Karliczek und die KMK | Dogmenbruch in den USA | Einstein unter Rassismusverdacht | 3 ½ Fragen an Stefan Selke

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
   
 
Liebe Leserinnen und Leser,
dieser CHANCEN Brief lässt sich ganz gut von hinten nach vorne lesen. Im Fragebogen bekennt sich Stefan Selke zum Kunstflug und schwört dabei auf den Rückenflug. Komplett auf den Kopf gestellt wird das Bild von Albert Einstein in der Welt. Das Genie steht unter Rassismusverdacht. Die Universität Chicago bricht mit einem Dogma. Und es gibt Neuigkeiten vom Stellungskampf zwischen den Kultusministern und Anja Karliczek.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Karliczek bei der KMK
Wie tief müssen die Erwartungen von BMBF und KMK an den ersten offiziellen Besuch von Anja Karliczek bei den Kultusministern gewesen sein, wenn die gemeinsame Pressemitteilung im Anschluss an das Treffen am vergangenen Freitag folgende Überschrift trägt? „Kultusministerkonferenz und Bundesministerin vereinbaren Zusammenarbeit“. Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Offenbar nicht (mehr), zeigt die Headline. Entsprechend dürftig fielen die Ergebnisse dieser jüngsten Bund-Länderberatungen in Erfurt aus. Beim Digitalpakt und in der Debatte zum Bildungsrat kommen Bund und Länder nicht nennenswert voran (siehe oben). Stagnation ist auch in den Verhandlungen zum künftigen Hochschulpakt festzustellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hochschulen von 2020 an jährlich mehr Geld für die Lehre bekommen, geht gegen Null (HandelsblattWallstreetOnline). Garantierte Budgetsteigerungen in der Wissenschaft bleiben das Privileg der  außeruniversitären Forschungsorganisationen. Eine bittere Pille für Hochschulen und ihre Rektorenkonferenz birgt auch die beschlossene Reform der Medizinerzulassung (Spiegel Online, FAZ, MDRSZTagesspiegelZEIT-Online). Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Herbst im Zugzwang verabschieden sich die Länder nun zwar davon, 20 Prozent der Studienplätze an die Bewerber zu vergeben, die am längsten darauf warten können (KMK). Die anstelle der Wartezeitquote geplante Talentquote muss allerdings noch genauso näher beschrieben sein wie die zwei Kriterien, die die Hochschulen bei ihrer Kandidaten-Auswahl neben dem Abitur anzuwenden haben. 60 Prozent der Medizin-Studienplätze durften die Unis bislang vollständig autonom vergeben. Jetzt geben die Länder den Unis Kriterien vor. Ein Einschnitt in die Hochschulautonomie, den die Kultusminister mit dem Karlsruher Urteil begründen können. Die Richter hatten moniert, dass die Unis vor allem nach der Abiturnote auswählen.
  
 
 
Dogmenbruch in Chicago
Eine größere Revolution in der Hochschulzulassung deutet sich auch in den USA an. Die elitäre Universität Chicago bricht mit dem Dogma der Aufnahmetests ACT/SAT (Chronicle). Diese Prüfungen sollen künftig nicht mehr verpflichtend sein. Schulnoten und die gewählten Fächer sollen bei der Studierendenauswahl dafür eine größere Rolle spielen. „Several deans and college counselors predict that the move will soon prompt other high-profile colleges to abandon their testing requirements“, berichtet der Chronicle. Mit der Abkehr von den an US-Eliteunis üblichen Tests verabschiedet sich Chicago allerdings nicht vom Paradigma der Bestenauslese. Im Gegenteil, die Universität will bei der Talentsuche die Auswahlchancen von Kinder aus bildungsfernen und ärmeren Familien auf einen Studienplatz erhöhen. Wie genau das mit welchen Instrumenten gelingen kann, ist allerdings noch unklar.
  
 
 
Einstein unter Rassismusverdacht
Einstein zieht immer. Das Genie mit der herausgestreckten Zunge ist einfach zu drollig. Mehr als 60 Jahre nach seinem Tod gibt der bekannte Ausnahmephysiker und Humanist der Welt ein neues Rätsel auf. War everybody‘s darling im tiefsten Inneren ein Rassist? Yes, findet der Guardian, „Einsteins travel diaries reveal ‚shocking‘ xenophebia“. Seitdem geht es medial weltweit rund (NYT). Die privaten Reisenotizen wurden erstmals auf Englisch als "Travel Diaries of Albert Einstein: The Far East, Palestine, and Spain, 1922 - 1923" von der Princeton University Press herausgegeben. Zur Begegnung mit Chinesen auf der Straße konstatiert Einstein darin etwa ein "drolliges gegenseitiges Anglotzen." An anderer Stelle bezeichnet er sie als "emsige, schmutzige, stumpfsinnige Menschen", die beim Essen sitzen, "wie es Europäer tun, wenn sie sich im Wald erleichtern" (Spiegel). Ze'ev Rosenkranz vom "Einstein Papers Project" am California Institute of Technology editierte die Aufzeichnungen und ließ sich mit der Aussage zitieren, dass es "schockierend“ wäre, „dies zu lesen und es mit öffentlichen Aussagen abzugleichen." Während internationale Medien, darunter auch chinesische Staatsmedien, die Formel vom „Einstein-Schock“ weitgehend übernahmen, mühten sich die Deutsche Welle und Newsweek um Ausgleich, indem sie chinesische Leserkommentare zitierten: "Seine Argumente sind in der Tat rassistisch. Ich glaube, er hätte sowas nach dem Zweiten Weltkrieg nicht geschrieben." Was sich Einstein wirklich beim Schreiben gedacht hat, wird sein Geheimnis bleiben. Tatsache ist, dass die Notizen gegen seinen Willen veröffentlicht wurden. Nicht respektiert wurde auch Einsteins Wunsch, restlos verbrannt zu werden. Der US-Pathologe Thomas Harvey hatte den Kopf des Genies heimlich aufgesägt, Gehirn entnommen und für die Nachwelt konserviert. Die Schnitte sind ab 29. Juni im westfälischen Museum Münster in einer Sonderausstellung zu sehen. Deren Titel: Das Gehirn – Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl.
  
   
 
 
   
   
   
Anzeige
 
   
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Die Zahl
 
 
   
 
   
200
der rund 300 Max-Planck-Direktorenstellen werden in den kommenden zwölf Jahren neu besetzt. Die Chance zur Erneuerung will MPG-Präsident Martin Stratmann offensichtlich ergreifen. Bis 2030 werde „eine neue Max-Planck-Gesellschaft entstanden sein“, versprach Stratmann in seiner Festrede (PDF) bei der MPG-Jahresversammlung in Heidelberg.
   
 
   
   
Quelle: MPG
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
3½  Fragen an…
 
 
   
 
   
Prof. Dr. Stefan Selke

Professor für gesellschaftlichen Wandel und Öffentlicher Soziologie, Hochschule Furtwangen

 
Was haben Sie zuletzt von jemand anderem gelernt?
Die Sprache der Wissenschaft verwandelt Leid zu oft in Texte. Gelernt habe ich dies beim argentinischen Schriftsteller Martín Caparrós. In seinem Buch „Hunger“ zeigt er, wie Armutsberichte, Statistiken und Fachjargon das Problem der Armut letztlich zum Verschwinden bringen. „Fachsprache fehlt jegliche Emotionalität“, lautet das Fazit des Reporters, der selbst wunderbar poetisch schreibt und engagiert anklagt. Seit ich das verstanden habe, versuche ich selbst anders zu schreiben.
 
Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Die eigene Haltung. Ich staune immer wieder, wie professionell und gleichzeitig unbeteiligt Wissenschaftler sein können. Lebensform und Wissensform sollten aber zusammenfinden. Es ist auch im System der Wissenschaft schädlich, zwar „als Mensch“ moralisch beteiligt dafür aber „als Wissenschaftler“ distanziert zu sein. So gäbe es mehr nachhaltige Kooperation statt Konkurrenz.
 
Lektüre muss sein. Welche?
Elias Canetti: Die Befristeten. Ein altes Drama, das bestens in unsere Zeit passt. In Form eines phantastischen Gedankenexperiments lotet Canetti die Frage aus, wie sich soziales Verhalten in einer Gesellschaft ändert, wenn die eigene Lebensdauer schon bei der Geburt bekannt ist und ein „Kapselan“ das exklusive Wissen über die Todesaugenblicke besitzt. Sehr anschlussfähig an die aktuellen Debatten über Big Data und Künstliche Intelligenz.
 
Und sonst so?
Ich übe Kunstflug, weil Lächeln im Rückenflug schön entspannt, das Gehirn so richtig auf Touren bringt und ich – anders als sonst – sofort weiß, was ich falsch und was ich richtig gemacht habe. Sehr zu empfehlen für alle, die über zu viel Innendienst klagen.
   
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
Anzeige
 
   
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
»Irgendwann ist Zahltag« Tony Blair über seinen Kampf gegen den Brexit, das Misstrauen der Jugend – und darüber, was er heute studieren würde

Ideen für die Schule der Zukunft Was sich Schüler und Experten wünschen In der Warteschleife Deutschland unterstützt syrische Studenten in Jordanien. Sie sollen einmal beim Wiederaufbau ihres Landes helfen. Aber an eine Rückkehr ist noch nicht zu denken. Was jetzt?


Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
c.t.
 
 
   
 
Die Preisträgerinnen und Preisträger des Wettbewerbs „Eine Uni, ein Buch“ – einer Initiative von Stifterverband und Klaus-Tschira-Stiftung mit Unterstützung der ZEIT-Verlagsgruppe – waren zu Gast im Helmut-Schmidt-Haus, dem Sitz der ZEIT.
 
 
Foto: Achenbach/SV
 
 
 
 
 
   
Einen erfrischenden Wochenstart wünscht

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an – unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
   
Anzeige
Jobs im ZEIT Stellenmarkt
Jetzt Branche auswählen und Suche starten: