Elsevier sperrt Literaturzugang | Künstliche Intelligenz | Wissenschaft weltoffen | Standpunkt: Jan-Martin Wiarda zerlegt das THE Teaching Ranking

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
schon gemerkt? Elsevier schränkt den Literaturzugang für Wissenschaftler an den 200 Einrichtungen ein, die im Ringen um eine Nationallizenz den Liefervertrag kündigten (Das ist wichtig). Zur Lektüre empfehlen wir die gestern vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte zur Künstlichen Intelligenz. Die jüngste Ausgabe von Wissenschaft weltoffen steht online. Im Standpunkt zerlegt Jan-Martin Wiarda das erste THE Teaching Ranking, und Manuel J. Hartung stellt in der Fußnote die Millionen-Dollar-Frage: Wie lassen sich Gehälter von Hochschulleitungen angemessen gestalten?
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Elsevier sperrt Literatur-Zugang
Der Verhandlungskrimi um eine Nationallizenz in der wissenschaftlichen Literaturversorgung hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Verlagsgigant Elsevier sperrt den Zugang zu aktuellen E-Journals und erhöht damit den Druck auf die Wissenschaft. Betroffen sind Forscher an den rund 200 Bibliotheken und Instituten, die ihre Verträge mit Elsevier Ende 2016 und 2017 gekündigt haben. Dazu gehören Spitzenuniversitäten wie die FU Berlin. Trotz zwei gescheiterter Verhandlungsrunden mit den im Projekt DEAL vereinten großen Wissenschaftsorganisationen hatte Elsevier bislang auch den Kündigern den vollumfänglichen Zugriff gewährt. Erst nachdem DEAL-Verhandlungsführer und HRK-Präsident Horst Hippler zum Monatsanfang auch die dritte Runde für gescheitert erklärt hatte, riss bei Elsevier der Geduldsfaden. Der niederländische Konzern setzt nun offenbar auf Einzelabkommen. Die von der unmittelbaren Literaturversorgung abgeschnittenen Wissenschaftler wollen die DEAL-Partner mit einem Notversorgungssystem über Fernleihen beliefern.
  
 
 
Künstliche Intelligenz
Im internationalen Forschungswettlauf auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz will sich die Bundesrepublik nicht abschütteln lassen. „Deutschland soll zum weltweit führenden Standort für KI werden“, heißt es in dem gestern beschlossenen Eckpunktepapier des Bundeskabinetts (tagesschau, ZEIT-Online, FAZ). Das 12 Seiten-Dokument (PDF) ist der Nukleus einer nationalen KI-Strategie, die im November stehen und beim Digitalgipfel im Dezember vorgestellt werden soll. Andere Staaten verfügen bereits über entsprechende Strategien (Überblick). Dreh- und Angelpunkt ist die Wissenschaft. Das Bundeskabinett will die Grundlagenforschung und die anwendungsorientierte Forschung stärken und ausbauen. Neue Zentren zum maschinellen Lernen sollen den Eckpunkten zufolge genauso gefördert werden wie - „an ausgewählten Standorten“ - KI-Lehrstühle „im Rahmen der Möglichkeiten des Grundgesetzes“. Finanziert der Bund tatsächlich einzelne Professuren an Hochschulen, begibt er sich auf das Hoheitsgebiet der Länder. Gleiches gilt für das Ansinnen, die "Attraktivität von Arbeits- und Entlohnungsbedingungen" für junge Wissenschaftler zu stärken. Was darunter genau zu verstehen ist, will noch ausbuchstabiert sein. Das Ergebnis dürfte nicht nur für KI-Talente interessant sein, sondern für junge Forscher aller Disziplinen.
  
 
 
Wissenschaft weltoffen
Welch ein Monat für Datenjunkies! Nach dem DFG-Förderatlas mit Kennzahlen zur Forschungsfinanzierung liegt seit Montag die neueste Ausgabe des Internationalisierungskompediums Wissenschaft weltoffen vor. Darin zeigen viele Kurven nach oben. Das betrifft nicht nur die Zahl ausländischer Studierender, die in einem Jahr um fünf Prozent auf 359.000 stieg. Erhöht hat sich auch die der Publikationen, die deutsche Wissenschaftler gemeinsam mit ausländischen Kollegen erstellten. 58 Prozent der im Jahr 2016 registrierten Fachpublikationen entstanden in solchen Teams, zehn Prozent mehr als 2006. Die Zahl ausländischer Wissenschaftler belief sich 2016 auf 46.000 und stieg damit binnen eines Jahres um sechs Prozent. „Das deutsche Wissenschafts- und Hochschulsystem ist international vernetzt und im besten Sinne weltoffen“ erklärte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek bei der Vorstellung der Studie (PDF) in Berlin. Auf Nachfrage kommentierte sie dabei auch den Angriff auf den in Israel geborenen US-Professor Yitzhak Melamed in Bonn. Melamed war zu einem Gastvortrag nach Deutschland gereist. Im Bonner Hofgarten wurde der 50-Jährige von einem 20-jährigen Deutschen mit palästinensischen Wurzeln zunächst antisemitisch beschimpft und im Anschluss Opfer eines Polizeiirrtums. Die alarmierten Beamten hielten Melamed für den Angreifer, ergriffen ihn und schlugen ihm ins Gesicht. Der Vorfall erfuhr ein breites Medienecho (Süddeutsche Zeitung, Rheinische Post, Bonner Generalanzeiger, taz, Jerusalem Post, InsideHigherEd ). "Jeder, der in unser Land kommt, soll, nein muss sich von unseren Behörden geschützt fühlen können", sagt Karliczek. Und DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel erklärte: "Das ist ein ganz schlimmer Vorfall und für unsere Bemühungen ein Rückschlag." (Tagesspiegel, Wiarda-Blog).
  
   
 
 
   
   
   
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Personen
 
 
   
Ursula Gather unter Druck
Im Führungschaos bei Thyssenkrupp gerät Ursula Gather immer stärker unter Druck (Handelsblatt, Wirtschaftswoche). Die Rektorin der Technischen Universität Dortmund ist Kuratoriumsvorsitzende der Krupp-Stiftung und sitzt seit Januar dieses Jahres zudem im Krupp-Aufsichtsrat. Mit 21 Prozent hält die Stiftung die meisten Aktien an dem DAX-Konzern und hat laut Satzung für die Einheit des Unternehmens zu sorgen. Genau die ist akut bedroht. In einem strategischen Richtungsstreit mit den an einer Konzernaufspaltung interessierten Großaktionären Cevian Capital und dem US-Hedgefonds Elliot verliert Thyssenkrupp diesen Monat gleich zwei Topmanager und befindet sich jetzt in einer tiefen Krise (Tagesschau, Deutsche Welle, ZEIT). Vorstandschef Heinrich Hiesinger warf Anfang Juli hin, zum Monatsende geht Aufsichtsratschef Ulrich Lehner. Beide beklagen mangelnde Unterstützung durch die Krupp-Stiftung (Welt), eine unverhohlene Kritik an Ursula Gather.

Sven Dieterich wird Vizepräsident an der hsg Bochum
Das Präsidium der Hochschule für Gesundheit in Bochum ist demnächst wieder komplett. Sven Dieterich, bisher Professor an der Hochschule, wird im September Vizepräsident für Studium und Lehre. Dieterich folgt auf Thomas Evers, der vergangenen April ins nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium wechselte.

Job: Lehren beim BKA
„Machen Sie das Richtige und lehren beim BKA“. Wer von dem Satz ermuntert fühlt, sollte die Jobanzeige der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und des Bundeskriminialamtes im aktuellen Stellenmarkt der ZEIT unbedingt eingehender prüfen. Die Bewerbungsfrist für die Stelle des hauptamtlich Lehrenden endet am 8. August.
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Jan-Martin Wiarda
Lehr-Ranking offenbart unbequeme Fakten
Es ist nicht so, dass die Ergebnisse überraschend kommen. Erst im vergangenen September warnte der OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher, dass eine Reihe europäischer Länder bei der Hochschulfinanzierung gegenüber den USA und Großbritannien zurückfalle, darunter Deutschland. „Diese Länder sind echt in Schwierigkeiten“, sagte Schleicher, auf den die deutsche Bildungspolitik derzeit mal wieder nicht besonders gut zu sprechen ist.
Das Interview stand bei Times Higher Education, und ausgerechnet dessen neuestes Ranking-Produkt scheint Schleicher jetzt Recht zu geben. Beim erstmals veröffentlichten THE Europe Teaching Ranking landen von 31 gerankten deutschen Hochschulen 22 in der hinteren Tabellenhälfte. Nur Heidelberg (26) und Göttingen (38) schneiden vergleichsweise gut ab. Dabei war die Konkurrenz bei diesem Pilotranking auf nur 241 Hochschulen aus acht europäische Länder beschränkt. Man darf die Ergebnisse also ohne Zögern peinlich nennen.
Klar können es sich Deutschlands Hochschulrektoren und Wissenschaftsminister einfach machen. Indem sie – im Zweifel zu Recht – an der Methodik herummäkeln. Aber es bleiben zwei unbequeme Fakten. Erstens, und das geht an die Politiker: Dass andere so viel besser sind, ist die logische Folge der besagten massiven Unterfinanzierung der deutschen Hochschulen und speziell der Lehre. Anders formuliert: Wie sollen die Studenten zum Beispiel einen anregenden Austausch mit ihren Dozenten berichten, wenn einfach viel zu wenige von denen da sind? Zweitens, und hier stehen die Rektoren in der Verantwortung: Sie reden auch politisch gewolltviel von Lehrstrategien und deren institutioneller Verankerung, doch bislang gelingt es den wenigsten von ihnen, den extrem ausgeprägten Individualismus deutscher Professoren in Einklang zu bringen mit den alle verbindenden Zielen guter Lehre. Und genau das ist keine Frage der Finanzierung, sondern der Kultur. 
Auch das zeigt das THE-Ranking, wo bald nach Oxford und Cambridge auch weniger schillernde Namen wie Navarra, Newcastle oder Paris-Süd auftauchen.
Die eigentliche Schwäche der neuerlichen Rangliste ist eine, die zumindest den deutschen Universitäten als Ausrede wohl nicht viel helfen wird. Den Fachhochschulen schon eher. THE gewichtet die Ergebnisse nämlich nicht nach der sozialen Herkunft der Studenten. Aber mal ehrlich: Was hilft es zu wissen, dass reiche britische Unis, die zu einem guten Teil die Absolventen teurer Privatschulen aufnehmen, gute Lehrveranstaltungen hinbekommen und beruflich erfolgreiche Absolventen produzieren? Spannender wäre, welche Hochschule ihren Studenten am besten hilft, etwas aus sich zu machen. Wo lernen die Studenten, abhängig von ihrer Bildungs-Vorgeschichte, am meisten dazu, das müsste ein Ranking eigentlich messen. Und in so einem Ranking würden Navarra & Co wahrscheinlich noch stärker abschneiden. Und einige deutsche Fachhochschulen ebenfalls – die im THE-Ranking übrigens gar nicht auftauchen.
Aber wir wissen es nicht. Auch weil so eine Fragestellung für fast alle Rankings zu komplex ist. Nur das britische Bildungsministerium hat es mit dem nationalen Teaching Excellence und Student Outcomes Framework im vergangenen Jahr erstmals versucht. Und prompt eine Kontroverse ausgelöst, weil plötzlich einige Underdogs oben standen und einige Privatunis (nein, nicht Oxford und Cambridge) nach unten rauschten.  

Jan-Martin Wiarda ist Wissenschafts- und Bildungsjournalist in Berlin
   
 
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Wie erzieht man Demokraten? Der Rechtsruck in der Gesellschaft verunsichert die Schulen und die Politik. Jetzt suchen Lehrer nach Gegenmitteln
 
Demütig und stolz darauf Die Professoren Fritz Breithaupt und Martin Kolmar forderten in der ZEIT, dass Intellektuelle wieder Autoritäten werden sollten. Was für eine abwegige Idee! Finde das Arbeiterkind! Wer mit der akademischen Welt nicht vertraut ist, fremdelt mit der Uni – davon war die Forschung bisher überzeugt. Unsinn, sagt Bildungsexpertin Ingrid Miethe

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Darf der Präsident einer staatlichen Universität in einem Jahr 4,3 Millionen Dollar verdienen? Über diese Frage hat sich die University of Louisville mit ihrem früheren Chef James R. Ramsey entzweit, wie die Kollegen vom Chronicle of Higher Education am Montag berichteten.
Das war für mich wieder einmal Anlass, in den sehr informativen und gut aufbereiteten Executive Compensation Report des Chronicle  zu schauen: Die an Ramsey 2016 gezahlte Rekordsumme bestand vor allem aus einem Bonus und einer Abfindung. Ramsey bekam in diesem Jahr 39 mal so viel wie durchschnittliche Professoren an der Hochschule, von denen viele – sehr zu Recht – Ramseys Bezahlung als unanständig hoch empfinden werden. Was wäre eigentlich das angemessene Gehalt für einen deutschen Uni-Chef? W3+Zulagen sind – selbst wenn die genaue Höhe der Zulage nicht transparent ist – zu wenig für die große Verantwortung, für neunstellige Etats, für 70-Stunden-Wochen, für das schwierige Leben als Identifikations- und Reibungsfläche oft zehntausender Personen. Es wäre Zeit für ein deutliches Gehaltsplus für die Uni-Chefs – vielleicht im Gegenzug für mehr Transparenz über die Höhe der Zulagen? 

Manuel J. Hartung
   
 
   
Eine angenehme Restwoche wünscht Ihnen

Ihr CHANCEN-Team


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