Freitext: Katja Oskamp: Herr Hübner ist da

 
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23.06.2018
 
 
 
 
Freitext


 
Herr Hübner ist da
 
Unsere Autorin ist Schriftstellerin und nebenher Fußpflegerin in Marzahn. Vielen ist ein Besuch bei ihr peinlich, manche entschuldigen sich im Voraus. Und dann gibt’s noch die spezielle Laufkundschaft.
VON KATJA OSKAMP

 
© Lena Mucha für ZEIT ONLINE
 
 
Dieser Text ist Teil unserer Miniserie „Fußpflege in Marzahn“. Alle Folgen finden Sie hier.
 
Seit drei Jahren arbeite ich in Berlin-Marzahn als Fußpflegerin. Die meisten meiner etwa sechzig Kunden sind Stammkunden. Sie statten mir alle vier bis sieben Wochen einen Besuch ab. Im Lauf der Zeit habe ich diese Kunden kennengelernt, ihre Eigenheiten und Marotten, ihre Lebensgeschichten, ihre Schicksale. Ich mag sie, weiß sie zu nehmen und freue mich immer, sie nach einigen Wochen wohlbehalten wiederzusehen. Die Füße der Stammkunden sind dank regelmäßiger Pflege in gutem Zustand.
 
Hin und wieder taucht Laufkundschaft auf, die so heißt, obwohl sie nicht gut laufen kann – schmerzende Hühneraugen, eingewachsene Nägel oder die akuten Folgen eines blutigen Selbstversuchs im heimischen Badezimmer treiben sie in unser Studio. Auch Leute von auswärts, Leute mit Gutschein und Leute, denen der Anblick ihrer Füße nur vorübergehend wichtig ist (Wellnessurlaub, Krankenhausaufenthalt, neue Freundin), gehören zur Laufkundschaft. Manchmal gelingt es mir, die Laufkundschaft nach erfolgreichem Erstkontakt in Stammkundschaft zu verwandeln.
 
Menschen, die zum ersten Mal in unser Studio kommen, nennt meine Chefin Tiffy Neukunden. Betritt ein Neukunde das Studio, schließe ich insgeheim Wetten mit mir selbst ab: Folgetermin? Trinkgeld? Entschuldigung? Bei dieser, der Entschuldigungswette, tippe ich immer auf Ja und gewinne. Ob Polier vom Bau oder eitler Ganzkörpertätowierter, ob Schwangere oder Greisin, ob geistiger Tiefflieger oder Akademiker – wirklich jeder entschuldigt sich, wenn er im Fußpflegeraum zum ersten Mal Schuhe und Socken abstreift, für seine Füße. Es spielt überhaupt keine Rolle, in welchem Zustand sie sind. Die Sache ist neu und ungewohnt, die Begegnung ein bisschen zu intim, eine leichte Peinlichkeit entsteht – dem trägt die Entschuldigung Rechnung.
 
An einem Mittwochmorgen las ich im Terminbuch den Namen Herr Hübner.
 
„Kennst du den?“, fragte ich Tiffy.
 
Sie schüttelte den Kopf.
 
„Neukunde“, sagte sie, „bisschen komischer Vogel. Kam mit seiner Frau, um den Termin zu machen. Die hat, glaube ich, in der Ehe die Hosen an.“
 
Im Gänsemarsch
 
Um 15 Uhr stand Herr Hübner vor der Tür, ein aus dem Leim gegangener Endfünfziger in grauem Kapuzenschlabberpulli und ebenso grauen ausgebeulten Jogginghosen. Mit deutlichem Widerwillen blickte er durch die Scheibe. Neben ihm stand seine Frau, eine korpulente Person in wallenden schwarzen Gewändern und mit einer zerzausten, leuchtrot gefärbten Langhaarfrisur. Auf der anderen Seite von Herrn Hübner stand ein junges Mädchen, dünn, bleich, plattgesichtig, ein unscheinbares Wesen, dem einzig die mit schwarzem Kajalstift umrandeten Augen Kontur verliehen. Sie war vermutlich Herrn Hübners Tochter. Der wollte mir, als ich die Tür öffnete und ihn freundlich begrüßte, nicht die Hand geben und versteckte sich hinter seiner Frau. Sie und die Tochter redeten dem Mann gut zu. Als das nicht half, schoben sie ihn, der sich wie ein lahmer Ackergaul benahm, mit vereinter Kraft über die Schwelle. Herr Hübner schaute sich im Eingangsbereich ängstlich um und mich aus seltsam triefenden Augen an.
 
Ich bat die Familie Platz zu nehmen und bereitete das Fußbad vor. Als ich zurückkam, erklärte ich, die Behandlung werde etwa eine Stunde dauern. Die Damen könnten hier sitzen bleiben oder in dieser Zeit Erledigungen machen. „Wir bleiben“, sagte die Mutter; die Tochter nickte. Ich bat Herrn Hübner, mir in den Fußpflegeraum zu folgen. Doch nicht nur er, alle drei erhoben sich und folgten mir im Gänsemarsch. Ich sagte, dass es mir lieber wäre, wenn die Begleitung im Eingangsbereich warte, doch die Damen ließen sich weder von mir, noch von der Enge des Raumes, auch nicht von fehlenden Sitzgelegenheiten vertreiben. Da standen sie im Weg herum und gaben mir zu verstehen, dass ich mich heraushalten solle aus Dingen, von denen ich keine Ahnung hätte. Ich wies Herrn Hübner seinen Platz auf dem pinkfarbenen Fußpflegestuhl zu; er drehte sich einmal um sich selbst, ehe er sich zögerlich setzte, als fürchte er, sich schmutzig zu machen.


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