Steinmeier und die Wissenschaft | TUM: Partnerschaft mit Google | 3½ Fragen an Simone Cardoso de Oliveira | Gastkommentar Robin Mishra zur AAAS

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
großes Klassentreffen gerade in Austin, Texas, beim Jahrestreffen der AAAS – der weltweit größten Wissenschaftsgesellschaft. Robin Mishra von der Deutschen Botschaft war dabei und schildert seine Eindrücke im Gastkommentar. Die Dreieinhalb Fragen beantwortet heute die Wissenschaftsberaterin Simone Cardoso de Oliveira – sie empfiehlt eine interessante 5-Minuten-Regel.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Steinmeier zählt auf die Wissenschaft
Balsam für die Wissenschaftlerseele: Warme Worte vom Bundespräsidenten. Der besuchte nämlich vergangene Woche die Leopoldina, deren Schirmherr er ist, und sagte in seiner Rede: „Sie, meine Damen und Herren, verteidigen die Vernunft gegen die Verrohung unserer öffentlichen Debatten“. Mahnende Worte gabe es angesichts windiger Pseudoexpertenmeinungen (Stichwort Abgasskandal) auch: Wissenschaft dürfe „niemals zur Gefälligkeit mächtiger Interessen werden – ob wirtschaftlicher oder politischer. Jeder einzelne solche Fall ist Wasser auf die Mühlen der Wissenschaftsfeinde. Im Gegenteil: Wir müssen die Notwendigkeit und Zielsetzung empirischer Forschung offensiv begründen.“ Steinmeier sagte, er spüre, „dass das Verantwortungsgefühl in der deutschen Wissenschaft zutiefst verankert ist. Darauf zähle ich.“ Die nötige Portion Kritik an der Ehrwürdigkeit und Bedeutung der Leopoldina kam von Kathrin Zinkant, die in der Süddeutschen Zeitung anmerkte: „Doch es gibt auch im zehnten Jahr der Nationalakademie noch Strukturen zu verbessern – zum Beispiel den Frauenanteil unter den Mitgliedern. Dieser ist noch immer niedrig, zwölf Prozent insgesamt. Unter den neuen Mitgliedern waren im vergangenen Jahr auch nur 21 Prozent weiblich. Das Alter der Mitglieder ist im Durchschnitt hoch. Fast ein Drittel der Mitglieder ist über 70 Jahre alt. Noch auf der Jahresversammlung der Leopoldina im vergangenen Sommer waren die dominierenden Haarfarben Grau und Weiß, viele Mitglieder sind im Ruhestand, forschen selbst nicht mehr aktiv und sind über moderne Wissenschaft in manchen Fällen womöglich weniger gut informiert als jene, die in den Laboren stehen.“
  
 
 
Gender Studies: Keine Verschwörungstheorie
Apropos Vernunft. Die waltet offenbar nicht, wenn die Gender Studies mal wieder angegriffen werden und als feministische Verschwörungstheorie gebrandmarkt werden. Sabine Grenz, Professorin für Gender Studies an der Uni Wien, hatte das erlebt, als sie dem Standard ein Interview gegeben hat, unter dem sich entsprechende Online-Kommentare wiederfanden. Diese wiederum hat sie nun mit ihren Studierenden ausgewertet: Was wird der Geschlechterforschung vorgeworfen, welches Wissenschaftsverständnis offenbart sich? Nachzulesen im Standard.
  
 
 
Debatte: Wissenschaft und Öffentlichkeit
Im letzten CHANCEN Brief haben wir auf einen Beitrag des Kölner Philosophie-Professors Thomas Grundmann verlinkt, der in der duz die oft belobigte allgemeinverständliche Wissenschaftskommunikation mit den Laien kritisiert. Widerspruch folgte sogleich: Jens Rehländer, Sprecher der Volkswagenstiftung, schreibt in seinem Blog: „Für uns, die wir in der Wissenschafts-PR arbeiten, sind die Thesen von Thomas Grundmann starker Tobak. Aber ich bin mir sicher, dass viele im System Wissenschaft zustimmen. Denn sie werden davon in einer Haltung bestärkt, die wohl immer noch die überwiegende ist: Dass die Wissenschaft summa summarum doch alles richtig macht. Kein Grund also, sich selbstkritische Fragen zu stellen. Erst recht nicht von Laien.“ Ebenfalls lesenswert: Der Beitrag „Renewing the Contract between Academia and Society. Universities owe the public a fresh look at their educational and research missions “ aus dem Scientific American
  
 
 
Ein neuer Präsident für Berlin?
Berliner Personalrochade: Weil Peter-André Alt, derzeit Präsident der Freien Universität, seinen Posten verlassen und – als Nachfolger von Horst Hippler – HRK-Präsident werden will, ist die Spitze der FU neu zu besetzen. Der Akademische Senat hörte jetzt die drei Bewerber an: den Historiker Jan Palmowski, Vizepräsident der britischen Universität Warwick, die Frankfurter Politologin und Vizepräsidentin für Studium und Lehre Tanja Brühl, sowie den FU-Mathematiker Günther M. Ziegler. Letztere beide wurden nominiert, die endgültige Wahl findet am 2. Mai statt. (Tagesspiegel) Ziegler allerdings gilt als gesetzt. Was er auf seinem Mousepad stehen hat, was er von der Exzellenzstrategie hält und was es bedeutet, womöglich der erste offen schwule Hochschulpräsident zu sein, hat Anja Kühne in einem Portrait für den Tagesspiegel aufgeschrieben. 
  
 
 
Lektüretipp
Vorlesungsfreie Zeit, die Dinge entschleunigen sich ein wenig, hoffentlich. Zeit für eine Tasse Kaffee und dazu einen nahrhaften Longread aus dem aktuellen New Yorker, in dem es um sexuelle Belästigung auf dem Campus, die Verantwortung der Universität und eine neue Studie geht: „Is There a Smarter Way to Think About Sexual Assault on Campus?“ Ein bedachter, anregender Text.
  
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
1 Million Euro

Spende der Firma Google an die Universitätsstiftung der TU München.
Google wird damit zu einem „TUM Partner of Excellence“. Zugleich vereinbarte die Uni mit dem Unternehmen eine „langfristige Partnerschaft“ in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Robotik
 
Quelle: TU München
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Simone Cardoso de Oliveira

Beraterin für wissenschaftliche Karrieren bei SCIEDO Life Science Consulting
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Ob der vielfach besprochenen prekären Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses mal eine gute Nachricht: Die Arbeitslosenquote unter Akademikern betrug letztes Jahr ganze 2,3 Prozent (laut IAB). Das ist der niedrigste Stand seit 1980 und entspricht praktisch einer Vollbeschäftigung. Frauen schneiden dabei übrigens mit 2,4 Prozent nur leicht schlechter ab als Männer (2,2 Prozent). So schlecht sieht es mit den Berufschancen also gar nicht aus, insbesondere, wenn man außer den Unis auch das weite Spektrum der sonstigen öffentlichen Einrichtungen, NGOs und Unternehmen berücksichtigt. Deren Konditionen sind im Vergleich ja oft auch gar nicht so unattraktiv...

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Praxisbezug. Meine Anregung hierzu: Nach jeder Lehreinheit einfach mal fünf Minuten darauf verwenden, welche Probleme des realen Lebens man mit dem Gelernten lösen kann. Zu schwer? Glaube ich nicht. Selbst ein hochtheoretisches, mathematisches Beweisverfahren kann einem Ingenieur eine Menge Rechenarbeit ersparen – und damit seinem Chef die entsprechenden Gehaltskosten. Und wenn die Lehrenden nicht mitziehen? Könnten hartnäckige Nachfragen der Studierenden vielleicht das eine oder andere Wunder bewirken. Welcher Prof wird sich denn die Blöße geben, eine Frage nicht beantworten zu können?

Lektüre muss sein. Welche?
Verhaltensökonomie! Sie zeigt auf faszinierende Weise, welche irrationalen Parameter unsere Entscheidungen lenken. Einige Autoren: Für die Neuro-Interessierten Paul Glimcher, insbesondere seine Bücher, für die Ökonomen Ernst Fehr und Armin Falk, und für alle der Super-Star der Branche: Dan Ariely.

Und sonst so?
„Be yourself. Everyone else is already taken.“ (Orson Welles)
   
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
   
von Robin Mishra
   
   
   
Die tech-tonische Verschiebung
Erst ein Jahr ist es her, da geriet die Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) zur Protestkundgebung gegen die Trump-Regierung. Die wichtigste wissenschaftspolitische Tagung der USA sendete das Signal aus, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ihren Laboren herauskommen und politischer werden müssen. Im Jahr 2018 standen die Workshops zu Forschungskommunikation und besserer Lobbyarbeit noch immer auf dem Programm. Dennoch wirkte die diesjährige AAAS-Jahrestagung in Austin seltsam unpolitisch. 
AAAS-Präsidentin Susan Hockfield widmete ihre Eröffnungsrede der Frage, wie sich Grundlagenforschung effektiver in Anwendung übersetzen lasse. Als gelungenes Paradebeispiel nannte sie das Koch Institute for Integrative Cancer Research in Boston, dem ein bekannter Geldgeber der Republikaner den Namen gegeben hat. NASA Astronautin Ellen Ochoa feierte in einem Festvortrag die Internationale Raumstation ISS als Zeichen für gelungene Wissenschaftsdiplomatie. Gerade bekannt gewordene Privatisierungspläne für die ISS durch die US-Regierung? Kein Thema. Lediglich der Auftritt des ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden erinnerte an die vermeintlich gute alte Zeit.  
Für die Zurückhaltung gibt es manche Gründe. Anfang Februar hatten sich Republikaner und Demokraten im Kongress auf die Aussetzung der Schuldenobergrenze geeinigt. Das bescherte großen Wissenschaftsorganisationen quasi über Nacht milliardenschwere Nachschläge. Überhaupt wird der Budgetvorschlag des Präsidenten im amerikanischen System nicht für bare Münze genommen. Schon im letzten Jahr hatten die Abgeordneten die meisten der darin vorgeschlagenen Kürzungen wieder rückgängig gemacht. Viele Forscher können also damit rechnen, dass ihre Förderung ungefähr auf bisherigem Niveau weiterläuft. Und echte Steigerungen hatte es auch in den Obama-Jahren nicht gegeben. 
Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, so war weiter zu hören, sind der Turbulenzen im Weißen Haus müde geworden. Lieber widmen sie wieder ihrem persönlichen Forschungsbeitrag, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. Der wissenschaftliche Fortschritt ist rasant bis atemberaubend: Welchen Beitrag kann Wissenschaft leisten, um Flüchtlingsströme zu verhindern oder die Energieversorgung nachhaltiger zu gestalten? Sind Menschen Künstlicher Intelligenz schutzlos ausgeliefert oder nutzen sie die Technologie, um Schulen besser und Städte umweltfreundlicher zu machen? Wie weit dürfen in der Genforschung Eingriffe in das Erbgut gehen? Alle diese Fragen wurden in Austin gestellt und intensiv diskutiert. 
Dabei hat sich die Aufmerksamkeit verschoben. Fixpunkt für diese wissenschaftlichen Diskussionen ist nicht so sehr die aktuelle US-Regierung als vielmehr der neue Herausforderer China. Die US-Forscher eint die Überzeugung, dass sie der „tech-tonischen“ Verschiebung zugunsten Asiens (von Europa war leider in Austin nicht viel die Rede) etwas entgegensetzen müssen.
Eine Momentaufnahme? Sicher. Ein Rückzug der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihr Labor? Ganz bestimmt nicht. Aber jedenfalls eine neue Nüchternheit.   

Dr. Robin Mishra ist Leiter Wissenschaft und Technologie an der Deutschen Botschaft in Washington D.C. Der Artikel gibt seine persönliche Meinung wieder.
   
   
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Mehr Kabel? Mehr Bildung! Ein »Chancenland« soll die Republik werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Elf Thesen zur digitalen Zukunft

Medienkompetenz Fake-News bedrohen die Demokratie. Die Gesellschaft muss lernen, mit ihren Medien anders umzugehen »Es wird mir eine Freude sein, die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen« Dieser Satz stammt vom AfD-Politiker Marc Jongen. Dabei hat er sich in diesem Kulturbetrieb selbst bequem eingerichtet, erinnert sich sein ehemaliger Kollege Daniel Hornuff von der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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