Kiyaks Deutschstunde: Achtung, Erneuerungsalarm!

 
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Kiyaks Deutschstunde
15.02.2018
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Achtung, Erneuerungsalarm!
 
Angela Merkel spricht davon, Olaf Scholz spricht davon, Jens Spahn spricht davon und sogar Martin Schulz: Wovon reden sie alle, wenn sie "Erneuerung" sagen?
VON MELY KIYAK

So ist das immer mit Mode: Selten etwas wirklich Neues dabei. Wie diese Gastronomie, in der man in einer Bowl bis zu sieben Zutaten zusammenstellt und außerdem noch ein Spiegelei und eine Handvoll Sprossen bestellt, um es wie einen Baldachin über das Kompott aus siebenerlei Krimskrams zu spannen. Von Weitem ähnelt die Kundschaft Flüchtlingen, die sich gerade ihren Napf mit einer Essensration aus dem Versorgungszelt füllen ließen. Kommt man näher, sieht man Menschen, die aus Suppenschüsseln essen.
 
Jedenfalls – Achtung, superneuer Trend! – herrscht in der Politik gerade Erneuerungsalarm. Und zwar in den Varianten "personelle Erneuerung", "parteipolitische Erneuerung" oder ganz allgemein "Neuanfang".
 
Bei genauerer Betrachtung lässt sich nicht genau rekonstruieren, wer damit angefangen hat. "Erneuerung der Parteispitze" nannten es die Grünen. Gemeint war, dass Annalena Baerbock und Robert Habeck die künftige Parteispitze bilden werden. Als Cem Özdemir den Job damals bekam, hieß die Umbesetzung einfach nur "Wechsel". Erneuerung hat natürlich die Aura von "frisch gestrichen". Bei Wechsel hingegen denkt man an Windelwechsel, also gleich wieder voll.
 
Jens Spahn fordert wieder
 
"Wir brauchen jetzt Zeichen der Erneuerung", forderte Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union im Bezug auf zu besetzende Posten in der nächsten Regierung. Es war nicht ganz klar, ob er schon einmal auf sich aufmerksam machen wollte. Es kann auch sein, dass er motiviert von Kevin Kühnerts Engagement bei den Jusos so inspiriert war, dass er dessen Slogans einfach eins zu eins kopiert, in der Hoffnung, ganz viele  Talkshoweinladungen zu bekommen. Wie ein Truthahn in Backfolie plusterte er sich auf und verlangte die sofortige Namensliste der künftigen Minister. Als ob Merkel mit allem Handeln erst durch den Ziemiakschen TÜV müsse.
 
Jens Spahn referierte zum selben Thema. Die Führung einer Partei sei nicht vererbbar, schließlich befinde man sich nicht in einer Monarchie. Wer führen will, muss sich durchsetzen. Und er machte gleich vor, wie das geht. Direkt nach dem Interview tat er das, was er besonders gut kann: fordern. Dieses Mal forderte er, die Leistungen für Asylbewerber zu kürzen. Was natürlich seltsam ist. Denn die Leistungen für Asylbewerber waren einst gekürzt, bis das Bundesverfassungsgericht dem ein Ende setzte. Nun macht man sich etwas Sorgen um Spahn. Ob er wohl alphabetisiert ist? Und wenn nicht, käme er trotzdem für eine Erneuerung infrage?
 
Scholz und die Kreidezeit
 
Irritierend ist die in der CDU plötzlich aufgekommene, unbändige Sehnsucht nach Erneuerung, die derzeit in unzähligen offiziellen Zitaten, aber auch inoffiziellen Durchstechereien fliegenschwarmartiges Gesumm produziert. Warum so plötzlich der Ruf nach Erneuerung? Was ist jetzt schlecht, was vor vier Monaten, als man die CDU, die Kanzlerin und das ganze Personal im Wahlkampf hochjubelte, noch nicht schlecht war? Wenn Angela Merkel so schädlich für die CDU ist, warum hat man sie nicht vor der Wahl abgesägt? Ist jemanden zu stürzen mittlerweile zu einer politischen Selbstverständlichkeit geworden? Wie wäre es mit raffinierten Konzepten und sagenhaften Ideen statt Fordern und Maulen?
 
Auch in der SPD ist man schwer damit beschäftigt, den Erneuerungsbedarf zu bewerben. Olaf Scholz sprach am vergangenen Dienstag davon, dass die Partei sich "erneuern müsse". Ob er das Personal oder die Politik meinte, wurde nicht ganz klar. Scholz ist seit seiner Schulzeit in der SPD, er war bei den Jusos, war Minister, ist Bürgermeister, er ist gefühlt seit der Kreidezeit mit SPD-Ämtern verwachsen. Als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass er als künftiger Finanzminister gehandelt wird, war es ihm ein dringendes Bedürfnis, übereifrig zu versichern, dass er "die schwarze Null" anstrebe. Die "schwarze Null" ist Wolfgang Schäubles Vermächtnis und ungefähr so trendy wie Mokassins aus Wildleder zu Bundfaltenjeans.
 
Erneuerung als Wert
 
Rudolf Dreßler derweil motzte und meckerte auf Phoenix. Er wurde als Experte, Insider und Beobachter eingeladen, sich öffentlich über seine Partei herzumachen. Im Islam herrscht seit wenigen Jahrhunderten Bilderverbot. Bei Dreßler herrschte Nennungsverbot für solche, deren Namen er nicht mal mehr in der Mund nahm. Andrea Nahles beispielsweise war, "die das Chaos einleitetet und verursachte". Man redete darüber, wer in der SPD denn führen könnte, wenn die, die das Chaos verursachte und einleitete dazu – laut Dreßler  – nicht fähig sei, und so war man beim Thema fähiges Personal angelangt. Da sagte Dreßler etwas sehr Schönes, nämlich, dass Malu Dreyer es machen könne. Und zwar mit dem Argument, der folgende Satz entschädigte übrigens generös für das Erneuerungspalaver, dass ihr Reden "zwar nicht Gold" sei aber immerhin "lediglich Silber". Somit sei sie besser als die anderen. Randnotiz: Immer wenn Dreßler bei Phoenix sitzt, erfindet er grazile Umschreibungen. Vor einigen Wochen erschuf er "das Dilemma des Handelns". Er meinte Regieren.
 
Man begreift zwei Dinge.
 
Erstens, Erneuerung an sich ist im politischen Geschäft ein Wert. Nicht aber Fachwissen oder Erfolg. Anders ist es nicht zu erklären, dass das Besetzen von Posten in keinerlei Zusammenhang mit Kompetenz gestellt wird, sondern mit Begriffen wie "neues Gesicht" oder "politischer Nachwuchs". Jedoch: Ist Jens Spahn ein neues Gesicht? Gar Nachwuchs?

Die Tatsache, dass man sich zu Schulzeiten einer Partei verpflichtete, zieht nicht automatisch das Naturrecht auf einen Spitzenposten mit sich. Und irgendwie wird alles Mögliche Mode, aber nie die Frage, was genau das Leistungsspektrum jener Leute ist, die sich gerade wie Scampi mit den Ellenbogen an die Spitze drängelnd fortbewegen.
 
Die viel wichtigere Erkenntnis aber, und damit sind wir bei zweitens: Mit dem Ruf nach Erneuerung ist in der Politik alles Mögliche gemeint, aber nicht Erneuerung.



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