Der
Asylstreit zwischen CDU und CSU ist ein würdeloses Spektakel. Peinlich ist die bayerische Strategie, die eigene Landtagsmehrheit durch die rüde Demütigung der
Bundeskanzlerin zu erhalten. Und so gut wie aussichtslos ist der Versuch, die Beendigung des innerdeutschen Gerangels den EU-Partnern zuzuschieben.
Was bei dem
Brüsseler Minigipfel am Sonntag herausgekommen ist, wird Horst Seehofer schwerlich befriedigen und befrieden. "Wirkungsgleich" mit seinem obskuren Masterplan ist es jedenfalls nicht. Ob bis zum CDU/CSU-Endspiel am nächsten Sonntag noch bilaterale Übereinkünfte erzielt werden können, zumal mit Italien, steht sehr dahin. Das Spektakel wird wohl weitergehen – mit dem Risiko, dass sich das bajuwarische Hickhack zur
Regierungskrise, zur Koalitionskrise, ja: zur Systemkrise auswächst.
Dem nüchternen Blick auf das Flüchtlingsproblem kann nicht entgehen, dass unsere Politik auf drei Illusionen beruht.
Die erste Illusion ist die Annahme, dass Seehofers Plan, sollte er ihn durchsetzen, eine Lösung bringen könne. Wo sollen denn die Menschen hin, die an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden, weil sie schon in einem anderen Land registriert worden sind? Die Osteuropäer weigern sich, Migranten aufzunehmen. Die Nachbarländer, angefangen mit den Österreichern, werden sie weiterschieben bis Griechenland und
Italien, die sich dafür bedanken und am Ende einfach die Registrierung unterlassen werden. Zurückweisung ist noch nicht Rückführung.
Die zweite Illusion ist die Unterstellung, dass die bisher vorgesehenen Maßnahmen, um den Schutz – im Klartext: die Abschottung – der EU-Außengrenzen zu verstärken, in angemessener Zeit Erfolg bringen. Die Frontex-Einheiten sollen bis 2020 auf 10.000 Mann aufgestockt werden, in erster Linie Polizisten. Nichts deutet darauf hin, dass die EU-Mitglieder die nötige Zahl von Polizeibeamten aufbringen können.
Die dritte Illusion ist die Hoffnung, dass die "Bekämpfung der Fluchtursachen" – elende Lebensbedingungen, Arbeitslosigkeit, Anarchie und Korruption – den Migrationsdruck verringern wird. Dies gilt besonders für
Afrika, dessen Bevölkerung weiter rasant wächst und von wo einige Hundert Millionen Menschen auswandern wollen. Horst Seehofer fordert einen Marshallplan für Afrika und verweist dabei auf das Vorbild der chinesischen Seidenstraßeninitiative. Mit dem Marshallplan halfen die Amerikaner 1948 bis 1952 Westeuropa auf die Beine; dafür wandten sie damals 13 Milliarden Dollar auf, nach heutiger Rechnung etwa 130 Milliarden. Die Chinesen jedoch machen für Xi Jinpings Jahrhundertprojekt rund eine Billion – 1.000 Milliarden Dollar – locker. Wo soll Europa solche Summen hernehmen?
Abgesehen davon: Afrika-Experten sagen uns, dass keineswegs die Ärmsten auswandern, sondern vor allem besser gestellte junge Leute, die an der Perspektivlosigkeit des Daseins in ihrer Heimat verzweifeln; Entwicklungshilfe bringe die Einwanderungsbewegung nach Europa also nicht zum Erliegen, sondern lasse sie eher anwachsen. Und viele Afrikaner würden ein Hilfsprogramm dieser Dimension, straff organisiert und streng beaufsichtigt, für puren Neokolonialismus halten.
Lösungen? In aller Aufrichtigkeit: Ich weiß keine. Doch sollten sich unsere Verantwortlichen vielleicht über drei Möglichkeiten Gedanken machen, die Illusionen durch realistische Politik zu ersetzen.
Erstens: Wo es nichts bringt, die Staaten zu bestrafen, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, sollten besser jene Länder finanziell belohnt werden, die sie hereinlassen. Auch sollte die italienische Anregung aufgegriffen werden, das Dublin-Abkommen so abzuändern, dass nicht die ganze Last der Migration den Mittelmeerländern aufgebürdet wird.
Zweitens: Wir sollten uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass Frontex militärisch flankiert und unterfüttert wird. Das bedeutet nicht Militarisierung, sondern Effektualisierung der eingesetzten Mittel. Außerdem gibt es genug Soldaten, die sonst Gammeldienst leisten. Als Grenzschützer hätten sie eine sinnvolle Aufgabe.
Drittens: Wenn die Schleusermafia daran gehindert werden soll, die Flüchtlinge überhaupt erst auf todbringende Schlauchboote und verrostete, verrottete Schiffe zu schaffen, führt kein Weg daran vorbei,
Asylzentren in Nordafrika einzurichten – nicht nur als Auffangzentren für die auf See geretteten Menschen, sondern auch zur Bearbeitung von Asylanträgen. Auch hier bleibt allerdings die Frage, was mit abgelehnten Bewerbern geschehen soll. Und mindestens in dem von Bürgerkriegsmilizen erschütterten Libyen müssten diese Zentren, Hotspots und Lager wohl von EU-Soldaten gesichert werden.
Unausgereifte Gedanken? Mag sein. Aber wem fällt Besseres, Praktikableres ein? Vielleicht einer großen Konferenz der EU mit den relevanten afrikanischen Staaten, die sich nur diesem Thema widmete?