Vor Kurzem stand ich an einem Ort, der so zerstört ist wie kaum ein anderer in der Welt. In der Altstadt von Mossul, am Ufer des Tigris, steht hier noch eine Fassade, dort noch eine halbe Treppe. Auf dem von Kratern durchsetzen Asphalt liegen von Staub überzogene Hundekadaver. Unter den Trümmern liegen Tote; der Leichengeruch führt zu ihnen.
Donald Trump hatte gesagt, er wolle "the shit out of them" bomben – und das tat er. Wo die von ihm angeführte Koalition mit der irakischen Armee und Milizen gegen den IS vorging, steht heute kaum mehr ein Stein auf dem anderen. An wohl keinem anderen Ort kämpfte der Westen in den vergangenen Jahren so hart um die eigenen Interessen wie in Mossul.
Im Sommer 2014 übernahm die Terrormiliz "Islamischer Staat" die Kontrolle über weite Teile in Syrien und Irak. Seine Gräueltaten erreichten auch Europa: Anschläge in Einkaufszonen, Zügen und Nachtclubs erschütterten die Menschen in Paris, London oder Brüssel in ihrer als selbstverständlich erachteten Normalität. Die Gewalt, die die Menschen in Syrien und im Irak seit Jahren erleiden, war im Westen angekommen. Dort war schnell klar: Der Terror muss bekämpft werden, mit allen Mitteln. Unklar blieb, was nach ihm kommen sollte.
Das ist symptomatisch im Westen: Dort interessiert man sich oft erst dann für ein Problem der Weltpolitik, wenn es sich nicht mehr ignorieren lässt. Sobald das Problem gelöst scheint, schaut man wieder weg – ohne sich um die Folgen zu kümmern.
Mit dem Krieg in Syrien war das so. Viele hörten erst von ihm, als Hunderttausende Menschen nach Europa flohen. Das war im Herbst 2015; der Krieg ging schon drei Jahre lang, Machthaber Assad hatte Tausende foltern oder umbringen lassen, viele Syrer waren bereits monate- oder jahrelang auf der Flucht. Doch in der europäischen Politik und Öffentlichkeit herrschte Aufruhr – so, als könne sich niemand erklären, woher all die verzweifelten Menschen kamen. Statt dafür zu sorgen, dass Assad und Putin aufhören, ganze Städte in Trümmer zu bomben, konzentrierte man sich auf die Frage, wie man die Flüchtlinge wieder loswird.
Seit Jahren werden Menschen in Lagern gefoltert
Ähnlich war es mit Libyen. Seit der Intervention der internationalen Koalition 2011, die verbunden war mit Luftangriffen und der Ermordung des Despoten Al-Gaddafi, herrscht Krieg. Staatliche Strukturen existieren nicht mehr; zwei Regierungen, Dutzende Milizen und Warlords rivalisieren um die Macht. Wer zwischen die Fronten gerät, erlebt Schreckliches. Die Geflüchteten aus Eritrea oder Niger etwa, die zu Tausenden wie Vieh in Lagern gehalten und dort vergewaltigt, erniedrigt und gefoltert werden. Das geht seit Jahren so, doch in Europa hat das bisher die wenigsten interessiert. Erst jetzt, da die rechtsnationalistische Regierung in Italien die Grenzen dichtmacht und die Toten im Mittelmeer zu viele sind, um sie noch länger ignorieren zu können, diskutiert man, ob die katastrophale Lage in Libyen nicht auch ein europäisches Problem ist. Einen Plan, wie man dem Zerfall Libyens entgegenwirken kann, gibt es nicht.
Im Irak passiert nun das Gleiche. Und das ist fatal. Vor einem Jahr wurde der IS aus Mossul vertrieben – doch dort wirkt es, als sei der Krieg gerade erst vorbei. Von Wiederaufbau gibt es keine Spur: Die Infrastruktur ist vielerorts zerstört, es gibt zu wenig Strom und sauberes Wasser, kaum Arbeit. Viele Mossulis sind frustriert, sie haben drei Jahre unter einer Terrorherrschaft gelebt. Viele wurden vom IS gefoltert, sie haben Hinrichtungen gesehen und Familienmitglieder verloren. Nun kehren sie zurück in ihre Viertel. Doch von ihren Häusern ist oft nicht mehr geblieben als ein paar Steinhaufen.
Als Mossul zurückerobert war, sagte Trump, er wolle für den Wiederaufbau kein Geld ausgeben. Als sei die desolate Lage der Iraker hausgemacht. Einige Probleme sind es: die soziale Ungleichheit, die der Korruption erwachsen ist; die Aufweichung staatlicher Strukturen; die Instrumentalisierung von Religion für den Machterhalt. Doch der Krieg gegen den Terror hat vieles verstärkt: den Hass zwischen jenen, die unter dem IS lebten und jenen, die ihn bekämpften. Die Rivalität der Milizen untereinander. Die Armut und Perspektivlosigkeit der Jungen. Unter diesen Umständen kann der Terror erneut erstarken und Tausende in die Flucht treiben.
Für die Iraker gibt es keine Zukunft
Hilfsorganisationen wollen das verhindern. Sie reparieren notdürftig ein paar Straßen, verteilen Wasser an die Bedürftigsten. Sie initiieren Programme, damit Frauen und Männer ihre Kriegserlebnisse verarbeiten können. Sie bieten Unterrichts- und Spielklassen für Kinder an und errichten Begegnungsstätten, in denen sich Opfer und Kollaborateure des IS aussöhnen können. Sie tun das mit enorm eingeschränkten Mitteln: Ankündigungen wie die von Trump, nicht beim Wiederaufbau zu helfen, aber auch der zunehmend flüchtlingsfeindliche Diskurs in Europa sorgen dafür, dass Regierungen und Privatleute weniger Geld spenden. Schon in diesem Jahr haben viele Hilfsprogramme im Irak deutlich weniger Geld zur Verfügung, in den nächsten Jahren könnte es noch weniger sein. Für Menschen wie Amer ist das eine Katastrophe.
Amer ist gelernter Schuhmacher und Vater von drei Söhnen. Als ich ihn in der Altstadt von Mossul treffe, sitzt er an einem kleinen Tisch, darauf ein paar Packungen Kekse und Zigaretten zum Verkauf. Er erzählt, das Dach seines Hauses sei eingestürzt. Er habe keine Mittel, um es zu reparieren, das Geld reiche gerade für ein paar Lebensmittel. Er wisse nicht, was aus seinen Söhnen wird, wenn er ihnen so gar nichts bieten kann. "Zukunft ist ein Wort, das den Europäern vorbehalten ist", sagt er. "Für uns im Irak gibt es so etwas nicht."