Der letzte Satz eines
Kommentars, den ich vergangene Woche für die ZEIT geschrieben habe, hat im Netz ein bisschen Wirbel ausgelöst. Am Ende einer Würdigung der Frauen im Iran, die sich öffentlich dem Kopftuchzwang widersetzen, hatte ich mich gewundert, warum manche prominente deutsche Feministinnen zu diesen mutigen Protesten in ihren Twitter-Kanälen "auffällig schweigen". Gemeint und dazu befragt hatte ich
Teresa Bücker, die Chefredakteurin von
Edition F, und die Autorin und
Spiegel-Online-Kolumnistin
Margarete Stokowski.
Teresa Bücker antwortete mir per E-Mail, ihr habe bislang schlicht die Zeit gefehlt, sich mit den Protesten im Iran auseinanderzusetzen. Sie oder die
Edition-F-Redaktion wollten dies aber vielleicht noch tun. Später schrieb sie auf Twitter, sie finde es "abstrus und unprofessionell", aus einem Nicht-Twittern abzuleiten, ein Thema würde eine Person nicht beschäftigen.
Margarete Stokowski antwortete mir nach Erscheinen meines Textes ausführlich. Es entspann sich ein längerer E-Mail-Austausch, den ich mit Frau Stokowskis Einverständnis hier auszugsweise wiedergebe.
Sie verstehe ihren Twitter-Account, so Frau Stokowski, "nicht als Nachrichtenticker zu sämtlichen relevanten feministischen Themen", und sie äußere sich generell eher selten zu Auslandsthemen. "Ich werde zum Beispiel oft gefragt, warum ich so wenig über Polen schreibe, obwohl ich da geboren bin und die politische Lage dort natürlich äußerst besorgniserregend ist. Ich beobachte das, aber im Moment ist es nicht mein Schwerpunkt. Mit dem Iran ist es ähnlich."
Das könne ich verstehen, antwortete ich, allerdings gehe es mir nicht um einen Vollständigkeitsanspruch. Ich glaube nur, dass sich daran, wofür man sich Zeit nimmt oder eben nicht, Prioritäten ablesen lassen. Und ich verstehe einfach nicht, warum das Aufbegehren von Frauen im Iran, einem der schlimmsten Frauenunterdrückerregime der Welt, nicht das Herz jeder Feministin entflamme. Könnte das daran liegen, fragte ich Frau Stokowski, dass es, sobald der Islam ins Spiel komme, zwei feministische Schulen gebe? Eine, die das rückständige Frauenbild vieler Muslime – manchmal überbetont – zum Thema mache, und eine andere, für die das prinzipiell kein Thema sei?
Frau Stokowski antwortete, die Kritik, "linke Feministinnen würden dem Islam immer alles durchgehen lassen und sich nicht um die unterdrückten Frauen in muslimischen Ländern kümmern, oder um Frauen, die von Flüchtlingen vergewaltigt werden", sei nach der Kölner Silvesternacht ein häufiger Vorwurf. Sie sehe die von mir beschriebenen beiden feministischen Schulen aber nicht: "Ich würde sagen, es gibt noch wesentlich mehr Richtungen, weil es verschiedene Schwerpunkte gibt. Ich schreibe zum Beispiel häufig über Gewalt gegen Frauen, es ist einer meiner Schwerpunkte, und dazu gehört unter anderem, immer wieder darauf hinzuweisen, wie verbreitet sexualisierte Gewalt ist. Allerdings weigere ich mich dabei, die Taten, die durch muslimische Männer begangen werden, besonders herauszustellen, gerade in Anbetracht der Verbreitung rassistischer Einstellungen."
Ich fände es ebenfalls falsch, Gewalttaten muslimischer Männer "besonders" herauszustellen, entgegnete ich. Man sollte sie nur auch nicht kleinreden. Und mir scheine oft, dass allein schon die Erwähnung eines zweifelhaften Frauenbildes in bestimmten Kulturkreisen mit der Angst belegt sei, Rassisten in die Hände zu spielen. Was Rassisten vermutlich viel eher in die Hände spiele, fügte ich hinzu, sei der Eindruck, es werde mit zweierlei Maß gemessen: Nachsichtigkeit gegenüber Einwanderern, hohe Empfindlichkeit gegenüber Einheimischen.
"Na ja", entgegnete Frau Stokowski, "ich befürchte, beides kann letztlich Rassisten in die Hände spielen, weil die so fixiert sind: Wenn sie das Gefühl kriegen, man spielt bestimmte Fälle runter, aber auch, wenn man doch darüber schreibt und sie sich bestätigt fühlen. Die Lösung kann nur sein, so differenziert und (im Verhältnis zu anderen Religionen, Milieus etc.) angemessen zu arbeiten, dass es ihnen möglichst schwer wird, die Infos, die es gibt, für Hetze zu missbrauchen."
Womit Frau Stokowski und ich, jedenfalls aus meiner Sicht, an einem Punkt vollständiger Übereinstimmung angelangt waren.
Bliebe bloß zu fragen, wie weit das Gebot der Differenzierung und der Angemessenheit denn erfüllt wird. Nähert sich eine Debatte dem Glutkern Islam, setzen mittlerweile doch eher Vergröberungsreflexe ein, die zu einer immer stärkeren Polarisierung der Lager führen.
Die typisch rechte Vergröberung ist eine, die man unter anderem von AfD-Vertretern immer wieder hört: Der Islam sei gar keine Religion, sondern eine "religiös-politische Doktrin". Das setzt schlankweg Islam und Islamismus gleich.
Die typisch linke Vergröberung findet sich unter anderem im
Koalitionsvertrag von Union und SPD. Dort heißt es: "Wir werden Antisemitismus entschieden bekämpfen und ebenso anti-islamischen Stimmungen entgegentreten" (Rdnr. 7844). Das setzt schlankweg Rassismus und Religionskritik gleich. Man ahnt, dass dies nicht so schlampig gemeint wie es formuliert ist. Gemeint ist: Menschen wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit zu diskriminieren oder für minderwertig zu halten, ist nicht akzeptabel. Aber warum schreiben die Koalitionsverhandler und -verhandlerinnen dann nicht "… und Stimmungsmache gegen Muslime entgegentreten"?
Was der ganzen Debatte fehlt, ist eine übergeordnete Differenzierung, eine, die der Moralphilosoph Stephen Darwall einmal postuliert hat. Es geht um die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Respekt: von anerkennendem und bewertendem Respekt.
Der Gläubige ist im Sinne des anerkennenden Respekts zu respektieren, nicht aber notwendig die Inhalte seines Glaubens im Sinne des bewertenden Respekts.
Diese Unterscheidung wird immer wichtiger in einer Welt, in der immer mehr Religionen an immer mehr Orten zusammenkommen. Denn würde man unter Rücksicht auf religiöse Gefühle oder aus Angst, Rassismus zu schüren, sämtliche Tabubereiche respektieren, würde dies die Gedanken- und Redefreiheit dramatisch einschränken.
Dasselbe gilt natürlich gegenüber dem Feminismus. Wer (anders als Margarete Stokowski) Kritik an diesem Ideen-Anspruch persönlich nimmt, löst gerade das nicht ein, was er/sie selbst fordert: zu abstrahieren zwischen Inhalt und Person, zwischen Argument und Geschlecht. Wie viele Feministinnen sich nach meinem ZEIT-Kommentar daran aufgehangen haben, dass der Autor männlich ist, hat mich doch sehr, sehr gewundert.