10 nach 8: Lisa Andergassen über Botox

 
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30.07.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Bin ich jetzt auch so eine?
 
Mit Botox arbeiten vor allem Frauen an ihrer glatten Oberfläche. Ich bin Feministin und entscheide selbst, wie ich aussehen will. Und nun lasse ich mich spritzen.
VON LISA ANDERGASSEN

Das Nervengift Botulinumtoxin, kurz Botox, wird eingesetzt, um Muskeln zu lähmen und indirekt die darüberliegende Haut zu glätten. © Jutta Klee/Getty Images
 
Das Nervengift Botulinumtoxin, kurz Botox, wird eingesetzt, um Muskeln zu lähmen und indirekt die darüberliegende Haut zu glätten. © Jutta Klee/Getty Images
 

"Verraten Sie mir, was Sie nicht an sich mögen." Diesen Satz sagen Dr. McNamara und Dr. Troy in der Fernsehserie Nip/Tuck zu Beginn jeder Audienz in ihrer schönheitschirurgischen Praxis. Wie bei vielen Frauen Ende dreißig sind es bei mir gerade die ersten Falten. Da zwischen Nase und Mund, und auch da auf der Stirn. Je nach Lichteinfall treten sie stärker hervor, und wenn ich mich zu lange im Spiegel ansehe, dominieren sie mein Gesicht. Dann drehe ich meinen Kopf hin und her und wäge meine Optionen ab.

Das ist neu. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Schönheit keine Währung und Weiblichsein nicht mit viel Arbeitsaufwand verbunden war. Meine Freundinnen ketteten sich lieber an Zäune, um Castor-Transporte aufzuhalten, als sich zurechtzumachen. Und meine Mutter hatte ihren BH schon in den Siebzigerjahren in die Tonne getreten und dabei gleich noch Schminke und anderem Klimbim für immer entsagt. Ich dagegen verbrachte viele Stunden vor dem Spiegel und fühlte mich gleich doppelt schlecht. Denn während ich meine Outfits zusammenstellte und meine pubertäre Haut skeptisch inspizierte (ohne je zum gewünschten Ergebnis zu kommen), war ich mir immer schmerzlich bewusst, dass ich meine Zeit auch mit weniger oberflächlichen Tätigkeiten verbringen könnte.

Heute kann ich weder die Schönheitsindustrie mit ihren extremen Idealen gutheißen, noch möchte ich auf Mode und Make-up als Ausdrucksmittel verzichten. Aber als ich von einer Freundin eingeladen werde, an einer Marktforschungsstudie teilzunehmen, die mit einem Botox-Gutschein als Belohnung lockt, gehe ich hin. Kann man sich ja mal anschauen. So als Touristin, mit etwas selbstironischem Abstand.

In einem der schöneren alten Gebäude in Berlin kommen wir zusammen. Jüngere und ältere Frauen, mit viel Einkommen oder weniger. In den nächsten drei Stunden werden wir aufgefordert sein, unseren Senf zu allen möglichen Details eines Businessmodells dazuzugeben. Die Leiterin der Marktforschungsgruppe erscheint mir mit ihrem dunkelblauen Velourslederkleid und locker eingedrehten Haaren wie eine Kreuzung aus Anwältin und Blumenmädchen. Ihre Geschäftsidee: ein Botox-Studio aufmachen, in dem man sich mal eben, zwischen Businesslunch und dem nächsten Termin, die Stirn glätten oder Falten unterspritzen lassen kann. Genauso unaufgeregt, als ginge man zum Friseur oder zur Maniküre. Damit möchte sie eine neue Zielgruppe ansprechen. Nämlich Frauen, die wissen, was sie wollen, und sich nicht beschämt in einem Hinterhaus behandeln lassen, sondern hocherhobenen Hauptes in das zur Straße hin gelegene Studio marschieren. Offensives Botoxen, so ihre Schlussfolgerung, kann irgendwie auch ermächtigend sein.

Alle Anwesenden haben ihre eigenen kleine Narrative, mit denen sie ihre Teilnahme begründen. Während die eine über Umwege (Botox gegen Migräne) an das Thema herangeführt wurde, sind sich andere schon mit 23 bewusst, dass sie ihre glatte Haut nicht dem Zufall überlassen können. Ich selbst fühle mich einfach nur alt, schreibe aufmerksam Kosmetiktipps mit und höre mich während der folgenden Befragungsrunden mehrmals das Wort "natürlich" benutzen – als gewünschten Effekt der diskutierten Maßnahmen. So weit, so harmlos. Der erwartete Kulturschock stellt sich erst ein, als es um das Personal des zukünftigen Studios geht.

Die vier bis fünf Frauen, die das Gespräch dominieren, sind nicht so sehr an marktwirtschaftlichen Konzepten weiblicher Ermächtigung interessiert, sondern fordern normkonforme Körper auf allen Ebenen: Ärzte, die "nicht mal ihr Gewicht kontrollieren können" (also übergewichtig sind), erweckten den Anschein fachlicher Inkompetenz. Ausländische Akzente am Empfang senkten das allgemeine Niveau und ließen das Ambiente "billig" wirken. Mitarbeiter*innen sollten nicht nur gepflegt, sondern auch wirklich gut aussehen, und das Alter der Empfangsdamen sollte möglichst (weit) unter dreißig liegen, damit die Kundin nicht gleich im Eingangsbereich an die eigene Vergänglichkeit erinnert wird. Weil keiner mehr ein Blatt vor den Mund nimmt ("Seid jetzt mal ganz ehrlich!"), wird es langsam handfest diskriminierend.

"Noch sehr gut für Ihr Alter"

Obwohl ich mich zunehmend fehl am Platz fühle, schneide ich weiter brav Schnipsel aus Frauenzeitschriften aus, um ein Moodboard für das ideale Botox-Studio zu erstellen (kühle Industrial-Club-Atmosphäre oder lieber warme Erdtöne mit Schlingpflanzen als Raumteiler?). Denn jetzt möchte ich bitte auch gern mit einem Gutschein für das Lahmlegen einer "Gesichtszone" belohnt werden. Am besten sofort.

Und als der Gutschein zwar kommt, aber das tolle neue Botox-Studio auf sich warten lässt, vereinbare ich einen Termin in einer der vielen Berliner Praxen. Meinen Gang dorthin rechtfertige ich, wie gewohnt, mit Neugier (kann man ja später noch mal drüber schreiben), und im klinisch weißen Wartezimmer werde ich sofort mit der Bestätigung all meiner Vorurteile belohnt. Frauen mit aufgespritzten Lippen sitzen hier, in Leoprint-Blusen und engen Jeans, und mit funkelndem Schmuck behängt. Das Personal ist zuvorkommend, jung und sehr blond. Das hellblaue Hemd meiner Spezialistin ist so prall gefüllt, dass sich der BH meiner Mutter im Grab umdrehen würde.

Meine Haut kommentiert sie wohlwollend ("Noch sehr gut für Ihr Alter"), bevor sie mit der Botox-Behandlung beginnt: Um mein Gesicht zu "entspannen", wie es hier heißt, spritzt sie mir mehrmals das stark verdünnte Nervengift in die Stirn. Das geht schnell und fast schmerzfrei. Wichtig für hinterher: Hinlegen ist für sechs Stunden strengstens verboten, denn dann könnte das Botox in Gesichtsbereiche fließen, wo es weniger erwünscht ist. Ins Auge zum Beispiel. Das hängt dann, allerdings nur für ein paar Wochen.

Nach der etwa zehnminütigen Behandlung bin ich fast ein bisschen enttäuscht darüber, wie wenig invasiv der Eingriff war. Ich hätte meinen Besuch im Land der Oberflächlichkeiten gern als Erfahrung kultiviert, auf die ich angesprochen werde, weil mir ab und zu noch ein bisschen Blut von der Stirn tropft. Dann hätte ich das Lahmlegen meiner Gesichtszüge als radikalen Akt inszenieren können, der mit der Gefahr einherging, mich zumindest temporär zu entstellen. Stattdessen sieht man eigentlich gar nichts. Und ich muss mich erneut fragen, ob ich mich mit der Behandlung nicht doch nur dem Perfektionsdiktum unterwerfe, das Frauen dazu anhält, ihre Körper durch Diäten, Sport oder Schönheitsoperationen so lange zu modellieren, bis sie der Norm so gut wie möglich entsprechen.

Die Frage, für wen sich Frauen eigentlich schön machen, ist ein Politikum. Es geht nicht einfach nur darum, was die Frau nicht an sich mag, wie das Dr. McNamara und Dr. Troy in der Fernsehserie Nip/Tuck nahelegen. Denn wie in allen Lebensbereichen – aber vor allem, wenn es um Körper und Schönheit geht – orientieren wir uns an Idealen, die natürlich nicht einfach so in der Welt sind, sondern mit Machtverhältnissen zu tun haben.

Das heißt aber nicht, dass ich mich mit jedem Schminken, Rasieren oder Stirnglätten zur Komplizin des patriarchalen Systems mache. Das eigentliche Dilemma, in dem ich mich als Frau befinde, ist die permanente Unterstellung, nicht handlungsfähig zu sein. Das betrifft bei unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Bedürfnisse – BDSM-Fantasien auszuleben genauso wie das Recht darauf, unrasiert in den nächsten See zu springen oder sich über den eigenen Körper zu definieren.

Frauen müssen nicht beschützt werden, aber wir sollten uns gegenseitig daran erinnern, dass ständige Selbstzweifel und Selbstbefragung kein weibliches Attribut, sondern ein strukturelles Problem sind. Von Männern, die aufgrund ihrer Vorliebe für potenzielle Symptome der patriarchalen Unterdrückung (Lippenstift oder Absatzschuhe) an einer Identitätskrise leiden, habe ich zumindest noch nie gehört. Als Feministinnen sollten wir selbst entscheiden können, wie wir aussehen möchten, und uns dabei genauso wenig der gerade vorherrschenden Befreiungsdoktrin unterwerfen, wie den heteronormativen Idealen blind zu folgen.

Lisa Andergassen ist Medienwissenschaftlerin und freie Autorin. Sie beschäftigt sich insbesondere mit dem Verhältnis von Fotografie und digitaler Kultur, feministischer Theorie und Porn Studies. Sie lehrt und forscht an der FH und Universität Potsdam und ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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