10 nach 8: Caroline Rosales über Marion Maréchal

 
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15.06.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Das neue Gesicht der Rechten
 
Marion Maréchal verkörpert Kumpeltyp und feministisches Role Model in einem. Sie baut in Frankreich eine Identitäre Bewegung auf. Lassen wir uns von ihr nicht täuschen!
VON CAROLINE ROSALES

Marion Maréchal tritt im Gewand der stramm patriotischen, aber nicht rechtsradikalen Politikerin auf. © Jim Watson/AFP/Getty Images
 
Marion Maréchal tritt im Gewand der stramm patriotischen, aber nicht rechtsradikalen Politikerin auf. © Jim Watson/AFP/Getty Images
 

Sie ist die Frau, von der Steve Bannon, wichtigster Berater Donald Trumps bis 2017 und Chefideologe der globalen populistischen Rechten, sagt: "Sie ist nicht nur ein aufsteigender Stern in Frankreich, sondern einer der beeindruckendsten Menschen dieser Welt." Marion Maréchal, 28 Jahre, Jura-Absolventin, Mutter einer vierjährigen Tochter, geschieden und mit einem Funktionär der rechtspopulistischen italienischen Lega Nord liiert, scheint für den ehemaligen Herausgeber von Breitbart News die wichtigste Hoffnungsträgerin in Europa zu sein. Mehr noch: Der geistige Begründer von Trumps America-First-Kampagne, der laut eigener Aussage den Rechten in Europa den Nationalismus näherbringen will, ist auch derjenige, der Maréchal in den USA hofierte.

Und plötzlich ist sie da. Onduliertes blondes langes Haar, schwarzer Blazer, schwarze Hose, weiße Bluse, gewinnendes Lächeln. Marion Maréchal sieht aus wie der Inbegriff des American Dream, als sie Anfang des Jahres in Maryland auf der "Conservative Political Action Conference" an das Rednerpult tritt. Nach der Niederlage ihrer Tante, Marine Le Pen, 2017 gegen Präsident Emmanuel Macron hatte die einst jüngste Abgeordnete der Nationalversammlung Frankreichs ihren Rückzug bekannt gegeben – offenbar nur, um jetzt mit größerer Wucht auf die politische Bühne zurückzukehren.  

Stramm patriotische Rhetorik

"Bonjour, meine konservativen Gefährten. Ich hoffe, Sie mögen einen kleinen französischen Akzent", beginnt sie ihre Rede auf Englisch. Und sofort bekommt sie tosenden Beifall. Sie versucht es mit Humor und es funktioniert. Marion Maréchal ist die Jüngste der Dynastie Le Pen, Enkelin von Jean-Marie Le Pen, dem Gründer der rechtsradikalen Front National. Sie sei die "Macron der Rechten", ein Shooting-Star, der es nach dem Vorbild des französischen Präsidenten innerhalb von zwei Jahren an die Spitze schaffen könnte, sagen die französischen Medien.

Marion Maréchal dementiert bislang – lächelnd und freundlich. Stattdessen gibt sie die Gründung einer Akademie für Identitäre bekannt, die in Lyon im Oktober 2018 eröffnet wird, und die nach ihren Worten eine Alternative zum französischen Elitensystem darstellen soll.

Maréchal hat einen Masterplan. Im Gewand und mit der Rhetorik einer stramm patriotischen, aber niemals rechtsradikalen jungen Frau arbeitet sie sich Schicht für Schicht vor. Sie hat Zeit, sie ist jung. Im Gegensatz zu den wütenden alten weißen Männern und streng guckenden Frauen, die in den Führungsspitzen der neuen Rechten ihrer eigenen Karikatur entsprechen, umgibt Maréchal die Aura der Jugendlichkeit und des Aufbruchsgeistes. Sie wirkt dynamisch, fährt Motorrad ("Suzuki") auf den Straßen ihrer südfranzösischen Heimat Vaucluse. Einmal wird sie für das Magazin "Closer" beim Surf-Urlaub auf Korsika fotografiert.
 
Bruch mit der Familie

Sie ist ein Kumpeltyp, ein feministisches Role Model und wäre sie nicht ultrarechts, würde sie als Vorbild für unsere Töchter taugen. Ihr Großvater, der alte Jean-Marie Le Pen, war für junge Französinnen wie mich vorhersehbar, seine politischen Aussagen plump und ein Fall für den Verfassungsschutz. Als Großmeister des Eigentors flog der ehemalige Fremdenlegionär im Jahr 2015 schließlich auf Initiative seiner Tochter Marine Le Pen aus seiner eigenen Partei. Er hatte die Gaskammern der Nazis wiederholt als "Detail der Geschichte" bezeichnet.

Jean-Marie Le Pen war immer schon inakzeptabel. Auch Marion Maréchal hatte keine Probleme, mit dem düsteren Großvater zu brechen. Sagte sie im Jahr 2014 noch zur Freude des Großvaters, sie habe mit der Geburt ihrer Tochter Olympe (benannt nach der Frauenrechtlerin Olympe de Gouges) ihre vaterländische Pflicht erfüllt, bemüht sie sich seit Kurzem um maximale Distanz zu ihren Wurzeln. Für ihre politische Neuausrichtung durchschnitt sie das familiäre Band: Den Familiennamen Le Pen legte sie Ende Mai ab und will seitdem nur noch Maréchal genannt werden.

Ihre Kunst ist das Verwirrspiel

"Marion Maréchal hat keine Skrupel, in lebendiges Fleisch zu schneiden, ihr eigenes", sagte ein Kommentator des Radiosenders RTL über den Bruch mit dem Großvater und ihre Namensänderung. Jede Spur zum Front Nationale, der sich jüngst in Rassemblement National (RN, Nationale Vereinigung) umbenannt hat, um bei der Europawahl breitere Wählerschichten zu erreichen, soll verwischt werden. "Sie will es wie Macron mit seiner En-Marche-Bewegung nicht über den Marsch durch die Institutionen schaffen, sondern durch eine junge Avantgarde, die ihre eigene Partei gründet. Und das macht uns Angst", sagt eine Redakteurin der französischen Tageszeitung Ouest France. Ihr Vorgehen sei wenig transparent, ihre Akademie wohl nichts anderes als ein Anwerbungszentrum für identitäre Nachwuchskräfte.

Jeder ihrer Schritte bis zur Wahl 2022 in Frankreich wird wohl überlegt sein. "Der Rechten fehlt ein intellektueller Ansatz zur Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte. Es fehlt an Theorien, die uns helfen können, für unsere Prinzipien zu argumentieren", sagte sie vor Tagen in einem Interview mit dem Magazin Figaro. Dabei zitiert Maréchal gerne – wie viele europäische Rechte – den italienischen Philosophen Antonio Gramsci. Der Gelehrte des 20. Jahrhunderts sagte, dass jedem politischen Sieg eine Revolution der Ideen vorausgehe. 

Die dunkle Seite des Mondes

Die Kunst der Marion Maréchal liegt im Verwirrspiel, in der Tarnung und Täuschung. Was, wenn die Strategie aufgeht, dass ausgerechnet die Radikalste der Le Pen-Dynastie, die als härter, konservativer und katholischer gilt als ihre Tante Marine, sich künftig glaubhaft als gemäßigte intellektuelle Politikerin präsentieren kann? Könnte sie schon 2022, mit 33 Jahren, die Kandidatin einer rechten Sammelbewegung werden, wie sie Europa noch nicht gesehen hat? Wenn Ultrarechte nicht mehr alt und wütend, sondern lustig, geistreich und schön sind, werden wir sie noch als solche erkennen?

Fast elf Millionen Franzosen wählten 2017 den Front National. Marine Le Pen lag bei Umfragen zu Beginn des Wahlkampfs um die Präsidentschaft bei über 30 Prozent im ersten Wahlgang. Am Ende wurden es 23,1 Prozent. Im zweiten Wahlgang pendelten sich die Umfragewerte bei rund 39 Prozent ein, es wurden am Ende 34 Prozent. Es war der größte Sieg in der Geschichte der Partei.

Könnte es dank Maréchal im Jahr 2022 für einen Sieg der Rechten reichen? Wir europäischen demokratischen Wähler leiden an Überheblichkeit. Man blickt erhobenen Hauptes auf die früheren dunklen Zeiten zurück und hält sich für kritisch. "Propaganda" klingt archaisch und nach vergangenen Tagen. Wir, die politischen Menschen der Gegenwart, sind gute Konsumenten. Vor allem von schönen Bildern. Und intellektuell angehauchten Botschaften. Wie die von Marion Maréchal. Das Schöne kann böse sein wie der Mond eine dunkle Seite hat. Wir müssen wachsam bleiben und sie erkennen, auch wenn sie im neuen Gewand erscheinen.

Caroline Rosales, geboren 1982 in Bonn, arbeitet als Redakteurin der FUNKE Mediengruppe. Zudem ist sie Autorin von zwei Sachbüchern. Im Jahr 2012 gründete sie den Blog Stadtlandmama.de, der bis heute zu den größten Elternblogs in Deutschland zählt. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Berlin und ist Gastautorin von "10 nach 8".


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