Ausgerechnet Helsinki. Ausgerechnet in Finnlands Hauptstadt treffen sich an diesem Montag Donald Trump und Wladimir Putin zu ihrem Autokraten-Gipfel. Seit über 40 Jahren steht Helsinki für Frieden, Freiheit und Menschenrechte. Hier wurde nach zweijährigen Verhandlungen am 1. August 1975 die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterschrieben.
Die unterzeichnenden Staaten – mit dabei die Vereinigten Staaten von Amerika und die damalige Sowjetunion – verpflichteten sich in diesem Dokument zur Wahrung der Grundfreiheiten, zum Gewaltverzicht, zur Unverletzlichkeit der Grenzen, zur territorialen Integrität der Staaten, zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und zur friedlichen Beilegung von Streitfällen.
Es war ein langer, beschwerlicher und von vielen Rückschlägen begleiteter Weg. Und wirklich komplett erfüllt wurden diese Versprechen nie. Aber damals, mitten im Kalten Krieg, entstand in Helsinki die Hoffnung auf eine bessere, friedlichere Welt. Und diese Zuversicht war nicht vergebens. Rund vierzehn Jahre später fiel die Mauer, seither leben viele Völker des ehemaligen "Ostblocks" in Freiheit.
Multilateralismus: ein Ärgernis
Heute aber weht ein anderer Geist. In Helsinki treffen sich ein amerikanischer und ein russischer Präsident, denen Prinzipien wie der Gewaltverzicht und die Achtung der Menschenrechte egal sind. Der Multilateralismus ist ihnen ein Ärgernis und sie bekämpfen ihn nach Kräften, wenn auch mit oft unterschiedlichen Interessen und von verschiedenen Enden aus. Wer hätte je gedacht, dass ein amerikanischer und ein russischer Präsident eines Tages gemeinsam die bestehende Nachkriegsordnung infrage stellen, die Vereinten Nationen, das westliche Verteidigungsbündnis Nato, die EU, die Welthandelsorganisation WTO?
Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Wladimir Putin hat wider das Völkerrecht die Halbinsel Krim annektiert und führt in der Ostukraine Krieg. Er steckt politische Widersacher ins Gefängnis, hat sich mit Hackerangriffen in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt und sät Zwietracht in der EU. Vor allem aber: Mit seinem Militär unterstützt er maßgeblich den Vernichtungsfeldzug des syrischen Diktators Assad.
Trump schaut nicht nur zu, sondern scheint vieles davon zu dulden oder sogar gut zu finden. Mehr noch: Einige von Trumps ehemaligen Mitarbeitern werden verdächtigt, im US-Wahlkampf 2016 mit Russland zulasten der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton konspiriert zu haben. Trump lobt Putin, während er gleichzeitig ohne Unterlass ständig gegen Amerikas engste Verbündete ätzt.
Das Unrecht herrscht über das Recht
Zur Freude Putins führt der US-Präsident einen Handelskrieg gegen China, Kanada, Mexiko und Europa. Trump distanziert sich von der Nato und äußert öffentlich große Sympathien für den Brexit und den Zerfall der Europäischen Union. Auch das gefällt Putin. Außerdem haben sich die USA unter Trump aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgezogen und Trump kürzt Amerikas Beiträge für die UN sowie die Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR.
Es ist eine kaum zu überbietende Dreistigkeit: Trump wie Putin kritisieren die deutsche Flüchtlingspolitik und warnen Europa vor der Aufnahme von Schutzsuchenden. Dabei haben erst die Vereinigten Staaten und später Russland die Grundlagen für die Massenflucht gelegt.
Ohne den Einmarsch der USA in Afghanistan und im Irak wäre der Mittlere Osten nicht ins Chaos gestürzt und hätte der Syrer Assad sein Land mithilfe des Iran und Russlands nicht in Schutt und Asche legen können. Der Zerfall des Mittleren Ostens ist nicht in erster Linie Trumps Schuld. George W. Bush machte den verheerenden Anfang, Barack Obama konnte und wollte die Katastrophe nicht verhindern, aber Donald Trump scheint sie nun endgültig besiegeln zu wollen.
Es droht die Herrschaft des Unrechts
In dieser neuen Helsinki-Welt drohen Autokraten und Populisten die Macht an sich zu reißen, drohen das Unrecht über das Recht, der Egoismus über das Gemeinwohl und der Nationalismus über den Multilateralismus zu herrschen. Leider auch in einigen Ländern der Europäischen Union, diesem gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
Bleibt zu hoffen, dass sich die Europäer gegen diese autoritären Anfechtungen zur Wehr setzen – und klare Zeichen setzen. Wie beim Schlussakt der Fußballweltmeisterschaft in Moskau, der Pokalvergabe: Mitten auf dem Fußballfeld, auf offener Bühne, standen Wladimir Putin, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović. Plötzlich begann es, in Strömen zu regnen. Doch zunächst eilten die russischen Helfer nur mit einem einzigen Regenschirm herbei und schützten allein Putin gegen die vom Himmel herabfallenden Wassermassen.
Der Franzose und die Kroatin neben ihm wurden pudelnass. Putin verzog keine Miene. Aber Macron und Grabar-Kitarović ließen sich ihre Freude nicht nehmen. Sie standen Arm in Arm, lachend und fröhlich und pfiffen auf den griesgrämigen Autokraten und seine eilfertigen Lakaien. Sie repräsentierten in diesem Augenblick eine bessere, eine friedlichere, eine freiheitlichere Welt.