Fünf vor 8:00: Bloß die Nerven behalten! - Die Morgenkolumne heute von Matthias Naß

 
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FÜNF VOR 8:00
18.07.2018
 
 
 
   
 
Bloß die Nerven behalten!
 
Donald Trumps Politik ist zum Fürchten. Die Europäer sollten ihr mit Furchtlosigkeit begegnen. In der amerikanischen Demokratie haben sie einen starken Verbündeten.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   

Ein dickes Fell dürfte die wichtigste politische und diplomatische Voraussetzung sein, um das Projekt des Westens über die Trump-Jahre zu retten. Gepaart mit der Fähigkeit zu ruhiger, nüchterner Analyse. Man könnte sagen: Gefragt sind Merkel-Eigenschaften. Vielleicht erklärt das Trumps Wut auf die Bundeskanzlerin.
 
Nach einer Woche voller Krawall liegen in Europa die Nerven blank. Die Bereitschaft, apokalyptische Untergangsszenarien zu entwerfen, ist wieder einmal groß. "Die Demokratie erlebt in diesen Zeiten den schlimmsten Rückschlag seit den faschistischen Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts", schreibt Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung.
 
Kornelius, ein besonnener Transatlantiker, sieht im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Russland eine "neue Supermachtkonstellation" heraufziehen. "Dies wird der erste Gipfel zweier zutiefst nationalistischer Populisten sein", schrieb er vor dem Treffen in Helsinki. "Putin und Trump sind wesensverwandt, die Konflikte zwischen beiden Nationen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier zwei Gleichgesinnte die Hand reichen werden."
 
Trump kann nicht ohne die Zustimmung des Kongresses die Nato verlassen
 
Ein großer Unterschied allerdings bleibt, und er ist entscheidend: Wladimir Putin kann seine Macht diktatorisch ausleben, Donald Trump kann das nicht. Die USA sind noch immer eine lebendige Demokratie. Die These sei erlaubt: Die Vereinigten Staaten werden die gegenwärtige Phase einer populistisch-nationalistischen Versuchung besser überstehen als manches europäische Land – von Ungarn und Polen bis zu Italien und Österreich.
 
Die Reaktionen in den USA auf das Helsinki-Gipfeltreffen machen das deutlich. Selbst führende Republikaner äußerten sich empört, dass ihr Präsident den Beteuerungen Putins, er habe sich 2016 nicht in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt, mehr Glauben schenkt als den eigenen Geheimdiensten. Und sie sind fassungslos, dass Trump die EU einen "Gegner" nennt, sie mit Russland und China gleichsetzt. Russland ist "nicht unser Verbündeter", stellte Paul Ryan klar, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses.

Der Spiegel schreibt, Trump habe auf dem Nato-Gipfel mit dem Austritt der USA aus der Allianz gedroht: "Zwei Tage lang stand die Zukunft des Bündnisses auf dem Spiel." Das ist grotesk – als könnte der Präsident ohne Zustimmung des Kongresses das Nordatlantische Bündnis verlassen. Und diese Zustimmung wird es nicht geben.
 
Was geschah wirklich: Der Nato-Gipfel hat die vorher von den Diplomaten und Militärs erarbeitete Abschlusserklärung ohne jede Änderung verabschiedet. Trump hat in Brüssel getobt und gewütet – aber an dem amtlichen Dokument, das die Handschrift von State Department und Pentagon trägt, hat er nichts verändert.
 
Der amerikanische Rechtsstaat arbeitet unbeeindruckt weiter
 
Und dieses Dokument sieht in Russland die größte Gefahr für das Bündnis, mag Trump auch noch so gern mit dem von ihm bewunderten Putin schmusen. Mit Blick auf Moskau gebe es einen tiefen Graben zwischen dem Präsidenten und seiner eigenen Regierung, schreibt die New York Times. Trump verfolge seine eigene Russlandpolitik, seine wichtigsten Minister und Berater eine ganz andere.
 
So hat das Justizministerium in Washington vorige Woche Anklage gegen zwölf russische Geheimdienstmitarbeiter erhoben. Sie sollen an den Hackerangriffen auf die Demokraten und deren Kandidatin Hillary Clinton beteiligt gewesen sein. Das Ziel: Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2016 zum Sieg zu verhelfen.
 
Mit anderen Worten: Der amerikanische Rechtsstaat arbeitet auch nach anderthalb Jahren Trump unbeeindruckt weiter. Sonderermittler Robert S. Mueller und der stellvertretende Justizminister Rod J. Rosenstein lassen sich von Trumps Wutausbrüchen nicht irre machen.
 
Merkel deutet das notwendige Selbstbewusstsein im Umgang mit Trump an
 
Man wünschte sich eine ähnliche Nervenstärke bei den Europäern. Aber auf irritierende Weise umschmeicheln sie ihn, tun alles, um seinen Zorn nicht auf sich zu ziehen. Nur einmal blitzte das notwendige Selbstbewusstsein auf, als Angela Merkel auf Trumps Vorwurf, Deutschland werde "total von Russland kontrolliert", kühl erwiderte, als Ostdeutsche könne sie sich erinnern, wie ein Teil Deutschlands von der damaligen Sowjetunion kontrolliert worden sei. Heute betreibe die Bundesrepublik als souveränes Land eine eigenständige Politik.
 
Bei allem Unheil, das Donald Trump anrichtet: Das westliche Bündnis kann er nicht zerstören, solange die Europäer es verteidigen. Um einen Vorgänger Trumps, Franklin D. Roosevelt, zu zitieren: Wir haben nichts zu fürchten als die Furcht selbst. Gut möglich, dass eines Tages wieder ein Präsident vom Kaliber Roosevelts im Weißen Haus sitzt. Trump wird dann längst Episode sein.
 
Auf eine Politik, die zum Fürchten ist, kann man durchaus furchtlos reagieren. Das können die Europäer bei James Comey lernen. Der von Trump gefeuerte FBI-Direktor rechnet in seinem Buch "Größer als das Amt" schonungslos mit dem Präsidenten ab: "Der gegenwärtige Präsident ist ein Mann ohne Moral und agiert ohne jede Bindung an die Wahrheit und die Werte unserer Demokratie."
 
In Russland oder in der Türkei, wo andere populistische Nationalisten regieren, säße Comey für solche Worte längst im Gefängnis. In den USA geht der ehemalige FBI-Chef fröhlich auf Lesetour. Und der Präsident kann nichts dagegen tun, außer sich schwarz zu ärgern.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

THE NEW YORK TIMES "Trump Opens His Arms to Russia. His Administration Closes Its Fist."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Umkehr der Nachkriegsordnung"
DER SPIEGEL "Trump Takes Aim at Germany and NATO"
FINANCIAL TIMES "Donald Trump’s defence of Russia sparks outrage in US"
NATO "Brussels Summit Declaration"
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.