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der NSU-Prozess ist vorbei. Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, ihre Mitangeklagten erhielten unterschiedlich harte Strafen (mehr dazu lesen Sie etwas weiter unten). Ist damit ein weiteres dunkles Kapitel deutscher Geschichte abgeschlossen? Hoffentlich nicht. Denn der NSU war kein kleines Grüppchen von Extremisten, er hatte und hat ein Unterstützernetzwerk, das sogar während der Urteilsverkündung in einer selbstbewussten Weise aufgetreten ist, die einfach nur noch fassungslos macht. Als Richter Manfred Götzl verkündet, dass der Untersuchungshaftbefehl gegen den Mitangeklagten André Eminger aufgehoben werde, »jubeln und applaudieren Neonazis in der letzten Reihe der Besuchertribüne«, schreiben die Kollegen von ZEIT ONLINE, die gestern im Gerichtssaal waren. Und weiter: »Götzl verlangt Ruhe, rausgeworfen werden sie nicht.« Das ist Deutschland 2018. Hier darf man in einem Gerichtssaal einem verurteilten Neonazi zujubeln und damit seine Opfer und ihre Angehörigen verhöhnen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. In Deutschland 2018 darf man sich auch zu seinem 69. Geburtstag über 69 abgeschobene Afghanen freuen, ohne seinen Posten als Bundesinnenminister auf der Stelle räumen zu müssen. In Deutschland 2018 darf man sich übrigens auf Schulhöfen auch, wie mir eine Freundin unlängst erzählte, gegenseitig als »Du Jude!« oder »Du schwules Opfer!« beschimpfen, ohne dass etwas dagegen unternommen wird, am wenigsten von den Eltern. Deren Argument? »Mein Kind sagt so etwas nicht.« Natürlich ermöglichen Achtjährige keinen NSU, ihnen geht es nur um Provokation. Und trotzdem sind sie die Ersten, bei denen man im Interesse einer toleranten Gesellschaft von Anfang an klare Grenzen ziehen muss – so paradox das auch klingen mag. »Diese Begriffe sind in der Alltagskultur angekommen«, meint meine Freundin, deren Kinder immer wieder Schulfreunde nach Hause bringen, die dann genau bis zum ersten »Du Jude« bleiben dürfen. Als sie bei einem Elternabend das Problem thematisierte und geeignete Konsequenzen besprechen wollte, hörte sie rund um sich jedoch nur: »Mein Kind sagt so etwas nicht.« »Diese Eltern lesen schon keine Märchen mehr vor, weil sie ihre Kinder vor zu viel Konfrontation mit dem Bösen beschützen wollen«, erzählt sie und versuchte deshalb, wenigstens mit ihrem eigenen Nachwuchs nach Bergen-Belsen zu fahren. Dort wurde ihr geantwortet, dass die Kleinen noch zu klein seien. Die sind acht und zehn Jahre alt und gehen mit Kindern in die Schule, die sich gegenseitig »Du Jude« schimpfen. Was uns fehlt, ist ein gesellschaftliches, eindeutiges, vielleicht manchmal eben auch autoritäres »So nicht!«, das aber auch ausgesprochen werden muss, und das lieber zu früh (auf dem Schulhof) als zu spät (wenn jemand bereits Bundesinnenminister ist). Wir sind, findet meine Freundin, längst in ein »Aufklärungsdickicht« geraten, wo lieber lang und breit erklärt wird, warum man etwas nicht tun sollte, anstatt klipp und klar zu sagen: »Hier ist Schluss, sonst …!« Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte zum NSU-Urteil: »Gegen rassistische Gewalt setzen wir nicht nur die Stärke des Rechts. Gegen Intoleranz und Hass braucht es die Kraft der Vielfalt unserer offenen Gesellschaften – überall auf der Welt.« Ja, das auch. Und viel öfter noch ein lautes, eindeutiges »Nein!«. Gestern Abend gingen in Hamburg übrigens rund 1000 Menschen auf die Straße und forderten eine weitere Aufarbeitung des Mordes an Süleyman Tasköprü. Am 14. Juli findet eine weitere Kundgebung des Hamburger Bündnisses gegen Rechts statt unter dem Motto »Kein Schlussstrich nach dem Urteil im NSU-Prozess!« Da könnten es ein paar mehr werden.
NSU-Prozess: Lebenslange Haft für Zschäpe Mehr als fünf Jahre wurde verhandelt, jetzt ist das Urteil gefallen: Höchststrafe für Beate Zschäpe. Die 43-Jährige war Teil der dreiköpfigen rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die 15 Raubüberfälle, zwei Sprengstoffanschläge und zehn Morde verübte. Das Oberlandesgericht München hatte keinen Zweifel an der Mittäterschaft Zschäpes an allen NSU-Verbrechen und verurteilte sie zu einer lebenslangen Haftstrafe, stellte zudem eine besondere Schwere der Schuld fest. Auf eine anschließende Sicherheitsverwahrung verzichtete das Gericht. Die Hamburger Rechtsanwältin Gül Pinar war bei der Urteilsverkündung anwesend und sagte uns gestern: »Wir hoffen, dass die Aufklärung damit nicht endet.« Pinar vertritt die Familie des Bahrenfelder Gemüsehändlers Süleyman Tasköprü, der 2001 vom NSU erschossen wurde. Es müsse sich nun zeigen, »ob auch den Erkenntnissen hinsichtlich anderer Unterstützer und Mitglieder der Szene und auch möglichen Fehlern der Ermittlungsbehörde nachgegangen wird, eine Aufklärung stattfindet«. Urteile verhängte das Gericht gestern auch über die Mitangeklagten Ralf Wohlleben (Beihilfe zum Mord, zehn Jahre), Holger Gerlach (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, drei Jahre), Carsten Schultze (Beihilfe zum Mord, drei Jahre Jugendstrafe) und André Eminger (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, zweieinhalb Jahre). Gerade im Fall Eminger empfindet Pinar das Urteil als zu milde: »Für die Angehörigen ist das ein Schlag ins Gesicht, wenn sie ihn hier breit grinsend sitzen sehen.« Das letzte juristische Wort in Sachen NSU wird wohl der Bundesgerichtshof haben – mehrere Verteidiger haben bereits angekündigt, in Revision gehen zu wollen. |
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