10 nach 8: Nina Berendonk über Facebook

 
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20.07.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Raus aus dem Applaus-Automaten
 
Warum denken so viele, sie müssten ihre Person, ihren Job, ihre Schönheit, Intelligenz oder Erziehungsleistung ständig auf Facebook bewerben? Ich mache jetzt Schluss.
VON NINA BERENDONK

Die Urlaubsselfies der anderen – wieso noch mal sollte man sich dafür begeistern? © Oliver Fahrni/unsplash.com
 
Die Urlaubsselfies der anderen – wieso noch mal sollte man sich dafür begeistern? © Oliver Fahrni/unsplash.com
 

Lange hatten wir es wirklich schön miteinander, Facebook und ich. Ich freute mich über Eindrücke aus dem Alltag jener Freunde, die mittlerweile in Kanada, Kenia oder Kopenhagen leben, über Fotos von Babybäuchen und Tipps für neue Bars. Ich teilte Artikel aus ausländischen Zeitungen, entdeckte Body-Positivity-Videos, diskutierte mit Männern und Frauen über #MeToo und mobilisierte meinen Münchner Kreis zur Demo gegen Fremdenfeindlichkeit. Ich fragte den Schwarm nach Riads in Marrakesch oder empfahl einer Bekannten mit steifem Nacken meine zaubernde Osteopathin. Ich machte Werbung für Magazine, an denen ich mitgearbeitet hatte, feilte an vermeintlich witzigen Posts und Kommentaren und gab ein bisschen an mit Selfies von prominenten Interviewpartnern. Facebook, so mein Gefühl, bot mir Anregung, Austausch und Futter für den Kopf,  journalistische Fingerübungen und manchmal sogar so etwas wie soziale Wärme.  

"Ich kann mir meine Welt dort ja selbst zusammenbauen", erklärte ich meiner skeptischen Mutter einmal das Konzept der Facebook-Freundschaften und gelikten Newsseiten. Denn genau das tat ich seit meiner ersten Anmeldung 2010. Menschen mit politisch fragwürdiger Haltung und Verschwörungstheoretiker flogen sofort von meiner Freundesliste; in Fällen, in denen noch Hoffnung bestand, versuchte ich es zunächst mit kritischen Nachfragen und zum Teil scharfen Diskussionen. Allzu brutale Videos und Bilder – Schlachthof- oder Pelztierfarmszenen – boykottierte ich mit dem Ich-möchte-das-nicht-sehen-Button, auch wenn ich mit den Überzeugung dahinter übereinstimmte. Doch, so mochte ich meine große, bunte Facebook-Blase. 

Meistens. Denn es gab auch damals schon Menschen in meiner Kontaktliste, die auf den ersten Blick harmlos wirkten, mich am Ende aber unglaublich irritierten. Weil sie es schafften, mich für den Moment in ihre Alltagsbanalität zu verstricken: Wozu soll ich mir das Mittagessen einer Berliner Schriftstellerin angucken? Ich mag ihre Bücher – was interessiert mich ihr Linsen-Burger? Warum scheinen einige wirklich fähige Geschäftsfrauen zu denken, sie hätten nur dann richtig "genetworked", wenn sich danach ein Gruppenfoto mit Champagner in den sozialen Medien findet? Und wieso postet eine hochintelligente Journalistin mit Anfang 40 ständig ihre – zugegeben: sehr schönen – Knie?           

Ich erinnere mich gut an diese Knie, weil ihre Besitzerin die Erste war, die ich aufgrund von wachsender Irritation entfreundete, meine Beweggründe dafür aber vorher erklärte. Ja, irgendwie versuchte ich damals wirklich noch, Facebook zu einem besseren Ort zu machen. Die Kollegin reagierte frostig: "Wenn du meinst. Für mich ist das hier alles nur ein großer Spaß." In Klammern: Du humorlose, neidische Kuh. Mag sein, ich hätte auch gern so samtig braune Haut. Doch war das nicht der einzige Grund, warum mich ihre Selbstbespiegelung und das Komplimentefischen so enervierte. Es war auch die Tatsache, dass das Banale, Eitle bei Facebook überhandnahm und mir den Spaß an intelligenter Unterhaltung und wirklich spannenden Debatten verdarb. 

Die rausgeschmissenen Knie waren nur der Anfang. Als mir Facebook vor einer Weile die Liste jener Kontakte zur Prüfung einblendete, von denen "du eine Pause eingelegt hast, Nina", staunte ich über die Anzahl. Aber doch, klar, da war die Bekannte, die fast täglich die altklugen Kommentare ihres Siebenjährigen gepostet hatte. Die Freundin, die sich gerade vom Vater ihrer Kinder getrennt hatte, mir das (zusammen mit 345 Facebook-Freunden) mittels eines Posts mitteilte und danach Beileidskommentare zurückkommentierte. Oder der nicht unwichtige PR-Kontakt, der sich neulich allen Ernstes auf dem Münchner Südfriedhof getaggt hat, samt weinendem Smiley und der Mitteilung, dass er gerade – Echtzeit, Leute – seinen Schwiegervater beerdigt. 

Ich brauche dringend eine virtuelle Pause

Um es in der anglisierten Netzsprache zu formulieren: WTF? Oder etwas differenzierter: Was ist in unserer Gesellschaft schiefgelaufen, dass so viele Menschen denken, ständig ihre Person, ihren Job, ihre Schönheit, Intelligenz oder Erziehungsleistung promoten zu müssen? Dass sie Trennungen und Todesfälle neben Kätzchenvideos stellen? Dass Likes und weinende Smileys zur virtuellen Währung geworden sind? Und dass Facebook, das einst den Arabischen Frühling befeuerte, zumindest in meiner virtuellen Blase, zum Applaus-Automaten verkommen ist? 

Ich mag viele dieser Menschen im wahren Leben sehr. Aber virtuell musste ich, um im Facebook-Wording zu bleiben, dringend mal eine "Pause von ihnen" einlegen. Das heißt: Ich bleibe mit ihnen verbunden, sie können, wenn sie wollen, meine Posts sehen  – und das war's. Ich poste ja selbst kaum noch was in meiner frisierten Filterblase, seit ich über den grassierenden Netznarzissmus nachdenke. Denn: Sind meine Promifotos und die Schnappschüsse aus Südafrika nicht genauso eitel? Und reicht es nicht, wenn mein Mann oder meine Schwester, mittlerweile beide ohne Facebook-Konto, über eine eventuell wortwitzige SMS lachen? 

Es hat mich ohnehin schon lange gestört, dass mir nach Mailkonversationen mit der Redaktion eines Elternmagazins ständig Windelwerbung in meinen Feed gespielt wurde. Oder nach dem WhatsApp-Chat mit einer Freundin über Winterspeck Anzeigen für Wunderdiäten. Spätestens nach der Affäre Cambridge Analytica konnte ich nicht mehr verdrängen, dass ich mit jedem Like, das ich vergebe, eine Datenspur hinterlasse. Und dass diese Daten, die wir so bereitwillig ins Netz streuen, benutzt werden, um Produkte zu verkaufen, Menschen aufzuhetzen oder Wahlen zu verfälschen. Zumindest die offenbar bestehende Standleitung zu meinen privaten Nachrichten wollte ich Facebook kappen. Boykottaufrufe von Menschen wie der Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel oder des Internetgurus Jaron Lanier haben mich bestärkt. 

Und wie das so ist mit sterbenden Beziehungen: Wenn man sich eine Weile nicht sieht und dabei bemerkt, dass einem nichts fehlt – sondern dass man, ganz im Gegenteil, auf einmal weniger in sich hineinschimpft … dann ist das ein ziemlich klares Zeichen, oder? 

Deshalb habe ich eine komplette Facebook-Pause eingelegt. Natürlich frage ich mich von Zeit zu Zeit, ob ich nichts verpasse. Ob mir nicht Themenideen und eine tolle neue Off-Location in meiner Stadt durch die Lappen gehen. Weil ich keine Facebook-App mehr auf dem Handy habe, habe ich neulich einfach jemanden auf der Straße nach seinem Lieblingscafé in der Nähe gefragt: War ein total nettes kleines Gespräch. Danach hatte ich eine einzige Adresse und staunte, wie erholsam eine beschränkte Auswahl sein kann.

Ich glaube, ich komme so schnell nicht zurück. 

Nina Berendonk arbeitet als Redakteurin und Autorin in München. Bei der "Süddeutschen Zeitung" hat sie angefangen, heute leitet sie das Gesellschafts-Ressort der Zeitschrift "Donna". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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