Fünf vor 8:00: Zwei Prozent - aus eigenem Interesse - Die Morgenkolumne heute von Matthias Nass

 
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FÜNF VOR 8:00
11.07.2018
 
 
 
   
 
Zwei Prozent – aus eigenem Interesse
 
Deutschland sollte mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Nicht, weil der US-Präsident es fordert, sondern weil sich Europa stärker auf sich selbst verlassen muss.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   
Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 29 Nato-Staaten am Mittwoch und Donnerstag zu ihrem jährlichen Gipfel in Brüssel treffen, befürchten manche Europäer, dass sie dort erneut einen pampigen US-Präsidenten erleben werden, ähnlich wie schon vor ein paar Wochen bei der G7-Konferenz in Kanada. Denn für Donald Trump sind die Europäer Trittbrettfahrer, die nicht genug für die eigene Verteidigung tun. Ansonsten ist dem US-Präsidenten das nordatlantische Bündnis ohnehin herzlich egal.
 
In Kanada war Trump auf Krawall aus. Er kam spät, ging früh und noch im Flugzeug zog er seine Unterschrift unter das Abschlusskommuniqué zurück. Da war er bereits auf dem Weg nach Singapur, zu seiner Begegnung mit dem "talentierten" nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un, um ihn zur Aufgabe seiner Atomwaffen zu bewegen.
 
So könnte es auch diesmal sein: Pflichttermin mit den Alliierten bei der Nato und dann, am kommenden Montag in Helsinki, das heiß ersehnte Treffen mit Russlands starkem Mann Wladimir Putin, auf das er sich nach eigener Aussage sein "ganzes Leben lang" vorbereitet hat.
 
Nach Brüssel reist er, um sich die europäischen Verbündeten vorzunehmen. Schon letztes Jahr hatte er sie beschimpft, weil die große Mehrheit weit davon entfernt war, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, so wie sie es 2014 beim Gipfel in Wales beschlossen hatten.
 
Trumps Brief an Merkel gibt den Ton vor
 
Seitdem wächst zwar in allen Nato-Staaten der Rüstungsetat, acht Länder werden in diesem Jahr die zwei Prozent erreichen. Andere aber sind davon weit entfernt, Deutschland zum Beispiel, das es nur auf 1,2 Prozent bringt. Und so hat Trump schon vor dem Gipfel in Brüssel einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, der einen Vorgeschmack gibt auf den Ton, den er in Brüssel anschlagen dürfte.
 
"Der anhaltende Mangel an deutschen Militärausgaben unterminiert die Sicherheit des Bündnisses", beklagt sich der US-Präsident bei der Kanzlerin. Dies gebe "anderen Alliierten einen Vorwand, die ebenfalls nicht planen, ihre Ausgabenversprechen zu erfüllen".
 
Wie könnte der US-Präsident den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel erhöhen? Etwa, indem er mit einem amerikanischen Truppenabzug aus Deutschland droht? Die Washington Post berichtete über einen entsprechenden Prüfungsauftrag aus dem Weißen Haus an das Pentagon: 35.000 GIs in Deutschland – brauchen wir die wirklich? Wollen wir nicht einen Teil von ihnen nach Polen verlegen? Immerhin will die Regierung in Warschau den US-Amerikanern zwei Milliarden Dollar zahlen, wenn die einen permanenten US-Stützpunkt in Polen errichten.
 
Ende Juni war Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach Washington gereist, um dort, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, "eine Art vorausschauende Schadensbegrenzung zu betreiben". Wenn die Bundesregierung, wie es beschlossen sei, im Jahr 2024 bei den Verteidigungsausgaben 1,5 Prozent des BIP erreiche, dann sei das im Vergleich zu 2014 eine Steigerung von 80 Prozent, rechnete sie Trumps Sicherheitsberater John Bolton vor. Der zeigte sich unbeeindruckt.
 
Mehr Anerkennung spendete US-Verteidigungsminister James Mattis, der die von ihm geschätzte Kollegin im Pentagon ausgesprochen herzlich begrüßte. Die "demokratische" und "moralische" Stimme der Bundesregierung habe in der Welt großes Gewicht. Bei den Verteidigungsausgaben müsse Deutschland zwar mehr tun, aber es sei anzuerkennen, wie es sich im Bündnis engagiere: als zweitgrößter Truppensteller in Afghanistan zum Beispiel oder als führende Nato-Schutzmacht in Litauen. Deutschland, resümierte Mattis, sei "auf dem richtigen Weg".
 
Europa muss sich mehr auf die eigenen Kräfte stützen
 
Auch in der Nato-Zentrale will man die Leistung der Mitgliedsstaaten nicht allein am Erreichen der Zwei-Prozent-Marke messen. Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht gern von den drei notwendigen Cs: cash, capabilities und contributions. Und wenn man auf das Geld, die Fähigkeiten und die Beiträge schaut, dann steht Deutschland etwas besser da, obwohl die Ausrüstung der Bundeswehr in einem beklagenswerten Zustand ist.
 
Den Vorwurf der Trittbrettfahrerei braucht sich die deutsche Politik nicht gefallen zu lassen. Und dennoch muss sie mehr für die Verteidigung tun. Europa wird sich in Zukunft mehr auf die eigenen Kräfte stützen müssen – und niemand sollte die Hoffnung hegen, das könnte für die größte Wirtschaftsmacht der EU billiger werden.
 
Dabei gehört es zu den Widersprüchen der trumpschen Sicherheitspolitik, dass der Präsident zwar bei jeder Gelegenheit gegen die Nato stänkert, er zugleich aber die Ausgaben für die amerikanische Militärpräsenz in Europa um 40 Prozent gesteigert hat.
 
"Die Regierung Trump gibt viel mehr Geld aus für die Nato als die Regierung Obama, und sie stärkt die Einsatzbereitschaft und den Umfang der Truppen, die die USA der Nato zur Verfügung stellen kann", schreibt Anthony H. Cordesman vom Center for Strategic and International Studies in einer gerade veröffentlichen Studie. Cordesman schreibt, er könne nicht erkennen, dass sich die USA unter Trump von der transatlantischen Sicherheit und Solidarität verabschiedeten.
 
Die Haushaltspläne und die offiziellen Strategiepapiere des Pentagons sprechen in der Tat eine andere Sprache als die Tweets des Präsidenten. Mag Trump persönlich noch so viel Gefallen an dem anderen starken Mann Putin finden, derzeit rüstet das Bündnis im Baltikum kräftig auf, um eine russische Aggression wie in der Ukraine zu verhindern. Die Vereinigten Staaten sind im Osten der Nato heute mit mehr Truppen vertreten denn je.
 
Die widersprüchliche Politik Trumps kann keine Leitlinie für die Entscheidungen der deutschen Politik sein. Bundestag und Bundesregierung sollten sich anstrengen, das einst mitbeschlossene Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen – nicht, weil die US-Regierung das so wünscht, sondern weil es im deutschen und europäischen Interesse ist.
 
   
 
   
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