Fünf vor 8:00: Merkel muss bleiben - Die Morgenkolumne heute von Matthias Nass

 
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FÜNF VOR 8:00
27.06.2018
 
 
 
   
 
Merkel muss bleiben
 
Die Kanzlerin steht für einen liberalen Internationalismus. Die Nationalisten können sie nicht ertragen. Ihre Klagen sind der beste Beweis, dass wir sie weiter brauchen.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   
Wer bietet der Welt das hässlichere Bild: Amerika oder Europa? Es ist ein trauriger, ein trostloser Wettbewerb.
 
Über Monate hat die Regierung Trump an der Grenze zu Mexiko Familien auseinanderreißen lassen; erst als der Proteststurm zu einem Orkan der Empörung wurde, erlaubte der Präsident den Kindern, bei den Eltern zu bleiben.
 
Auf dem Mittelmeer warten Rettungsschiffe und ein Containerriese mit Hunderten von Flüchtlingen darauf, einen europäischen Hafen anlaufen zu dürfen. Aber erst nach Tagen erbarmen sich Spanien, Malta und Italien der aus Seenot geretteten Afrikaner. Soll sich gefälligst Libyen um jene kümmern, die der italienische Innenminister "Menschenfracht" nennt!
 
Merkel muss weg?
 
Da möchte die CSU nicht abseitsstehen. Sie will dem "Asyltourismus" an Deutschlands Grenzen ein Ende setzen. Aber es geht ihr nicht um die Flüchtlinge allein. Kaum verhüllt betreibt sie den Sturz der Kanzlerin, allen frommen Dementi zum Trotz.
 
Merkel muss "weg" – das sagte einem Bericht der Augsburger Allgemeinen zufolge Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer auf einem Dorffest im Unterallgäu in kleiner Runde. Statt eines Dementis reagierte der Minister auf den Zeitungsbericht mit der schriftlichen Stellungnahme: "Ich denke, die Hoch-Zeit von Kanzlerin Merkel ist vorbei."

Das denkt offenbar auch sein Chef, Ministerpräsident Markus Söder. Ihn zitiert die Welt am Sonntag mit dem Satz: "Zu meiner Abschlusskundgebung kommt keine Bundeskanzlerin, sondern ein Bundeskanzler." Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz hat laut Welt am Sonntag bereits für das Finale des bayerischen Landtagswahlkampfs zugesagt.
 
Sie wollen Merkel loswerden, am liebsten sofort. Mit ihr ließen sich keine Wahlen mehr gewinnen, glauben die harten Jungs von der CSU. Merkel habe das Gefühl für die Stimmung im Lande verloren.
 
Merkwürdig nur, dass eine Forsa-Umfrage zu dem Ergebnis kommt, in Bayern seien nur 38 Prozent der Bürger mit der Arbeit von Markus Söder zufrieden, mit der Arbeit der Bundeskanzlerin immerhin 43 Prozent. Und 68 Prozent der befragten Bayern halten die von Merkel angestrebte europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik für eine gute Idee. 
 
Merkel stürzen ist verantwortungslos
 
Auch der Spiegel hat eine Umfrage veröffentlicht. Demnach wünschen sich zwar 57 Prozent der Befragten, es sollte den Flüchtlingen erschwert werden, nach Deutschland zu kommen; zugleich aber sind 58 Prozent dafür, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. 36 Prozent wünschen sich das nicht.
 
Nun kann man an der Politik der Kanzlerin eine Menge kritisieren. In der Flüchtlingspolitik hat sie schon seit Langem einen harten Kurs eingeschlagen, der gar nicht mehr zu ihrer ursprünglichen Willkommenskultur passen will. Aber in der jetzigen Lage den Sturz Merkels zu betreiben, ist verantwortungslos.
 
Die politische Polarisierung in den Vereinigten Staaten, die zur Wahl Trumps geführt hat, erreicht mit Macht auch die Länder der Europäischen Union. Der Hass und die Angst, die Amerikas Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager gespalten haben, prägen mehr und mehr auch das Klima diesseits des Atlantiks. Nirgends zeigt sich dies so deutlich wie in Italien.
 
Merkel steht für eine liberale, regelbasierte Ordnung
 
Deshalb ist es ein Unglück, wenn nun auch Deutschland in eine politische Zerreißprobe getrieben wird. Merkel steht für eine besonnene Politik der Mitte, gegen Nationalismus, für eine liberale und regelbasierte internationale Ordnung. Also für das Gegenteil dessen, was Donald Trump, Viktor Orbán oder Matteo Salvini wollen.
 
In der CDU spüren sie, dass es ernst wird. "In Wahrheit will die CSU eine Verschiebung der Position der Union weit nach rechts gegen Europa", beklagt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagt, die CSU habe zwar recht, dass bei der illegalen Migration manches besser gemacht werden müsse, aber "der Abgesang auf den geordneten Multilateralismus (trifft) uns in der CDU ins Mark".
 
Die CDU-Führung sieht, wie Donald Trump die europäischen Rechtspopulisten und Nationalisten unterstützt, sein neuer Botschafter in Berlin hat dies ja ausdrücklich zu seiner Aufgabe erklärt. Trump will die EU schwächen, und für deren Multilateralismus und liberalen Internationalismus steht aus seiner Sicht niemand mehr als Angela Merkel.
 
Noch hält die Mitte in Deutschland
 
Mit dem Wunsch, Merkel zu stürzen, erleben wir gerade einen frontalen Angriff auf das liberale, proeuropäische und weltoffene Deutschland. Die SPD hat das begriffen und vorige Woche statt der roten SPD-Flagge die blaue Europafahne über der Parteizentrale gehisst. Die Sozialdemokraten sind Merkels politischer Gegner, aber in der Verteidigung der europäischen Idee stehen sie an ihrer Seite.
 
Noch hält die Mitte in Deutschland. Aber die Nationalisten melden sich immer lauter zu Wort. Bisher vor allem in der AfD, jetzt zunehmend auch in der CSU. In den Umfragen stärkt sie das bisher nicht. Und Angela Merkel knickt auch noch nicht ein. In Amman sagte sie vor wenigen Tagen: "Ich stehe auf der Seite derer, die sagen: Wir wollen ein offenes Land sein."
 
Leider ist ein solcher Satz diesseits und jenseits des Atlantiks heute nicht mehr selbstverständlich.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.