Kiyaks Deutschstunde: Gebt uns den Bundesbalkon wieder!

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.

 
Kiyaks Deutschstunde
08.02.2018
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Gebt uns den Bundesbalkon wieder!
 
Jamaika sondierte fünf Wochen lang, es war Krimi und Soap, Tragik und Gaudi. Und was haben wir jetzt?
VON MELY KIYAK

In der Bibel heißt es, dass Gott als Zeichen seiner Macht zehn Plagen über das Land brachte. Aus Wasser wurde Blut, die Fische starben, Frösche sprangen aus Betten und Backtrögen, Stechmücken tobten. Beulen und Geschwüre wuchsen Mensch und Vieh aus ihren Öffnungen, in die offenen Wunden regnete es Hagel; es muss das Paradies gewesen sein!
 
Was jetzt herrscht, hier im Februar 2018 ist die Hölle. Ödnis, wie es sie nie zuvor und nie mehr danach geben wird. Die Sartre’sche Hölle, sie ist hier auf Erden. Die Groko-Sondierung als "Geschlossene Gesellschaft" kann nur als Strafe gedeutet werden. Man bereut jede einzelne Lästerei über die Jamaika- Sondierung und wird nicht mehr fertig damit, sich aus Buße mit Birkenreisig den Rücken blutig zu büscheln.
 
CDU, FDP und Grüne sondierten fünf Wochen lang. Es war Krimi und Soap, Tragik und Gaudi, manchmal war es Schwachsinn bis an die Schmerzgrenze heran, immer empörend. Hinzu kam das hysterische Getwitter live vom Verhandlungstisch, es war Luxus, es war Fülle, barocke Dekadenz, die Themen stapelten sich. Was hatte man über all das geulkt. Oft wusste man nicht, was man als erstes kommentieren soll. 
 
Als an einem Sonntag die Groko ihre Sondierungsgespräche aufnahm, fühlte es sich bereits am Mittwoch darauf so an, als wären Merkel, Kauder, Schulz und die anderen zu Gandalf geworden, eineinhalbtausend Jahre vergangen und der weiße Rat gegründet.
 
Schulz, Wahnsinnsnachricht
 
Früher, als sich die Politik zum Zwecke der Regierungsbildung noch nicht disziplinierte, also seit November letzten Jahres, da wurden noch eigens Bilder produziert, die man dechiffrieren sollte. Schlimme Bilder. Peinliche Bilder. Der Gruppenaufmarsch von Göring-Eckardt, Hofreiter, Trittin, auf dem Weg in die Parlamentarische Gesellschaft. Da lief keine Partei im Dienst der Regierungsbildung. Nein, das war ein Bild wie der Einmarsch in den Irak. Bilder, die man auseinandernehmen konnte, Stück für Stück, genüsslich, wie als machte man eine Arschbombe ins Seniorenschwimmbecken.
 
Tippt man die Begriffe Groko und Sondierung in die Suchmaschine ein, gehört das Foto der Bundeskanzlerin, die vor einem Haufen Mikrofone steht zu den aufregenderen Motiven. Der Bundesbalkon. Gebt uns die Bundesbalkonbilder wieder! Gebt uns irgendwas, in dem man sich suhlen kann. Nie hätte man gedacht, dass man so jämmerlich darum betteln wird.
 
Da hat es schon einmal so eine Wahnsinnsnachricht wie "Martin Schulz erwägt Ministerposten", aber es gibt nichts, mit dem man diese Premium-News bebildern kann. Weil der Kerl sich von allen Mikrofonen und Kameras fernhält. Ist das der Dank für all die Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte? Die Talkshows sind mittlerweile so verzweifelt über die Dürre, die an Zitaten und Intrigen herrscht, dass sie schon wieder Ralf Stegner einladen.
 
Sachgrundlose Befristung und Zweiklassenmedizin. Für alle, die sich eine "sachliche Debatte" wünschen, bitteschön, da ist sie. Sie fühlt sich an wie eine Beerdigung im evangelisch-lutherischen Stil. Mit Grabredner und Möchtegern-Elton John, der für unsere "geliebte Gisela" auf der Bontempi Candle in the Wind orgelt. Sie fühlt sich an wie altes Käsebrötchen und wie Onkel Hermann, der einem beim Leichenschmaus mit der für Arthrose typischen Unsensibilität in den Fingern grobmotorisch am Ausschnitt herumtatscht.

Am Montag schrieb irgendwer, dass die Verhandler ohne Nachtsitzung auseinandergegangen sind. Weil ja auch das öffentlich bemängelt wurde. Die Unausgeschlafenheit der Politiker. Als hätte irgendwer aus dem Kanzleramt eine Liste von Vorwürfen gesammelt, die jemals in der Jamaikapalaver-Ära fielen und also macht man alles goldrichtig. Ausschlafen. Nicht streiten. Nicht twittern. Keine albernen Fotomotive anbieten.
 
Das hat man davon. Nun quält man sich durch die Berichte der Kollegen, die einem die Demokratie als Konsensübung erklären, "die kleinen Schritte" feiern und neuerdings, die "letzten Knackpunkte" erörtern.
 
Knackpunkte. Man möchte sterben.



Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich.