Kiyaks Deutschstunde: Die Politik kriegt Gefühle

 
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Kiyaks Deutschstunde
21.02.2018
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Die Politik kriegt Gefühle
 
Da ist sie, die neue Zeit! Berührender Konservatismus und Sozialdemokratie mit Emotionsbackwerk. Die Bundespolitik ist endlich voller magischer Momente.
VON MELY KIYAK

Der Wind drehte sich an einem Samstag. Man legte den aktuellen Spiegel zur Seite und begriff: Dort, wo vorher kalte Politik war, wo neoliberale Achtsamkeitsformeln mit Einatmen durch das eine und Ausatmen durch das andere Nasenloch herrschten, lagen sich zwei Politdinosaurier einander vergebend in den Armen. Riesen Versöhnungsstory zwischen Martin Schulz und Sigmar Gabriel. Grobe Zusammenfassung. Der eine: Sorry. Darauf der andere: Ich vergebe Dir, Emotionsbrötchen!
 
Emotionsbrötchen. Da steckt alles drin. Deutsche Handwerkskunst, Backtradition, Mittelstand. Aber auch Kabale, Krume, Kohlenhydrate. Politik handelt eben auch vom Suchen und Finden der richtigen Worte. Es müssen nicht immer die großen Slogans sein, die teuren Markenbotschaften. Sozialdemokratie war doch mal für Leute, die kleine Emotionsbrötchen backen.
 
Genau genommen kündigte sich der Stilwechsel bereits eine Woche zuvor an. Als bekannt wurde, dass der Koalitionsvertrag vorsieht, das Innenministerium um das Ressort Heimat zu erweitern. Was an sich keine große Sache ist. Weil Erweitern zum Kernanliegen des Deutschen gehört. Die Einliegerwohnung, die Autodachgepäckträgerboxen oder das weltberühmte Zusatzformular Anlage KAP zur Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ergänzend zur Einkommensteuererklärung. Auf etwas Vorhandenes muss der Deutsche eins drauf machen. Das ist, wenn man so will, "auch ein Stück Leitkultur" (CSU).
 
"Betreutes Regieren"
 
Das Heimatministerium auf Bundesebene ist eine zutiefst zärtliche Geste der Kanzlerin, weil doch Pflegenotstand herrscht und sich für Horst Seehofer keine menschenwürdige Einrichtung fand. Früher hätte man in der gleichen Situation gesagt: "Ach komm, soll er am Viktualienmarkt Tauben füttern." Nun aber, da alles weicher und wärmer wird in der Politik, schafft man für Senioren eine Art "Betreutes Regieren". CSU-Politiker wie Günther Beckstein oder Edmund Stoiber hingegen wurden nach ihrer Regierungszeit ohne Wenn und Aber in ihre Herkunftsländer abgeschoben, wo sie sich bis heute in ihren gesellschaftlichen Ämtern, zumeist in einem Fernsehverwaltungsrat, wund liegen. Besonders schlimm traf es Leute wie Erwin Huber, der als Mitglied im "Dialogforum Ost-Süd-Umfahrung Landshut im Zuge der B15neu" liegt und wer weiß wie selten am Tag gewendet wird.
 
Und wie man am Samstag also noch dachte: "Menschenskind, was kommt nach Heimat und Emotionsbrötchen als nächstes?", legte die Kanzlerin ein weiteres feeling nach.
 
Der wichtigste Ureinwohner ist noch da
 
Merkel, also unsere Angela Merkel, der man stets vorwarf, dass sie da, wo andere Gefühle walten lassen, von Sachverstand und Intellekt zerfressen sei, stellte sich am Montag der Öffentlichkeit, um ihre Wunschkandidatin für den Posten der Generalsekretärin vorzustellen. Es handelt sich um Annegret Kramp-Karrenbauer, von der außerhalb des Saarlands allenfalls dann die Rede war, wenn am Stammtisch der Zweiklang ulkiger Doppelnamen durchdekliniert wurde.
 
Saarland, nur ganz schnell, ist das Bundesland, aus dem auch Heiko Maas und Peter Altmaier stammen, und wo nun befürchtet wird, dass die Pläne zum heimlichen Bevölkerungsaustausch, die man Angela Merkel immer unterstellt, dort als Pilotprojekt getestet werden sollen. Ist natürlich Blödsinn. Kommissar Palu, der Dicke auf dem Fahrrad mit der Baguettestange im Korb, der wohl wichtigste Ureinwohner, lebt noch dort. Abgesehen davon wird für jeden Politiker, der aus dem Saarland abgezogen wird, niemand dorthin geschickt.
 
Sozialdemokratie mit Emotionsbackwerk
 
Kramp-Karrenbauer, die jetzt immer mit AKK abgekürzt wird, was nicht halb so schön klingt, wie wenn man den Namen eher etwas französisch ausspräche, Kroomp-Kárränbauäär, wird nach Berlin gehen, und ein anderer Politiker wird ihr Nachfolger. Vielleicht besetzt man den Posten auch mit einer Weinrebe, denn im Saarland gibt es nichts zu regieren. Da wächst nur Wald. Es herrscht also vielmehr Bedarf an Schlümpfen statt an Menschen.
 
Die Kanzlerin jedenfalls erklärte, wie es zu der "Personalie", wie man in allerblödestem Deutsch sagt, kam, und, oh Mann, das war so schön. Man will diesen Moment immer und immer wieder zum ersten Mal erleben, denn Merkel plauderte aus, dass die Ministerpräsidentin diesen Vorschlag selbst gemacht hatte. Das Transkript dieses Gespräches läse man gerne. Und die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, deren Gefühle stets tief verkramt in ihrer steifen Ledertasche liegen, sagte diesen schier ungeheuerlichen Satz: "Mich hat diese Idee sehr berührt."
 
Endlich wird sich gefreut
 
Seht ihr, will man hysterisch aufschreien und mit dem Zeigefinger in ihre Richtung deuten, seht ihr? Da ist sie! Die neue Zeit. Als niemand mehr daran glaubte, dass Angela Merkel in der Lage ist, einmal nur, ein einziges Mal spontan mit einer Stimmung zu reagieren und diese zu verbalisieren, trat sie, als man es am wenigsten erwartete, dicht an die emotionalen Klippen des Kreidefelsens. Weder ging es um hungernde Kinder oder die Mietpreisbremse noch um Exportüberschüsse oder frierende Obdachlose. Es ging um den Posten der Generalsekretärin. Eine Lappalie. Wirklich nichts wichtiges. Als Peter Tauber sich von seinem Amt abmeldete, erschreckten sich manche in der CDU zu Tode. Ach Gottchen, der hing ja auch noch im Schrank.

Das ist die neue Linie, nach der alle so sehnsüchtig rufen! Die alles überwölbende Idee, der Leitplankengedanke der Groko. Es wird weder nach links noch nach rechts gerückt. Es wird sich gefreut, es wird vergeben. Berührender Konservatismus. Sozialdemokratie mit Emotionsbackwerk.
 
Jetzt bräuchte man ausnahmsweise eines dieser Umfrageinstitute, die nie da sind, wenn man sie mal braucht. Sie sind ja doch ausgewiesene Experten in Sachen "deutsches Stimmungsbarometer". Man möchte wissen, ob sich die oft zitierte Trendwende bereits beziffern lässt. Kommt so viel Gefühl bei den Wählerinnen und Wählern an? Wenn am Sonntag Wahl wäre, mit welcher Partei versöhnten Sie sich? Um wen haben Sie in der Bundesregierung diese Woche geweint? Wer hat Sie berührt?
 


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