Kiyaks Deutschstunde: Nichthandeln, Nichtprotest, Nichtwiderstand

 
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Kiyaks Deutschstunde
26.07.2018
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Nichthandeln, Nichtprotest, Nichtwiderstand
 
Donald Trumps einstiger Chefstratege Steve Bannon möchte sich aktiv in die kommende Europawahl einmischen. Wie reagieren europäische Politiker darauf? Erschreckend wenig
VON MELY KIYAK


Normalerweise agieren extremistische Gefährder im Verborgenen. Sie reisen mit gefälschten Identitäten und anonymen Geldgebern im Hintergrund durch Europa. Ihre Netzwerke sind geheim. Es geht ihnen darum, die innere Sicherheit, den Frieden, die Demokratie zu zerstören. Sie haben es auf das System abgesehen. Es geht darum, Zwietracht zu säen.
 
Im vorliegenden Fall kündigt ein Extremist seine Ankunft und sein Anliegen freimütig an. Steve Bannon, jener amerikanische Rechtsextremist, der in deutschen Medien oft liebevoll "Rechtspopulist" genannt wird, war ehemaliger Chefstratege im Weißen Haus und half Donald Trump ins Präsidentenamt. Außerdem war er Besitzer der Medienfirma Breitbart und damit maßgeblich daran beteiligt, den Rechtsextremismus im alltäglichen politischen Diskurs in den USA zu legitimieren und politisch zu installieren. Er weiß also, wie das geht.
 
Bannon gab als Reisegrund an, sich aktiv in die kommende Europawahl im Mai 2019 einzumischen. Das ist ziemlich spektakulär. Ein Amerikaner gibt freimütig zu, seine eigene antidemokratische, amerikanische Bewegung The Movement auf europäisch-parlamentarischer Ebene parteipolitisch zu verzahnen. Er traf sich deshalb schon mit allerhand politischen Führern, um sich ein umfassendes Bild über die Lage zu machen. Das Ziel sei es, mit der Stiftung den ganzen rechten Flügel, der von rechts-reaktionär bis rechtsextrem geht und sich auf drei Fraktionen im Europäischen Parlament verteilt, zu unterstützen.
 
Wahnsinnige Szenen
 
Das ist alles ziemlich konkret, überraschend offen und genau das, was man meint, wenn man immer warnt: Sie nutzen die demokratischen Strukturen, um sie abzuschaffen. Dass soll alles übrigens nicht nur nach Weltherrschaft klingen, dahinter steckt eine unbändige Energie, die einfach nur beängstigt. In Feuer und Zorn schreibt der Autor Michael Wolff, dass Steve Bannon bereits vergangenes Jahr mitgeteilt habe, dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2020 antreten werde. Trump und das ganze "Kasperltheater" sei sozusagen der Türöffner für die "eigentlichen Außenseiter". Man las das Buch und vergaß es natürlich wieder. Weil in der Zwischenzeit so vieles andere in den USA geschah. Da waren zum Beispiel die wahnsinnigen Szenen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, wo Immigranten von ihren Kindern getrennt und beide, Eltern und Kinder, unabhängig voneinander interniert wurden. Im Grunde weiß man alles, nicht nur aus Feuer und Zorn, das ganze Ausmaß der bevorstehenden Katastrophe geschieht ja nicht im Verborgenen. Die Antidemokraten informieren offenherzig über jeden ihrer Schritte.
 
Da aber die Kontinente Europa und USA so groß sind, und die jeweiligen nationalen Agenden hinter dem "Rechtsruck", wie es immer so hübsch heißt, also das Abdriften der westlichen Gesellschaften weg von der Demokratie hin zu Diktaturen, mal mehr, mal weniger sichtbar abläuft, ist nun eine höhere Konzentration vonnöten, dieses Mosaik zusammenzufügen und den Überblick nicht zu verlieren. Es geschieht viel, und es geschieht gleichzeitig. Bannon jedenfalls wagt den Sprung zu uns herüber.

Nun ist man als politische Beobachterin manchmal ganz schön naiv, weil man nach dieser Ankündigung denkt, dass das d i e Nachricht des Jahres sei. Und also ist man sich sicher, dass nun die gesamte europäische Spitze alles stehen und liegen lassen und eine Sondersitzung einleiten wird. Man spitzt die Ohren und kann es angesichts der folgenden Nachricht nicht fassen: Die Süddeutsche Zeitung meldet am Dienstag, dass der Sprecher des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker Folgendes ausrichten ließe: "Wir nehmen das zur Kenntnis."
 
Es ist armselig
 
Zur Kenntnis genommen! Das also ist die viel beschworene Verteidigung der Demokratie. So funktioniert also "Nie wieder!". Wann ließen diese Feierabend-Europäer eigentlich das letzte Mal im Europäischen Parlament den Blick über die Sitzreihen schweifen und zählten durch? In mittlerweile 27 europäischen Ländern sitzen Rechtspopulisten oder Rechtsextremisten in den nationalen Parlamenten. In zehn Ländern sind sie sogar in Regierungsverantwortung. Demnächst kommt hier einer mit Geld, Einfluss und Erfahrung und Herr Juncker lässt Kenntnisnahme ausrichten. Es ist so armselig. Es fehlen einem erstmals seit Langem die Worte.
 
Wenn demnächst die Briten nicht mehr im Europaparlament sitzen und die Rechten in den jeweiligen nationalen Parlamenten wie prognostiziert zusätzlich an Stimmen gewinnen und sich die Rechtsextremen von Lega, Fidesz, Rassemblement National und wie sie alle heißen doch zusammentun, dann war's das. Wenn sich demnächst angesichts der Flüchtlingsfrage bislang hauchfeine Unterschiede zwischen EU-Skeptikern und EU-Gegnern auflösen und man gemeinsame Linien findet, wenn, wie in Sachsen derzeit der Fall, künftig Allianzen zwischen CDU und AfD denkbar sind, dann ist auf EU-Ebene noch sehr viel mehr denkbar.
 
Kommt noch mehr als "Pfui" und "Buh"?
 
Aus allen faschistischen Staaten der Welt, jenen aus der Vergangenheit und denen, die gerade auf dem Weg dahin sind, weiß man, dass die Abschaffung der Demokratie nicht über Nacht geschieht, sondern strategisch eingeläutet wurde. Man fragt sich, wann endlich in Deutschland über politische Strategien nachgedacht wird. Wann endlich politische Theorien zur Kenntnis genommen werden? Wann endlich außer "Pfui" und "Buh" und allerschrecklichsten Einwürfen im Parlament gegen die AfD, egal ob von Kubicki oder Özdemir zwar heldenhaft vorgetragen, aber inhaltlich einfach erbärmlich apolitisch, wann endlich mit eigenen Stiftungen, Intellektuellen und Strategen angefangen wird, darüber nachzudenken, was hier gerade passiert?
 
Vielleicht müsste mal irgendwer in die Parteien rückmelden, dass man mit Heimatpolitik mit Gugelhupfsemantik nichts gegen Rechtsradikalismus ausrichten kann. Dafür braucht es Geld, Expertise und echten Willen, sich von diesem ganzen migrationsdenunzierenden Mist klipp und klar zu lösen. Am Wochenende haben  50.000 Menschen (laut Veranstalter) in Bayern gezeigt, dass sie die bevorstehende Gefahr begriffen haben. Diese Allianzen sind fragil, diese proeuropäische und demokratische Bewegung darf man nicht fallen lassen. Wann kommt das endlich alles an?
 
Es gibt doch alle diese Bücher, es gibt doch die Selbstauskünfte der rechtsextremen Parteien, es liegt doch alles offen da. Sie haben einen sehr langen Atem, diese Rechtsradikalen, und sie lösen sich nicht durch Empörung auf. Die Lega, die in Italien noch vor zehn Jahren Säuberungsaktionen in Coccaglio in der Provinz Brescia unter dem Namen "white christmas" einläutete, schaffte es, eine solche Stimmung herzustellen, dass die Polizei unangekündigt Kontrollen bei Migrantinnen und Migranten durchführte, um die Aufenthaltsgenehmigungen zu überprüfen, nachdem die Bevölkerung Hinweise aus ihrer Nachbarschaft geben durfte. Die Aktion löste weltweit Schauer und Ekel über die italienischen Verhältnisse aus. Die Anführer dieser Denunziationskampagne sitzen nun in der Regierung. Das ist nur zehn Jahre her!
 
So argumentiert auch die AfD
 
Auch die AfD wird bald in Regierungsverantwortung sein, weil die Linke sich nicht vereint. Kann man alles sehr schön bei Michael Wolff nachlesen, beziehungsweise bei Steve Bannon, denn die Quelle für das Buch ist er im Wesentlichen selbst und eigentlich eignet sich das Buch sehr gut dafür, um die Strategie nachzuvollziehen. Feuer und Zorn ist in gewisser Weise ein Rezeptbuch dafür, wie man mühelos, praktisch und mit wenig Aufwand ein neues System, eine neue Gesellschaft, eine neue Sprache auf den Tisch bekommt. Nur so ausschnitthaft: "Der erste Schritt der neuen Trump-Regierung musste der Einwanderung gelten. Die Einwanderung war der Fieberwahn des Trumpismus." Es war ein Thema, mit man die Linken "komplett auf die Palme bringen konnte". "Locker gehandhabte Einwanderungsgesetze gehörten zum Markenkern der neuen linken Philosophie", also gelte es dort anzugreifen. Dann folgen die Begriffe "Einwanderung begrenzen", weil "die Leute wollen einfach ihr Land wiederhaben". Exakt so argumentiert auch die AfD.
 
Auf einer Veranstaltung des rechten Schweizer Magazins Die Weltwoche sagte Steve Bannon, dass  – frei übersetzt – seine Bewegung ähnlich wie die Französische Revolution die Gesellschaft und ihre Strukturen tief verändern werde. Bannon wird von seinen Leuten auch "Scheiß-auf-das-System-Populist" genannt. Interessanterweise nennt er seine Bewegung selbst Rechtspopulismus, weil in den USA diese Form der Politik mittlerweile gleichberechtigt neben liberal, demokratisch und so weiter steht. In Deutschland ist man noch damit beschäftigt "die Grenzen des Sagbaren" durchzudiskutieren, derweil die Grenzen des Machbaren gemütlich überschritten werden. Es ginge nicht um Personen, es ginge um Institutionen, wird Bannon zitiert, als er den FBI-Chef feuern ließ. Das genau ist es. Es geht darum, die Institutionen anzugreifen. Oder um es in Beatrix von Storchs Worten auf dem Parteitag in Wiesbaden zu sagen: Es geht nicht um Merkel. Wenn sie weg ist, machen wir die Kampagne gegen die "kleine Merkel", die Kramp-Karrenbauer. Es geht nicht um Personen. Wir wollen einen grundsätzlichen Politikwechsel, und das alles klang schon gefährlich nah am "Systemwechsel", aber wie immer bei Phoenix, es fragt ja keiner nach, man hält einfach nur das Mikrofon hin.
 
Bannon kündigte an, sich mit politischen Stiftungen treffen zu wollen und damit meinte er sicher nicht die Friedrich-Ebert- oder die Heinrich-Böll-Stiftung. Es gäbe auch passendere. Die von Erika Steinbach geführte AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung wolle, so sagte sie es ebenfalls auf dem Parteitag, "tief in die Gesellschaft hineinwirken" und skizzierte schon einmal die Bereiche. Zum Beispiel wolle man in der Bildung alternative Handreichungen für Lehrer organisieren. Spätestens jetzt müssten doch die Bundeszentrale für politische Bildung und ihre Landeszentralen extrem nervös werden, wenn hier demnächst Tausende deutsche Lehrer Demokratieerziehung mithilfe von AfD-Lehrmaterialien durchführen werden. Hat das Kultusministerium sich darauf vorbereitet? Was sagt die Bildungsministerin dazu?
 
Man fragt sich, worauf warten die alle? Wenn das hier in dem Tempo so weitergeht, dann haben sich Themen wie Mietpreisbremse und Mindestlohn erst einmal erledigt. Es ist entsetzlich, einer schlaffen politischen Elite dabei zuzusehen, wie sie ihrer eigenen Abschaffung einfach nur lethargisch entgegensieht. Derweil reden sich die Wissenschaftler, Politologen, Soziologen, Künstler, Kulturschaffende und große Teile der Bevölkerung den Mund fusselig, warnen und mahnen, und prallen an dieser Mauer von Nichthandeln, Nichtprotest und Nichtwiderstand des Deutschen Parlamentes brutal ab.
 

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