Freitext: Katja Oskamp: Und ick dachte, du jehst zum Frisör

 
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01.08.2018
 
 
 
 
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„Und ick dachte, du jehst zum Frisör“
 
Unsere Autorin ist Schriftstellerin und Fußpflegerin. Ehepaar Huth kommt gemeinsam. Sie wegen rotlackierter Zehennägel. Er ist dement und hat es schon wieder vergessen.
VON KATJA OSKAMP

 
© Lena Mucha für ZEIT ONLINE
 

Der Parkfriedhof Marzahn morgens um acht. Die Sonne blinkert durchs dichte Blätterdach. Das Gras ist noch feucht von der Nacht und die Luft so frisch, dass man hineinbeißen möchte. Ich durchstreife die Grabreihen, schaue die Bepflanzungen an, lese Inschriften. Viele Russen sind hier begraben und Berliner Urgewächse, man sieht es den Namen an. Auch Herr Paulke, der einst mein Kunde war, liegt hier. Ein Eichelhäher kreischt, Singvögel jubilieren, zwei Eichhörnchen jagen einander. Eine Magnolie ist dabei, die Blütenblätter abzuschmeißen wie Konfetti. Es ist schön, den Tag auf einem menschenleeren Friedhof zu beginnen. Ich verlasse ihn, überquere die alte S-Bahn-Brücke, denn ich muss zur Arbeit. Zehn Minuten laufe ich durchs Wohngebiet und erreiche das Hochhaus mit unserem Kosmetikstudio.
 
Meine Kundin Frau Huth ist eine energische, rundliche Person, eine Urberlinerin, die seit dreißig Jahren mit ihrem Mann in Marzahn wohnt, nicht weit von unserem Studio entfernt. Ihre Füße sind so klein und fest wie die ganze Frau, und unter den vorderen Nagelkanten, wo die Nerven enden, ist Frau Huth sehr empfindlich. Sie hat ihren eigenen Nagellack bei mir im Schrank stehen, ein Korallenrot, mit dem ich ihr in der warmen Jahreszeit, wenn sie die weißen Riemchenschlappen trägt, die Zehennägel lackiere. Um das Ergebnis zu betrachten, wühlt Frau Huth eine Lupe aus ihrer großen Handtasche. Frau Huth hat alle Arten von Augenoperationen hinter sich. „Kieken kann ick trotzdem nich. Aba mir kricht keena mehr untert Messa. Die ham jenuch vadient an mir.“
 
Ich mag Frau Huths unsentimentale Ader. Sie ist schlagfertig, redet schnell, lacht sogar schnell, ein meckernder Klang, der ansteckend ist, und ihre Augen flitzen dazu wie Pucks hin und her, als entginge ihnen nicht die kleinste Regung. Frau Huth hätte niemals die Zeit, wie ich am Morgen, ein Stündchen über den Parkfriedhof zu streunen. Sie ist dreiundachtzig Jahre alt und immer im Einsatz, vierundzwanzig Stunden am Tag.


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