em gehört das BIG? | 100 Tage Anja Karliczek | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Statistischer Determinismus | Fußnote: Hochschulreformen

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
   
 
 
 
 
 
   
 
Liebe Leserinnen und Leser,
in diesen Wochen stehen einige von Ihnen ordentlich unter Strom: Es finden nämlich die Begehungen der geplanten Exzellenzcluster statt. Wir wünschen viel Erfolg! – Erfolg ist auch das Stichwort für unseren heutigen Standpunkt-Kommentator Jan-Martin Wiarda: Er findet die Idee, potenziell Studienabbrecher per Algorithmus vorherzusehen, höchst fragwürdig. Und wenn Sie gerade überlegen, welches Buch es demnächst auf Ihren Schreib- respektive Nachttisch schaffen sollte – Manuel J. Hartung hat einen Tipp, in der Fußnote.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
UK: Keine Visa-Privilegien für Indien
Großbritannien streckt, im Angesicht des Brexit, die Fühler in nicht-europäische Staaten aus. Das gilt auch für den Bildungssektor. Die Regierung kündigte an, weitere Nicht-EU-Staaten in einen „Fast Track“ aufzunehmen, der es Studierenden erleichtert, ein Visum zu bekommen, um in Großbritannien eine Universität besuchen zu können. Damit einher geht die Hoffnung, den Handel mit diesen Ländern zu erleichtern. Neu aufgenommen in diese Gruppe privilegierter Staaten sind u.a. Argentinien, Kambodscha, Indonesien, Serbien, Thailand. Augenfällig ist, wer nicht auf den Liste steht: Indien. Dabei kommt von hier ein Großteil der ausländischen Studierenden. Die Regierung begründet das mit einer Statistik, derzufolge indische Gaststudierende besonders häufig im Land verschwinden würden, hätten sie einmal ein Visum erhalten. Das britische Statistischen Bundesamt deckt diese Annahme allerdings nicht. (University World News; Times of India; Times Higher Education)
  
 
 
Wem gehört das BIG?
Was der Stadt Berlin ihr BER, ist der Berliner Wissenschaft das BIG. Es rumpelt seit Jahren am Berliner Institut für Gesundheitsforschung, und das hat vor allem damit zu tun, dass zu viele Köpfe gleichzeitig um Zuständigkeiten ringen. Hier kommt der neue Wasserstand: Nachdem Berlins Staatssekretär Steffen Krach und BMBF-Staatssekretär Georg Schütte monatelang einen Plan ausgefeilt hatten, der vorsieht, das BIG in die Charité zu integrieren, intervenierte kurz vor der Aufsichtsratssitzung überraschend Bundesministerin Anja Karliczek – mit einem Plan B, den sie ebenfalls geprüft haben will, nämlich eine vollständige Entkoppelung des BIG von der Charité. Nicht gerade ein kleiner Affront gegen ihren eigenen Staatssekretär. Offenbar verfolgt Karliczek hier denselben Kurs, wie beim DigitalPakt – sich nämlich als Bund bloß nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Eine Integration des BIG in die Charité würde für das BMBF eine dauerhafte finanzielle Beteiligung bedeuten, die bundesweit Nachfolger auf den Plan rufen könnte. (Oder dazu führt, dass die BMBF-Gelder, statt ans BIG zu fließen, im Charité-Krater versickern.) Ausführlich berichten Jan-Martin Wiarda in seinem Blog und der Tagesspiegel.
  
 
 
#ImmodestWomen
Wer an der Hochschule arbeitet, in der Wissenschaftsverwaltung oder sich sonst wo in der Scientific Community tummelt, weiß: Die Professoren- und Doktorgrad-Dichte ist hier so hoch, dass man sich im Grunde nicht mit dem Titel anspricht. Auch Konferenzflyer und Vortragsplakate kommen oft schlicht daher: Name, Institution, fertig. Wer außerhalb der Wissenschaft plötzlich – bewundernd, süffisant oder skeptisch – als „Frau Professorin“ oder „Herr Doktor“ angesprochen wird, zuckt da gerne mal zusammen. Die britische Historikerin Fern Riddell hat gerade eine Diskussion ausgelöst, die zeigt, wieviel Kultur- und Geschlechtergeschichte in den akademischen Titeln steckt. Sie werde den Teufel tun, schreibt sie, ihren Doktortitel zu verstecken – er symbolisiere ihre Expertise, gerade als Frau. Es folgten männliche Zurechtweisungen: Sie sei unbescheiden und arrogant. Riddell hat darüber lesenswert im New Statesman geschrieben; die Literaturwissenschaftlerin Gunda Windmüller bei watson. Auf Twitter finden Sie die Debatte unter dem Hashtag #ImmodestWomen sowie in diesem Thread
  
   
 
 
   
   
   
Anzeige
 
   
   
   
 
 
   
 
 
 
 
Personen
 
 
   
100 Tage Anja Karliczek
Am 14. März war die Vereidigung des aktuellen Merkel-Kabinetts – seitdem leitet Anja Karliczek (CDU) das Bundesministerium für Bildung und Forschung. 100 Tage sind seitdem vergangen. Eine Zwischenbilanz zieht Anna-Lena Scholz in der neuen ZEIT.

Stiftung für Hochschulzulassung
Die Stiftung für Hochschulzulassung, ansässig in NRW, hat eine neue Geschäftsführung, die in einen technischen und administrativen Part gesplittet ist. Ersteren übernimmt der Berliner Informatiker Peter Pepper; zweiteren der Hochschulmanager Oliver Herrmann. Sie folgen ab dem 18. Juni auf Ulf Bade.

Hochschule Stralsund
Die Hochschule Stralsund hat einen neuen Kanzler: Micha Leckebusch. Der erweiterte Senat wählte den Betriebswirt im dritten Wahlgang. Zuvor war er als Finanzdezernent an den Universitäten Leipzig und Düsseldorf tätig.

Alfried Krupp-Förderpreis
Der diesjährige Alfried Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer – verliehen von der Essener Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, dotiert mit einer Million Euro – geht an Julian Stingele. Der Biomediziner ist Professor am Genzentrum der LMU München.

Job: Mitgestalter gesucht
Sie kennen das: Sie lesen im CHANCEN Brief über neueste hochschulpolitische Volten und denken, zwischen Frustration und Größenwahn schwankend: „Wenn ICH mal am Ruder wäre…!“ Bitteschön, jetzt können Sie. Das BMBF sucht Referentinnen und Referenten aus den Bereichen Physik, Mathematik, Informatik, Biologie, Medizin, Bildungs- und Erziehungswissenschaft: „Gestalten Sie mit uns die Bildungs- und Forschungspolitik!“ heißt es in der Ausschreibung im aktuellen ZEIT Stellenmarkt.
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
Statistischer Determinismus
Die ingenieurswissenschaftlichen Fakultäten galten lange Zeit als die Schmuddelkinder in Sachen Studienabbruch. Sie hatten die höchsten Abbrecher-Quoten und kein besonders ausgeprägtes Bewusstsein für dieses Problem. Das hat sich zum Glück geändert. Nicht weil acatech und der Hochschulverband TU9 in einer eigenen Studie auf andere – niedrigere – Zahlen als das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) kamen. Über deren statistische Aussagekraft lässt sich nämlich streiten. Sondern weil Ingenieurfakultäten und -fachbereiche überall im Land kreative Initiativen gestartet haben, die Erstsemestern den Studieneinstieg erleichtern und den Studenten insgesamt dabei helfen, bei der Stange zu bleiben.
Jetzt treiben Wissenschaftler an einer der TU9-Hochschulen den Stoppt-den-Dropout-Enthusiasmus auf die Spitze. Die FAZ berichtete, dass Berthold Wigger und seine Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) einen Algorithmus entwickelt hätten, der Studienabbrüche früh und erstaunlich verlässlich prognostizieren könne. Wigger selbst ist gar kein Ingenieur, sondern Wirtschaftswissenschaftler, aber sein Algorithmus beruht auf den Studienverläufen von Ingenieurstudenten. Anhand biographischer Daten und der im ersten Semester in bestimmten Prüfungen gezeigten Leistungen könne die Künstliche Intelligenz mit einer bis zu 85-prozentigen Wahrscheinlichkeit voraussagen, ob ein Studienanfänger später zum Abbrecher wird. Nach drei Semestern liege die Trefferwahrscheinlichkeit bei 95 Prozent.
Ihre Erkenntnisse könnten helfen, um potenzielle Abbrecher, die bislang unter dem Radar blieben, zu identifizieren, anzusprechen und ihnen rechtzeitig spezielle Unterstützung zukommen zu lassen, argumentieren die Wissenschaftler. „Es ist bedauerlich, dass bisher kaum einer bereit ist, dafür Geld in die Hand zu nehmen“, zitiert die FAZ Wigger.
Man kann es auch andersherum sehen: Welch Glück, dass sich die Algorithmus-Begeisterung bislang an den Hochschulen nicht durchgesetzt hat. Die guten Absichten der Wissenschaftler in allen Ehren – wie aber soll ein Student Mut aus der Nachricht ziehen, dass er statistisch gesehen eigentlich gleich einpacken kann? Und wer garantiert, dass nicht alsbald die Idee anderswo auf die nächste Spitze getrieben wird: indem eine Hochschule bereits vor Studienstart anhand der Noten in einzelnen Schulfächern festlegt, wer welchen Studiengang studieren darf und wer nicht? Nicht per offiziellem Verbot, sondern indem sie den Leuten ins Gesicht sagt: Das wird wohl nichts, und zwar mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit.
Mehr Betreuung, mehr Beratung? Unbedingt. Ein statistischer Determinismus jedoch ist das Gegenteil dessen, was (Hochschul-)Bildung ausmachen sollte: die Bejahung des persönlichen Entwicklungspotenzials jenseits aller Wahrscheinlichkeiten. Dann schon lieber etwas höhere Abbrecherquoten. 
   
 
   
Sie stehen woanders? Schreiben Sie uns! chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
   
 
 
   
   
   
Anzeige
 
   
   
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Die AfD beschwert sich über Pädagogen – sie verstießen gegen das Neutralitätsgebot, heißt es 

Ohne Signal Hundert Tage Anja Karliczek. Und was kommt jetzt? »Was ist bloß mit den Vätern los?« Von wegen Vereinbarkeit! Sich um die Kinder zu kümmern macht Männer unzufrieden, sagt der Soziologe Martin Schröder Sie spielen sich selbst Jung, gut ausgebildet, arbeitslos: Am Athener Nationaltheater lässt sich beobachten, wie sich in Griechenland eine ganze Generation in der Krise einrichtet

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
   
 
   
Wenn ich bei einer Frage zur Geschichte der deutschen Hochschulen nicht weiterkomme, dann gibt es immer einen Ausweg: George Turner um Rat fragen, den früheren Wissenschaftssenator und Präsidenten der WRK. Vor einiger Zeit wollte ich wissen (ja, das war sehr spezifisch), auf welche Weise Abschlüsse von Ingenieurschulen in NRW in FH-Abschlüsse umgewandelt werden konnten, nachdem die Ingenieurschulen FHs wurden. Turner sagte, wie aus der Pistole geschossen, er habe dazu Anfang der 80er Jahre einen Aufsatz geschrieben, den er mir gleich senden würde. Der Aufsatz kam, Frage beantwortet. Umso größer meine Vorfreude auf das neue Buch von Turner, das gerade bei Duncker & Humblot erschienen ist: „Hochschulreformen: Eine unendliche Geschichte seit den 1950er Jahren“. Ich habe das Buch gebannt gelesen – es ist nicht nur überaus kenntnisreich, sondern auch klar einordnend und verliert nie die große Linie aus den Augen. „Es fehlt der Hauptnenner in der Hochschulpolitik“, schreibt Turner. Warum Hochschulreformen so überdauernd und so überdauernd schwierig sind, tritt hier deutlich vor Augen. Das Buch ist Pflichtlektüre für alle, die sich mit Hochschulen beschäftigen – egal ob Rektor, Professorin, Journalistin oder Mitarbeiter einer forschungsfördernden Organisation.
Manuel J. Hartung
   
 
   
 
 
   
Kluge Bücher auf dem Schreibtisch wünscht Ihnen

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an – unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
   
Anzeige
Jobs im ZEIT Stellenmarkt
Jetzt Branche auswählen und Suche starten: