Wenn heute auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Großen der Welt zusammen kommen, dann wird das im Fernsehen wieder so aussehen, als hätten die Mächte alles bestens im Griff. Regierungschefs und Minister werden mit ihren Delegationen den Bayerischen Hof in München stürmen, in Sälen und Suiten verschwinden, über die Weltkrisen sprechen. Manchen mag es so scheinen, als säßen hier die Herren über Krieg und Frieden zusammen und würden die Pfründe verteilen.
Doch dieser Eindruck trügt. Das zeigt nicht nur das neue Bild des Gastgebers Deutschland, das in den vergangenen acht Monaten vom Retter der liberalen Welt zum Sorgenkind der westlichen Demokratien abgestiegen ist. Es hat vor allem damit zu tun, dass die schwindende Kraft der einzigen Supermacht USA nicht wirklich von anderen Mächten ausgeglichen wird. Wir erleben eine Erosion der Macht weltweit. Regionalstaaten steigen auf, Milizen verdrängen Armeen, Söldner kämpfen an allen Fronten. Mit Ordnungspolitik oder zumindest Herrschaft über Krieg und Frieden hat diese neue Multipolarität nichts mehr zu tun.
Wohin das führt,
lässt sich in diesen Tagen in Syrien betrachten. Der Krieg wird zum siebten Mal in Folge ein Hauptthema auf der Münchner Sicherheitskonferenz sein. Krieg? Hörten wir nicht im vergangenen Jahr, der Krieg sei fast vorbei? Assad habe ihn gewonnen, hieß es, die Russen seien der große Schiedsrichter und würden jetzt den Frieden arrangieren. Nun, auch das ist schon wieder der Stand von gestern.
Die neue Wahrheit lautet: Der Krieg in Syrien eskaliert so stark, dass er noch lange brennen kann. Das läuft alles gar nicht nach dem Plan von Russland und den USA. Putin war Ende Januar noch Gastgeber einer großen Friedenkonferenz. Vergangene Woche erklärten die USA feierlich den Sieg über die IS-Terroristen. Beide Mächte müssen nun zusehen, wie in Syrien im Wochenrhythmus neue Kriegsfronten entstehen.
Al-Assad führt seinen Krieg weiter Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan hat den USA mit einer "osmanischen Ohrfeige" gedroht. Er hat zwar nicht erklärt, was das ist, aber es muss schon etwas ganz Schreckliches sein. Hintergrund ist der türkische Angriff auf die syrische Kurdenhochburg Afrin, von Ankara "Operation Olivenzweig" genannt. Die Türken sehen die engsten Verbündeten der USA in Syrien als Terroristen an: die kurdischen YPG-Truppen. Sie bildeten im Kampf gegen die IS-Terroristen die Bodentruppen der USA, vor allem seitdem sie die von Washington organisierten SDF-Streitkräfte anführen. Jetzt sollen sie mit den Amerikanern die Rückkehr des IS verhindern. Im kurdischen Manbidsch stehen auch US-Soldaten, und genau gegen diese Stadt droht Erdogan nun seine Truppen zu wenden. Das wäre ein Konflikt innerhalb der Nato und eine ganz neue Front in Syrien.
Wegen des kurdisch-türkischen Konflikts sahen Milizen aufseiten des syrischen Diktators Baschar al-Assad eine Chance, Boden gut zu machen. Sie griffen SDF-Truppen an, die Amerikaner schlugen aus der Luft zurück und töteten rund hundert Milizen. Darunter waren, wie gestern die Sprecherin des Moskauer Außenministeriums zugab, auch russische Söldner. US-Flugzeuge haben also russische Angreifer in Syrien getötet, so weit sind wir schon.
Jüngst haben iranische Milizen eine Drohne von Syrien aus nach Israel geschickt. Es war eine Machtdemonstration mit der Botschaft "Das können wir auch!". Israelische Kampfbomber zerstörten ihre Stellungen. In der Folge wurde ein israelischer Jet abgeschossen, woraufhin die Israelis einen erheblichen Teil der syrischen Luftabwehr zerstörten. Der Iran, dessen Politiker bekanntlich Israel "ausradieren" wollen, steht nun direkt an der israelischen Grenze. Der Krieg zwischen den beiden stärksten Militärmächten des Mittleren Ostens ist nur einen Wimperschlag entfernt.
Im Schatten dieser Auseinandersetzung führt der Diktator al-Assad seinen Krieg erbarmungslos weiter. In Ost-Ghouta, in Idlib und anderen Orten greifen die Assadisten die Opposition in ihren Rückzugsorten an.
Syrische Beobachter berichten immer wieder von Angriffen mit Giftgas. Das hat Assad nachweislich nicht das erste Mal verwendet. Längst ist der Gewöhnungseffekt eingetreten. Gas, die Massenvernichtungswaffe des armen Mannes, ist 92 Jahre nach seiner Ächtung als Mittel des modernen Krieges zurückgekehrt.
Diese wenigen Schlaglichter aus dem syrischen Krieg zeigen am Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz, wohin die Reise geht. Die USA vermag die Türkei nicht zu stoppen. Russland kann Iran nicht bremsen. Beide können nicht verhindern, dass Türken, Iraner, Israelis und Assadisten den Krieg auf eigene Faust fortführen. Den Weltmächten gleiten die Dinge aus der Hand. Regionalstaaten, Milizen und Söldner machen ihr Spiel – lokale Interessen
first, globale Bedenken
second.
Das ist die neue Unordnung, die sich auch auf andere Teile der Welt ausbreiten kann. Denn Syrien ist nur das Laboratorium, auf das alle anderen schauen.