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Korrektur, lieber Meteorologe: Fußballfans starten depressiv bis sauer in die neue Woche. Beim Spiel Weltmeister gegen Mexiko wirkte Jogi Löws Mannschaft wie eine in einer anderen Zeitdimension gefangene Autistentruppe. Was für eine Ernüchterung, welche Hypothek für den weiteren Verlauf der Vorrunde (und was also kann ich dafür, bei unserem Tippspiel bisher so grausam schlecht getippt zu haben!). »Unbesetzte Räume«, das ist der Vorwurf der Stunde; die nächsten zwei Spiele müssen die Deutschen ordentlich gewinnen. Allen voran das Spiel gegen Schweden am kommenden Sonnabend, dem 23. Juni – und mit etwas Glück und wenn Sie wollen können Sie dann in der ZEIT mit uns zusammen zittern – selbstredend mit der gebotenen intellektuellen Distanz. Mehr dazu folgt in Kürze. Und mehr zu Fußball unten in der »11vertiefung«. Räume besetzen, das war auch das Stichwort bei der traditionellen Fahrradsternfahrt in Hamburg. Tausende Fahrradfahrer strampelten gestern durch das Stadtgebiet, über die Straßen und Autobahnen. Hintergrund der Aktion sei es auch diesmal gewesen, die Stadt symbolisch zu erobern, erklärten die Veranstalter. Ein Ansatz, der 1995, als die erste Fahrradsternfahrt stattfand, sicher Sinn machte. Allmählich aber sollte man angesichts der egozentrischen Fahrweise etlicher Radfahrer (vgl. unten: »kriminelles Radeln«) vielleicht doch lieber damit anfangen, das Miteinander zu betonen. Und während in der Bundespolitik, von wegen Miteinander, ein Asylstreit tobt, weder CDU noch CSU (»Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten«) nachgeben will und Kanzlerin Angela Merkel sich mit anderen Staaten um bilaterale Lösungen der Flüchtlingsfrage bemüht, etwa mit Italiens neuem Regierungschef Giuseppe Conte, haben wir mit einem Experten über die verzweifelte Fahrt des Flüchtlingsrettungsschiffs »Aquarius« gesprochen.
»Die NGOs sollen mit massivem Druck aus dem Mittelmeer entfernt werden« »Es kann jederzeit sein, dass unsere Organisation in den Krisenmodus umschalten muss«, erklärt uns Gorden Isler, Hamburger und Sprecher von Sea Eye, am Telefon. Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Regensburg rettet in Seenot geratene Menschen aus dem Mittelmeer. Abgesehen davon, dass ihr Schiff »Seefuchs« derzeit selbst aufreibende Tage erlebt, richteten die Retter ihren Blick zuletzt auch ständig auf das Schicksal der »Aquarius«: jenes Rettungsschiffs der Rettungsorganisation (NGO) SOS Méditerranée mit 629 Geflüchteten an Bord, dem sowohl von Italien als auch von Malta die Einfahrt verweigert worden war. Gestern endete die Irrfahrt schließlich im spanischen Valencia. Elbvertiefung: Herr Isler, haben Sie schon einmal etwas Vergleichbares erlebt? Gorden Isler: Nein. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang. Und was man kaum jemandem erklären kann, ist der Umstand, dass für die Eskorte der »Aquarius« zwei italienische Boote entsendet wurden. Das verschlingt horrende Summen italienischer Steuergelder. Außerdem: Worüber in der Presse kaum berichtet wurde, ist die Tatsache, dass nach der Entscheidung von Innenminister Matteo Salvini, die »Aquarius« nicht anlegen zu lassen, die italienische Küstenwache 900 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet und nach Sizilien gebracht hat. Damit wurde ihr genau das gestattet, was der »Aquarius« verwehrt worden ist und anderen NGOs künftig auch verwehrt werden soll. Elbvertiefung: Was folgern Sie daraus? Isler: Dass es nicht um die Rettung von Menschen an sich geht, sondern die Absage Salvinis ein symbolpolitischer Akt war. Es geht ihm darum, die NGOs und ihre Strukturen zu attackieren, sie an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen. Sie sollen mit Kampagnen und massivem Druck aus dem Mittelmeer entfernt werden, weil sie unbequem sind. Sie haben schließlich auch Kameras dabei und dokumentieren so Zeitgeschichte. Elbvertiefung: Salvini hat nachgelegt und getwittert, Flüchtlingsretter seien in Italien nicht mehr willkommen. Isler: Aber das Meer ist ja kein rechtsfreier Raum! In Notsituationen darf ein Schiff den nächstgelegenen Hafen anlaufen. Kein europäischer Innenminister steht über dem Gesetz. Problematisch ist vor allem, dass der Grundsatz »Alle Menschen sind gleich« verletzt worden ist. Entweder haben wir in Europa diese Haltung oder aber nicht. Aber zum Glück ist Salvini nicht Italien. Elbvertiefung: Wie meinen Sie das? Isler: Viele Italiener befürworten seine Haltung zwar, aber rund 40 Prozent tun dies auch nicht. Und wir sind bei unseren Einsätzen in den Häfen immer auf sehr hilfsbereite Italiener getroffen und haben gut mit den Behörden zusammengearbeitet. Das Problem ist aber, dass sowohl Politiker als auch die Kirche Salvini gewähren lassen. Und ich hoffe auch, dass unsere Bundeskanzlerin reagiert und anerkennt, dass es sich im Mittelmeer um eine humanitäre Notlage handelt und um eine schwierige völkerrechtliche Situation. Dabei ist Italien in der Vergangenheit im Stich gelassen worden. Aber die Frage ist: Wollen wir Männern wie Salvini allein die Deutungshoheit überlassen? Elbvertiefung: Welche Auswirkungen hat die politische Situation nun auf die Arbeit der »Sea Eye«? Müssen Sie nun andere Routen fahren? Isler: Für den Moment wissen wir noch nichts. Wir nehmen die Drohung zwar zur Kenntnis, leiten daraus aber noch keine Veränderungen ab. Dafür ein Zukunftsszenario zu entwerfen ist kaum möglich. Elbvertiefung: Was glauben Sie, wie Europa künftig mit den Flüchtlingen umgehen wird? Isler: Ich wünsche mir, dass unsere Kanzlerin und andere europäische Regierungsvertreter menschlich handeln und ihrer humanitären Verantwortung nachkommen, wie Spanien zuletzt in genau diesem Fall. Gleiches gilt für die europäischen Medien. Denn momentan konzentrieren sich alle auf diesen einen Mann, Matteo Salvini, der Flüchtlinge statt Fluchtursachen bekämpft. Die Not leidenden Menschen geraten dabei aus dem Fokus. |
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