Europa spricht, nur vom Wirtschaftsstandort, nicht aber von der Idee Europa? Darüber, wofür es steht? Über den Stellenwert kritischer Vernunft, die Rolle von Bildung und Kultur bei der Verwirklichung dieser Idee?
 
Das Abgleiten in Barbarei verhindern
 
Ganz ohne Zweifel ist ein Grund dafür in der feindlichen Übernahme unserer Öffentlichkeit durch verkaufs-, also konsumorientierte Marktstrukturen zu finden. Seit mindestens zwanzig Jahren ist Absatz, also Quantität, also Quote ausschlaggebend für die Verbreitung von Haltungen, Meinungen, Bewertungen – wer glaubt, dies hätte sich nicht schon längst erzieherisch prägend auf die Strukturen des Denkens vieler, gerade auch junger Menschen ausgewirkt, die etwas anderes gar nicht mehr erfahren haben, ist naiv oder – geschichtsvergessen. Gerade in Deutschland, sollte man meinen, müsste das Wissen um die Macht und Gefahr struktureller Propaganda noch vorhanden und wach sein. Und allerspätestens seit dem Cambridge-Analytica-Skandal um den Missbrauch von Facebookdaten zu Wählermanipulationen ist sie für alle offen sichtbar. Wo aber bleiben jenseits von Empörung und ersten, noch reichlich ungelenken juristischen Schritten die bildungs-, die kulturpolitischen Gegenmaßnahmen?

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