Die Kultur als Volksfeind Auch Kroatien rückt nach rechts. Im Namen von Nationalismus und Traditionalismus zensiert die Regierung Kunst und Theater. Kulturschaffende werden ausgegrenzt. VON IVANA SAJKO |
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| | Die einen klammern sich an Traditionen, die anderen wollen das Land von totalitären Symbolen befreien: Demonstration in Zagreb vor dem Kroatischen Nationaltheater am 6. Mai 2017 für eine Umbenennung des Tito-Platzes. © Alen Gurovic/NurPhoto/Getty Images |
Im Frühjahr 2016 stand ich mit einem Megafon in der Hand auf dem Hauptplatz in Zagreb und trug den 1995 erschienenen Essay Urfaschismus von Umberto Eco vor. Zur selben Zeit lasen an 40 Orten in Kroatien Kulturschaffende und Künstler öffentlich denselben Text. "Daher wird Kultur verdächtig, sobald sie mit kritischen Einstellungen identifiziert wird", schrieb Eco darin. Ich war mit einem Grüppchen Gleichgesinnter dort, und wir wechselten uns beim Tragen des schweren Megafons ab. Zwischen den gelesenen Sätzen blickte ich zu den Passanten. Die Mehrheit beachtete uns überhaupt nicht, während einige wenige kurz stehenblieben, zuhörten und das Gesicht verzogen. Ich erinnere mich besonders deutlich an einen Mann mit einem Kind an der Hand, der in meine Richtung spuckte. Diese Passanten waren mein Publikum, und die Spucke dieses Publikums war die schmerzhafte Niederlage für jeden, der an diesem Tag die Bühne der Straße betrat und sich einbildete – so wie auch ich damals –, im Namen der schweigenden Mehrheit zu sprechen, jener 50 Prozent der Wähler, die die Wahlen boykottiert und somit den Staat der Tüchtigkeit der Rechten überlassen hatten.
Ich hielt beim Lesen inne. Jemand sagte: "Das sind die, die kein Geld abbekommen haben, und jetzt beschweren sie sich." Ein anderer warf wütend ein: "Geht doch arbeiten." Ein paar andere stimmten ihm zu. Jede Antwort wäre zwecklos gewesen. Es war völlig sinnlos zu fragen, seit wann die Kultur denn so überflüssig und so teuer geworden sei (in Kroatien wird für Kultur 0,49 Prozent des staatlichen Budgets aufgebracht), und wann wir zu Feinden geworden waren?
Die Eskalation des Antagonismus begann in jenem Jahr, als Zlatko Hasanbegović, ein Historiker mit ultrarechten revisionistischen Positionen, zum Minister für Kultur berufen wurde. Er war es, der Kulturschaffenden den Krieg erklärte und sie Jugonostalgiker, Pseudolinke und Parasiten nannte und die Kultur in das Schlachtfeld eines konstruierten Ideologie- und Klassenkonflikts verwandelte, der sich zwischen der vermeintlichen linken kulturellen Elite und der verarmten Volksmasse abspielte, die nur darauf wartete, dass irgendjemand den Verantwortlichen für ihren traurigen Zustand benennt. Damals wurden innerhalb eines knappen Jahres alle Plattformen zur Finanzierung unabhängiger Medien und der Vereine zur Entwicklung der Zivilgesellschaft zerschlagen. Die Arbeit des Audiovisuellen Zentrums, das sich große Verdienste um den Aufschwung des kroatischen Films erworben hatte, wurde eingestellt, zahlreiche Journalistinnen und Journalisten, die beim öffentlichen Radio und Fernsehen gearbeitet hatten, wurden entlassen oder ihre Sendungen aus dem Programm genommen. Die Mailboxen jedes Einzelnen, der es wagte, die Anführer der konservativen rechten Revolution in Kroatien zu kritisieren, füllten sich mit Drohungen und Beleidigungen. Nachdem der Schriftsteller Ante Tomić auf der Straße angegriffen worden war und das Ministerium für Kultur sich daraufhin mit der Warnung zu Worte meldete, dass "jeder selbst die Verantwortung für das gesprochene oder geschriebene Wort trägt", griff in der Gesellschaft die Angst vor diesem gesprochenen und geschriebenen Wort um sich.
Dezentralisierte Zensur
Der politische Essayist Marko Kostanić schreibt, dass in Kroatien heute eine dezentralisierte Zensur wirkt, die durch die Vereinigungen der Kriegsveteranen und der katholischen Kirche im Namen der Regierung umgesetzt wird. Dabei wird denkbar einfach vorgegangen: Nachdem ein Film, eine Theatervorstellung oder ein Buch zum Zeugnis der Beleidigung nationaler oder religiöser Gefühle erklärt wird, beginnt der Angriff, und zwar nicht nur auf die konkrete Quelle dieser angeblichen Provokation, sondern auch auf die Kulturinstitution, die sie produziert hat. Daraufhin folgen personelle Veränderungen, die in der Vergangenheit etwa dazu geführt haben, dass heute in den Theaterausschüssen, die über das Repertoire und die Finanzierung der Theater entscheiden, politische Akteure mit extremen Haltungen sitzen, die Kultur ausschließlich als politische Plattform benutzen.
Der schon erwähnte ehemalige Minister Hasanbegović hat vor Kurzem einen Posten im Ausschuss des Kroatischen Nationaltheaters übernommen, im "Zentralkommando des pseudolinken, paratheatralischen Aktivismus", wie er dieses Gremium nennt. Als Vorbereitung seiner Benennung hatte er eine Namensänderung des Platzes, an dem das Theater liegt, erzwungen, denn der trug den Namen des Anführers des antifaschistischen Widerstands im ehemaligen Jugoslawien, Josip Broz Tito. Durch diesen auf den ersten Blick kleinen Vorfall wurde eine weitere Spur des emanzipatorischen Teils der kroatischen Geschichte ausgelöscht. Der Schauspieldirektor des Kroatischen Nationaltheaters kommentierte den Vorgang mit den Worten: "Ein Volk ohne Erinnerungen hat keine Zukunft."
Das Ende der kroatischen Zukunft wurde durch die Ernennung von Jakov Sedlar zum Mitglied des Ausschusses des Zagreber Theaters & TD fortgesetzt – eines Filmregisseurs, der sich in seinem Dokumentarfilm über das Konzentrationslager Jasenovac "Halbwahrheiten, Lügen und Fälschungen" bediente, wie es der Publizist Slavko Goldstein formulierte. Diese Theaterbühne, die für ihre gesellschaftskritische Haltung bekannt ist, wurde so um den Posten eines Aufpassers bereichert, der angekündigt hat, dass er sich in seiner neuen Position von drei Kriterien leiten lassen wird: wer ein Stück produziert, um welchen Inhalt es sich dabei handelt, und ob es dafür Publikum gibt.
Seit dem Wechsel der Regierung im Jahr 2016 paradieren vor den Eingängen der Theater in Kroatien immer öfter Kriegsveteranen und verlangen, dass irgendwelche Stücke verboten werden, während die katholische Kirche immer häufiger zum Boykott bestimmter Künstler aufruft. Die Werte einer säkularen und demokratischen Gesellschaft werden nur noch von einzelnen Kulturschaffenden verteidigt, beziehungsweise von den wenigen übriggebliebenen Aktiven der Zivilgesellschaft, die von den linken Parteien im Stich gelassen wurden. Um einige lukrative Sphären der staatlichen Macht für sich zu erhalten, haben die linken Parteien Kunst und Kultur der Willkür und der Barbarei der politischen Halbwelt überlassen.
Die Symptome, die Eco in seinem Essay über den Urfaschismus benennt, wurden zur Normalität in der kroatischen Gesellschaft: Traditionskult, Irrationalismus, Angst vor den Anderen, Vorwurf des Verrats und Besessenheit für die Vorstellung moralischer Perversionen ihrer vermeintlichen Gegner, individuelle und soziale Frustration, Verachtung gegenüber dem Denken, stattdessen Populismus, Heroismus-Kult und Machismus. In Kroatien versucht man heute, die Geschichte zu fälschen und fiktive Feinde zu finden, die man in den Reihen der nationalen und sexuellen Minderheiten sucht oder eben unter den Künstlern. In einem derart ideologisch gespaltenen Raum fällt es nicht schwer, neue Konflikte zu provozieren und die Bürger mit dem Junkfood der Nation und der Religion zu füttern – den beiden konstitutiven Elementen einer kollektiven Identität, die wahrer demokratischer Werte beraubt ist.
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer Ivana Sajko ist eine kroatische Prosa- und Theaterautorin, die in Berlin lebt. In deutscher Übersetzung sind bisher erschienen: "Rio bar" (2008), "Archetyp: Medea. Bombenfrau. Europa: Trilogie" (2008), "Trilogie des Ungehorsams" (2012), "Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution) Eine Lektre" (2014) und "Liebesroman" (2017). Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".
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