Freitext: Dana Grigorcea: Vom Sprechen in lieblosen Zeiten

 
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14.02.2018
 
 
 
 
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Vom Sprechen in lieblosen Zeiten
 
 
Im Rumänien meiner Kindheit war Zynismus ein Ventil, um sich Luft in der Diktatur zu verschaffen. Warum kommuniziert heute auch der Rest der Welt nur noch höhnisch?
VON DANA GRIGORCEA

 
© Raul Petri/unsplash.com
 
Meine Nachbarin, Frau Hefti, hat vergangene Woche ihre beiden Zeitungsabos gekündigt – ein Neujahrsvorsatz. Das hat mich deshalb erstaunt, weil die fast neunzigjährige Dame viel Wert darauf legt, akkurat informiert zu sein und ganz bewusst auch darauf, die unabhängige Presse zu unterstützen.
 
Ich will sie kurz vorstellen: Frau Hefti ist eine Zürcherin mit eleganten Schals und roten Fingernägeln, sie hat ein abenteuerliches Leben geführt, hat die Welt allein bereist, und in den Fünfzigern den Führerschein immerhin in San Francisco gemacht. Man trifft sie auf Lesungen und im Theater an, auch in den Theatercafés, und sie weiß Bescheid über die neuesten Bürgerinitiativen in der Stadt. Soziales Engagement und Solidarität werden bei ihr großgeschrieben, ihre eher sozialliberale Gesinnung steht in keinerlei Gegensatz zu ihrer Verehrung der hehren Künste, die sie in vorwiegend bürgerlichen Kreise verkehren lässt. Nicht selten, wenn es Online-Petitionen gibt, klingelt Frau Hefti an unserer Tür, erklärt kurz den Sachverhalt und bittet schließlich, sie als Unterzeichnerin online einzutragen. Dann möchte sie manchmal auch gleich, dass ich ihr helfe, die Halskette zu schließen: „Ist sie nicht schick?“
 
So wie sie möchte ich, im fortgeschrittenen Alter, auch sein können, wach im Geist. Ihre Langsamkeit rührt nicht etwa von Altersgebrechen her, es ist die Bedachtsamkeit, mit der sie sich bewegt. Das wirkt sehr edel. Abends scheint bei ihr die Leselampe, im Fenster ist ihr Antlitz vor einem Zeitungsbogen oder einem Buch zu erkennen. Kündigt sich die Papierabfuhr an, zeigt sich vor dem Haus, dass Frau Heftis Zeitungsbündel die dicksten der Nachbarschaft sind. Wieso nur hat sie die beiden Zeitungsabos gekündigt?
 
Der dünnlippige Lehrer
 
Wegen des scharfen, des ironischen Tons, den sie allenthalben vorfinde, antwortet Frau Hefti. Debatte, Diskurs, Diskussion – das beinhalte doch zwingend auch eine Gegenposition. Stattdessen begegne ihr in den Zeitungen zuletzt immer wieder Häme und Zynismus, man rede aneinander vorbei. Ob mir das als Schriftstellerin denn nicht auch aufgefallen sei? Sogar in den Kultursparten sei dieser dürftige Zungenschlag oft und öfter anzutreffen, und solches wolle sie beileibe nicht mehr unterstützen. Dazu sei sie zu alt. Sie sei bereit zu ehrlichem Respekt und, ja, Ehrfurcht vor dem, was andere sind und wollen.
 
Ehrfurcht, was für ein doch schönes Wort! Im Duden ebenso schön erklärt als „achtungsvolle Scheu“ und „Respekt vor der Würde, Erhabenheit einer Person, eines Wesens oder einer Sache“. „Habt Ehrfurcht“ – wo habe ich das zuletzt gehört? Und wo habe ich zuletzt doch nur wieder mit sowas wie: „ich lasse mich doch jetzt nicht an der Nase herumführen“ reagiert?
 
Ich bin in einer Welt voller Zynismus aufgewachsen: im kommunistischen Rumänien. Ich kann mich gut an das verhaltene Lachen der Familienfreunde erinnern und auch an jenes dünnlippige meiner Lehrer. Dieses Reden voller Anspielungen und mit doppeltem Boden habe ich als Kind nicht immer verstanden, aber dann doch so getan, als wäre ich geistig dabei. Das Erscheinungsbild einer Zynikerin, ihre gedämpfte, nur gespielt nonchalante Art, konnte ich mir so schnell aneignen wie die anderen ja auch.
 
Den Unterdrückern fehlte die Finesse
 
Nun dient der Zynismus und seine kleine Schwester, die Ironie, in totalitären Systemen als Ventil: Man verschafft sich damit etwas Luft, ohne sich in allzu große Gefahr zu begeben. Den humorlosen Unterdrückern widersetzt man sich mit Aussagen, die den erwähnten doppelten Boden haben – und bei drohender Gefahr, wenn man sozusagen verpfiffen wird, kann man immer noch behaupten, dass die Aussage nicht ironisch war, sondern ernst gemeint. Ironie – bleiben wir noch bei ihr – ist also schwer zu fahnden in einer Diktatur, in der der „feierliche Stil“ mit Oden an den Führer und an die Unfehlbarkeit seiner Ideologie missbraucht wird.
 
Schriftstellerinnen und Schriftsteller machten sich damals einen Spaß daraus, den Zensor, der ihre Manuskripte prüfte, mit ihrer Ironie hinters Licht zu führen. Es haben sich viele Anekdoten erhalten über tollpatschige Zensoren, die von wortgewandten Literaten aufs Glatteis geführt wurden: Hingeködert zu auffälligen, aber harmlosen Textstellen, haben sie diese sofort zensiert und dabei Textstellen von bitterböser Ironie und Subversion übersehen. Den Unterdrückern fehlte am Ende die Finesse, eine Aussage von ihrem Gegenteil zu unterscheiden, solange sie im Ausdruck ähnlich ausfiel.
 
Rückblickend muss ich feststellen, dass die Ironie nicht nur gegen die Diktatur gerichtet blieb – sie führte ein Eigenleben und prägte die Kommunikation der Menschen, der Eltern mit den Kindern, der Lehrer mit ihren Zöglingen, der Ärzte zu ihren Patienten und schließlich die Selbstauffassung des Einzelnen. Sie wurde zur Geisteshaltung im Land. Selten war sie erfrischend, belebend; öfter getarnte Aggression: Zynismus.


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