Weltpolitik – ein machtvolles Wort, das Jean-Claude Juncker
auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende in die Debatte geworfen hat. Immer wieder hat er diesen Begriff in seiner Rede vor den Staats- und Regierungschefs, den Ministerinnen und Ministern, Diplomaten und Generälen variiert. Die EU sei bei ihrer Gründung nicht auf Weltpolitik angelegt worden, sagte der Präsident der Europäischen Kommission. Aber heute müssten "wir uns um Weltpolitikfähigkeit bemühen", das gelte vor allem für die Verteidigung.
Kann Europa die Antwort sein auf die düstere, von akuten und heraufziehenden Konflikten überschattete Weltlage? Kann Europa das Wiederaufflammen des Streits um das iranische Atomprogramm verhindern? Kann es helfen, Nordkorea zur Vernunft zu bringen, das drauf und dran ist, mit seiner nuklearen Aufrüstung einen Militärschlag der USA zu provozieren? Kann es dazu beitragen, den freien Schiffsverkehr im Südchinesischen Meer zu garantieren?
Oder backt es in Wirklichkeit sehr viel kleinere Brötchen?
"Europa braucht (...) eine gemeinsame Machtprojektion in der Welt", forderte in München der noch amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Aber die Europäische Union habe es "nie lernen müssen, sich geopolitisch zu engagieren". Das habe man bisher den Franzosen, Briten und vor allem den Amerikanern überlassen. "Europa war nie als Weltmacht gedacht, sondern als Projekt der inneren Aussöhnung."
Und das soll sich jetzt ändern? Angesichts der globalen Herausforderungen müsse Europa "endlich Tempo aufnehmen", verlangte auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und rühmte, dass die EU eine Verteidigungsunion gegründet und sich auf den Weg zu einer "Armee der Europäer" gemacht habe.
In Wahrheit befindet sich die europäische Gemeinschaft in einer trostlosen Verfassung, und manches spricht dafür, dass es noch schlimmer wird, bevor der Kontinent – hoffentlich – eines Tages seine Kräfte bündelt.
Als Sigmar Gabriel den Konferenzsaal im Hotel Bayerischer Hof verließ, stand die britische Premierministerin Theresa May bereits am Bühnenrand und wartete auf ihren Auftritt. Zwar bekräftigte sie ein weiteres Mal, dass Großbritannien nur die EU verlasse, nicht Europa. In der Nato werde man weiterhin gut zusammenarbeiten. Aber dann kam gleich die Einschränkung: Eine Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik müsse die Souveränität beider Seiten respektieren.
Sieht es in den "verbleibenden Mitgliedsstaaten" (Theresa May) sehr viel anders aus? Pochen nicht auch dort die Regierungen auf ihre nationale Souveränität? Jean-Claude Juncker sagte, die EU könne nur dann "weltpolitikfähig" werden, wenn auch in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht mehr das Einstimmigkeitsprinzip gelte, wenn beispielsweise beim Thema China oder Israel mit Mehrheit abgestimmt werde.
Leider verschärfen sich viele Konflikte gerade "Viel Glück!", möchte man dem Kommissionspräsidenten da zurufen. In München weigerten sich mehrere EU-Regierungschefs und -Minister, auch nur gemeinsam auf dem Podium zu sitzen – sehr zum Unwillen von Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger. Polens neuer Ministerpräsident Mateusz Morawiecki blamierte sich mit einer Äußerung, die man so verstehen konnte, auch Juden seien am Holocaust mitschuldig geworden. Österreichs junger Bundeskanzler Sebastian Kurz plädierte vor allem für einen besseren Schutz der Außengrenzen gegen Flüchtlinge. Tolle weltpolitische Partner!
Angela Merkel war erst gar nicht erschienen. Deutschland, eben noch viel gerühmter Stabilitätsanker in Europa, ist durch die Zersplitterung der Parteien so gelähmt wie viele seiner Nachbarn, es ist nicht der erhoffte starke Partner des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der den Stillstand der EU überwinden will. Und als sei dies der traurigen Nachrichten nicht genug, könnte bei den italienischen Wahlen in zehn Tagen das politische Lager Berlusconis an die Macht zurückkehren.
Deutschland gelähmt, Großbritannien demnächst draußen, Italien auf dem Weg nach rechts, Osteuropa in der Hand der Nationalisten und Populisten: Man wünscht sich sehnlich, dass uns in nächster Zeit Krisen erspart bleiben, in denen Europas "Weltpolitikfähigkeit" getestet wird.
Leider aber verschärfen sich viele Konflikte gerade – in Syrien, zwischen Israel und dem Iran, auf der koreanischen Halbinsel. Überall, so sagte es Wolfgang Ischinger in München, "blinken die Warnlichter grellrot". Europa wird das Geschehen vom Rande aus bekümmert kommentieren.