Lieber job,ich musste in den letzten Tagen öfters an Heißer Sommer denken, den Roman von Uwe Timm. Weil, klar, draußen heißer Sommer ist. Und weil Timm von den Studentenprotesten in den späten Sechzigern erzählt. 50 Jahre nach 1968 finde ich ganz erfrischend, dieses Buch zu lesen, das wenige Jahre nach den Protesten erschienen ist. Denn es erzählt von den damaligen Ereignissen so anders als es viele Historiker und Journalisten heute tun. Die Helden des Romans von Uwe Timm haben Liebeskummer und Sex, diskutieren viel und selten zielführend, machen mal eine politische Aktion, dann sich wieder Sorgen, haben Ärger mit dem Studium / den Eltern / dem Staat / dem anderen Geschlecht und schwitzen mindestens so viel wie wir heute, denn heiß ist es ja auch noch. Nebenbei hinterlässt jemand mit schwarzem Filzstift seltsame Botschaften an den Wänden des Hamburger Uni-Campus („Wer vögelt lebt!“), was für den Helden des Buches zeitweise mindestens so spannend ist wie die Demos und Hörsaalbesetzungen. Die Zeit um 1968 wird also als eine ziemlich chaotische dargestellt, Privates und Politisches gehen durcheinander, Politisches ist wichtig, Privates – global gesehen – unwichtig, aber manchmal eben individuell viel dringlicher. Auf dem Poster einer linken Studentengruppe stand damals unter den Köpfen von Marx, Engels und Lenin „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“, aber Uwe Timm legt den Verdacht nahe, dass das nicht stimmt, dass alle vom Wetter redeten, so wie auch heute alle vom Wetter reden und nicht nur vom Zustand der Welt. War halt heiß. Wie werden wir in 50 Jahren über den Sommer 2018 sprechen? Vielleicht wird vieles von dem, was heute passiert und im Moment noch so chaotisch und unüberschaubar wirkt wie Timms Roman (Regierungskrisen, WM-Pleiten, Donald Trump, Beyoncé, das Sterben im Mittelmeer, irgendein Dings, das irgendwer auf Twitter gepostet hat), dann klar, logisch und zwangsläufig erscheinen. Mit Sicherheit kann man heute nur sagen: Es ist – wieder – ein heißer Sommer. Und ehrlich gesagt waren die lauwarmen Sommer gar nicht so schlecht. Aber das weiß man eben erst hinterher.
Herzliche Grüße Oskar Piegsa Chefredakteur ZEIT CAMPUS | | | | | © Evgeny Makarov | |
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