Söder macht Wissenschaftspolitik | Learning Analytics | Indien reformiert Unifinanzierung | Gastkommentar Isabel Roessler: Ein Jahr Innovative Hochschule

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
puh, eine prallvolle Woche in Politik und Wissenschaft, und sie ist noch nicht zuende. DFG, Stifterverband und HRK packen heute vormittag in Berlin den neuesten Förderatlas auf den Tisch. Markus Söder präsentierte am Dienstag die Blaupause für die neue Technische Universität Nürnberg. Die University of California Irvine trennt sich nach Ermittlungen zu sexueller Belästigung von ihrem Starforscher Francisco José Ayala (Personalien), während die University of California in L.A. eine Wohlfühl-App startet (Fußnote). Und Isabel Roessler vom CHE lotet im Gastkommentar aus, wie Deutschlands Fachhochschulen im Förderprogramm „Innovative Hochschule“ vorankommen.  
 
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Söder macht Wissenschaftspolitik
Bundesweit gab Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zuletzt eher den asylpolitischen Derwisch. Jetzt macht er Wissenschaftspolitik. Als ein „wuchtiges Signal mit Strahlkraft auf ganz Bayern" und  – Achtung! – „darüber hinaus“ will Söder die drei Milliarden Euro verstanden wissen, mit denen er in den nächsten 30 Jahren die Wissenschaft in seiner fränkischen Heimat zu pimpen gedenkt (Bayernkurier). Fürs Protokoll: Im Herbst sind Landtagswahlen in Bayern, und die CSU hat Angst um ihre Mehrheit. Zurück zum Vorhaben: 300 Millionen Euro gehen an die TH Nürnberg, 1,5 Milliarden an die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen und 1,2 Milliarden sind für den Aufbau der Technischen Universität Nürnberg geplant. Nach Beschlüssen des bayerischen Kabinetts soll die TUN im Jahr 2025 ihren Lehrbetrieb in insgesamt sechs Departments (Mechatronic Engineering, Quantum Engineering, Biological Engineering, Computer Science and Engineering, Humanities and Social Sciences, Natural Sciences and Mathematics) starten. Mit maximal 6000 handverlesenen Studierenden kommt die Universität mit der Kragenweite einer FH daher, die Lehre soll aber ganz am Puls der Zeit, im Flipped Classroom-Modell, erfolgen. Lehrstühle gibt es nicht. Die 200 bis 240 Professuren arbeiten interdisziplinär in den Departments (SZ, BR, Oberbayrisches Volksblatt). Die Ideen stammen von einer Expertenkommission mit TUM-Präsident Wolfgang Herrmann an der Spitze. Bis Oktober will sie die Blaupause für die neue Uni fertig haben. Das Ziel, „modellhaft das deutsche Hochschulsystem zu beleben“, formuliert Herrmann mit breiter Brust im Blog von Jan-Martin Wiarda.
  
 
 
Lernen und Lehren im Glashaus
Die Digitalisierung macht möglich, wovon viele noch nicht einmal zu (alb)träumen wagen. Learning Analytics erlaubt Hochschulen und ihren Professoren, den Lerneifer ihrer Studierenden zu messen. Das ist Überwachung pur, finden die Gegner, Big Brother habe nichts mit Uni zu tun. Unsinn, sagen die Befürworter, Learning Analytics senkt die Durchfall- und Abbrecherquote. Jisc, der Software-Dienstleister für britische Hochschulen, schaltet zum 1. August eine nationale Plattform für Learning Analytics frei (THE). Das Programm sammelt alle relevanten Lerndaten, es registriert Anwesenheiten, erstellt Bewegungsprofile und visualisiert die Informationen für Lehrende. Eine „Study Goal App“ erlaubt Studierenden, sich individuell Lernziele zu setzen, ihre Fortschritte zu kontrollieren – und sich mit Kommilitonen zu vergleichen. 30 Hochschulen nutzen das Jisc-Angebot, weitere 30 haben Interesse bekundet. In einer mehrjährigen Pilotphase wurde auch ein Code of Practice (PDF) entwickelt. Von der Learning-Analytics-Plattform erhoffen sich die Hochschulen höhere Absolventenquoten und einen forcierten Wettbewerb um gute Lehre: “Universities have told us that they would like to benchmark their data but, if everyone has got their own system, that’s impossible. In order to get benchmarking, you need a shared warehouse“, erklärte Phil Richards, Chef-Programmierer bei Jisc, bereits im Mai 2016.
  
 
 
Indien reformiert Hochschulfinanzierung
Mit rund 850 Universitäten, 40.000 Colleges und 28 Millionen Studierenden ist Indien ein Goliath auf dem tertiären Bildungsmarkt. Jetzt soll er neuen Schliff bekommen. Der Plan: Die mächtige University Grants Commission wird nach mehr als 60 Jahren abgewickelt und mit einer neuen Organisation ersetzt, die Higher Education Commission of India. Sie wird – anders als die UGC – allerdings nicht als akademische Hochschulfördereinrichtung fungieren. Die Finanzierungshoheit geht vollständig an die Politik (The Hindu, Hindustan Times, ScrollIn). „If one department publishes a paper in its journal criticising the government over a policy measure, its funding may be curtailed“,  beschreibt Vikram Singh, Generalsekretär der Studierendenwerke in Indien (Newscklick) die Brisanz der Reform.
  
   
 
 
   
   
   
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Personen
 
 
   
Ehemaliger AAAS-Präsident stürzt über sexuelle Belästigung
Der renommierte Evolutionsbiologe und Philosoph Francisco José Ayala ist an seiner Universität, der University of California Irvine (UCI), nun persona non grata (NYT, Scientist, Science). Seit November ermittelte die Uni in einem sogenannten Title IX-Verfahren wegen sexueller Belästigung gegen Ayala, hörte an die 60 Zeugen und beschloss nun die Trennung von ihrem Starforscher. Die Vorwürfe gegen den Templeton-Preisträger und ehemaligen AAAS-Präsidenten hatten drei Wissenschaftlerinnen und eine Promovendin erhoben. Der gebürtige Spanier bestreitet die Vorwürfe bis heute und will sein Verhalten als das eines „europäischen Gentleman“ verstanden wissen. Mit Ayala verliert die UCI auch einen ihrer größten Mäzene. Allein 2011 gab er seiner Uni knapp 8,5 Millionen Euro für den Aufbau einer Forschungseinheit, die künftig so wenig seinen Namen tragen wird wie Bibliotheken oder auch Stiftungsprofessuren an der UCI. Ein Title IX-Verfahren läuft aktuell auch gegen die bekannte US-Literaturwissenschaftlerin Avital Ronell an der New York Unviersity (ZEIT); allerdings sind in dem Fall die konkreten Vorwürfe nicht bekannt. Wie US-Hochschulen mit sexueller Belästigung umgehen, lässt sich in einem Bericht nachlesen, den die National Academy of Science Mitte Juni herausgab. Seit Mai fordern Wissenschaftler in einer Petition, Forscher aus der NAS auszuschließen, die andere sexuell belästigt haben. 

Unis umwerben Achtjährigen
Laurent Simons aus dem belgischen Brügge rockt die Welt. Nach bestandenem Abitur will der Achtjährige mit einem IQ von 145 studieren (BBC, Le Point, Dhaka Tribune, Bild, Welt), nur wo? Bewerbungen von Unis aus aller Welt sind bereits bei seinen Eltern eingetroffen. Die bleiben cool. Laurents Vater, Alexander Simons, wünscht seinem Sohn vor allem eins: ein glückliches Leben. „Wenn er morgen Zimmermann werden will, ist das auch okay“, zitiert BBC Alexander Simons unter Berufung auf den belgischen Sender RTBF.

Claudia Kleinwächter führt ZWM-Geschäfte
Das Zentrum für Wissenschaftsmanagement in Speyer hat eine neue Geschäftsführung. Claudia Kleinwächter leitet seit diesem Monat das zwölfköpfige Team. Sie folgt auf Frank Stäudner und Pascal Sadaune, die das ZWM verlassen haben. Kleinwächter war zuletzt im Direktorat des Geomar Helmholtz-Zentrums in Kiel tätig.  
 
Klaus Hekking wird Vizepräsident in neuem EU-Hochschulverband
Europas Privathochschulen haben Ende Juni den Verband EUPHE gegründet, um sich international besser zu vernetzen. Klaus Hekking vom deutschen Verband der Privaten Hochschulen gehört dem Gründungspräsidium als Vizepräsident an. An der Spitze steht Jean-Michel Nicolle aus Frankreich. Frauen finden sich nicht in der Führungsriege.
 
Papst macht polnischen Ordensmann zum Qualitätswächter
Für die Qualität an Katholischen Hochschulen und Fakultäten ist künftig der polnische Bibelwissenschaftler Andrzej Stefan Wodka verantwortlich. Als Leiter der 2007 gegründeten Vatikan-Agentur zum akademischen Qualitätsmanagement prüft der 58-Jährige etwa die Umsetzung des Bologna-Prozesses. Das war bislang Aufgabe des italienischen Psychologen Franco Moda. Der päpstlichen Personalentscheidung ging im Januar ein apostolisches Hochschulreformpapier mit dem Titel  „Veritatis gaudium“ (PDF) voraus. Es novelliert ein Dokument aus dem Jahr 1979. 
 
TU Darmstadt sucht Präsidentin oder Präsidenten
An der Spitze der Technischen Universität Darmstadt ist ein personeller Wechsel möglich. Die laufende Amtszeit von Hans Jürgen Prömel endet 2019. Auf Anfrage der ZEIT erklärte sich Prömel für eine Kandidatur bereit. Wer mag die Aufgabe sonst noch übernehmen? Die Findungskommission ist mit Ferdi Schüth, Vize-Präsident der MPG, prominent besetzt. Zur Ausschreibung im ZEIT Stellenmarkt geht es hier entlang
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
von Isabel Roessler
   
 
   
Ein Jahr „Innovative Hochschule“: eine Bilanz
Anfang Juli 2017 sind die 48 Gewinner der ersten Runde der BMBF-Förderinitiative „Innovative Hochschule“ bekannt gegeben worden. Zum ersten Jahresstag nun eine erste Bilanz: 16 Auftaktveranstaltungen bundesweit zeugen von einem gelungenen Projektstart. Über 200 neue Stellen im Rahmen der Förderung wurden allein im ZEIT Stellenmarkt angeboten. Zwei Hochschulen haben eigene Projektwebseiten erstellt. Aber bei den meisten Hochschulen sucht man online lange nach weiteren Informationen.
Dabei war die „zu erwartende profilbildende Wirkung auf die Hochschule“ ein Bewertungskriterium für den Zuschlag. Profilbildung ist in der Außendarstellung jedoch kaum wahrnehmbar, wenn die Förderung auf der Hochschul-Homepage erst nach mehreren Klicks zu finden ist. Wenn überhaupt.
Bei einer ersten Bilanz sollte man die Hochschulen nicht vergessen, deren 89 Anträge leer ausgingen. Diese haben kaum Chancen, die investierte Zeit und Kosten wieder reinzubekommen. Nun müssen sie nach kritischer Analyse realistisch ihre Chance ausloten, sich in der zweiten Runde zu bewerben. Das ist keine Entscheidung, die sich in ein paar Stunden fällen lässt. Trotzdem: Grundsätzlich fällt das Resümee positiv aus. Weil sich viele Hochschulen umfangreiche Gedanken über Transfer machten, entsprechende Strategien entwickelten, Ideen generierten. Weil Geld in das System fließt, das vor allem den Fachhochschulen zu Gute kommt. Weil eine solche Förderung auf einem Gebiet jenseits der Forschung zur Profilbildung beiträgt und die Vielfalt der Exzellenz unterstützt.
Die bisherige Förderung kann in dieser Form jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Für gelungenen und sich verstetigenden Transfer in die Gesellschaft greifen sowohl der Förderzeitraum (2 x 5 Jahre), als auch die Fördersumme von maximal drei Millionen Euro für einen Verbund pro Jahr zu kurz. Aber immerhin gibt es ein Geburtstagsgeschenk! Das Land Niedersachsen gab Ende Juni bekannt, ein eigenes Förderprogramm zur strukturellen Unterstützung des Wissenschafts- und Technologietransfers zu starten: bis zu 500.000 Euro jährlich für bis zu fünf Jahre für eine gute Handvoll Standortkonzepte. Ein Beispiel, das auch in anderen Bundesländern Schule machen könnte? Das wäre schön. Nur gibt es das Niedersächsische Vorab, Fördergeld das sich unter anderem aus der Dividende der VW-Aktien speist, leider nicht überall.
 
Dr. Isabel Roessler ist Senior Projektmanagerin im CHE Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh
 
   
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Die verbotene Universität Angehörige der Bahai-Religion haben im Iran Hochschulverbot. Seit dreißig Jahren lernen sie im Untergrund. Wie studiert man, wenn Studieren illegal ist? 
 
Klempner? Kommt nicht infrage Schule geschafft – und was nun? Neun Zehntklässler aus Lüneburg über die schwere Entscheidung, einen »Beruf fürs Leben« zu finden Wo Experten zögern Der sinnstiftende Intellektuelle war einmal. Aber wer tritt nun an seine Stelle – und hat Antworten auf die großen Fragen der Zukunft?


Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Die Universität ist eine Veranstaltung für Erwachsene. Das heißt aber nicht, dass sich keiner mehr kümmert. Die University of California in Los Angeles jedenfalls entwickelte eine App zum Wohlbefinden auf dem Campus (THE). Alle zwei Wochen erhalten Studierende eine Push-Nachricht mit Fragen. Dazwischen können sie ihrem digitalen Kummerkasten natürlich auch unaufgefordert Gedanken, Erfahrungen und Gefühle offenbaren. Damit sie das möglichst oft getreulich tun, gibt es an der UCLA zum Start eine vertrauensbildende Marketing-Kampagne. Im Herbst wird der Kümmerkreis erweitert, dann bekommen auch Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager ihre Gemüts-App. An Weihnachten müsste damit alles gut sein in L.A. Happy End!
Christine Prußky
P.S.: Die App zur Auflösung der ganzen Nöte und Sorgen kommt bestimmt.
 
 
   
 
   
 
 
   
Heute schon gekümmert?

Ihr CHANCEN-Team


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