10 nach 8: Bahareh Ebrahimi über Frauenrechte

 
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11.07.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Wie die Iranerinnen ins Stadion kamen
 
Fußball ist für alle da? Das gilt leider nicht in Teheran. Frauen wird der Zugang zu Stadien verwehrt. Während der WM-Vorrunde war der Jubel jetzt umso lauter.
VON BAHAREH EBRAHIMI

Iran gegen Spanien: Auch Frauen durften diesmal ins Teheraner Azadi-Stadion zum Public Viewing. © Stringer/AFP/Getty Images
 
Iran gegen Spanien: Auch Frauen durften diesmal ins Teheraner Azadi-Stadion zum Public Viewing. © Stringer/AFP/Getty Images
 

Fußballweltmeisterschaften sind ambivalent. Sie sind korrupt und gleichzeitig unterhaltend. Es geht um Kommerz, aber auch um das Gemeinschaftserlebnis. Mal ist die Rede von Fairplay, mal von Ungerechtigkeiten. Und manchmal ereignen sich während solcher Weltturniere Dinge, die jenseits von Sieg oder Niederlage auf dem Spielfeld stehen. Ereignisse, deren Anlass zwar der Fußball ist, die aber die Geschichte eines ganzen Landes verändern können.

Während die iranische Mannschaft in der WM-Vorrunde in Russland mit einer guten Leistung überraschte, haben die Iranerinnen in Teheran die Aufmerksamkeit der Welt auf andere Weise auf sich gezogen. Erstmals seit der Islamischen Revolution haben sie es geschafft, ein Fußballstadion zu betreten.     

Iran qualifiziert sich nicht so oft für eine Weltmeisterschaft. Wenn, dann ist es von großer Bedeutung für das ganze Land. Zu dieser WM wurde eine riesige Plakatwand auf dem Valiasr-Platz, einem zentralen Platz in Teheran, aufgestellt. Darauf waren die Nationalspieler neben Männern in traditioneller Kleidung aus verschiedenen Regionen Irans zu sehen. Motto: "Eine Nation, ein Puls." Das löste heftigen Protest in den sozialen Netzwerken aus. Vor allem Frauen fragten, ob eine Nation bloß aus Männern bestehe. Sie erreichten, dass das Plakat durch ein anderes ersetzt wurde, das Männer und Frauen gemeinsam beim Jubeln zeigte. Nachdem das geschafft war, kamen die Tribünen des Stadions dran.

Die Geschichte des versuchten, weil verbotenen Zutritts von Frauen zum größten Teheraner Fußballstadion, das interessanterweise Azadi, also "Freiheit", heißt, ist lang. Fast zu jedem Fußballspiel der Männermannschaften versuchen Frauen, in Männerkleidung ins Azadi-Stadion zu gelangen. Als Ende April der Fifa-Präsident Gianni Infantino anlässlich eines Teheraner Derbys zu Besuch kam, probierten einige Frauen, unverkleidet ins Stadion zu kommen, in der Hoffnung, dass die Anwesenheit des Fifa-Chefs etwas ändern würde. Dem war jedoch nicht so. Etliche von ihnen wurden vor dem Stadioneingang verhaftet, fortgebracht und erst nach dem Spiel freigelassen.  

Setareh (Name geändert) war eine dieser Frauen. Als sie enttäuscht über die Abweisung mit einigen anderen vor dem Stadioneingang stand, erzählt sie, sei ein Transsexueller auf sie zugekommen und habe ihnen gesagt, dass er sie heute alle vertrete. Vor einem Jahr habe er sich operieren lassen und nun ginge er das erste Mal als Mann ins Stadion. In mehrstündiger Haft hat Setareh Frauen zwischen 13 und 39 Jahren getroffen, die ebenfalls in der Nähe des Stadions festgenommen worden waren, einige in Männerkleidung, andere nicht. Sie kamen aus allen Schichten der Gesellschaft. Es habe sexistische Aussagen von Seiten der Polizisten gegeben. Eine Mutter, die versuchte, zu Hause anzurufen, wurde verhöhnt: Wenn sie eine gute Mutter wäre, würde sie nicht Fußball schauen wollen, erzählt Setareh. Trotzdem ging es bei den Gesprächen der festgehaltenen Frauen eher um die nächste Fußballverabredung als um die Angst vor Bestrafung. Einige hätten Tipps ausgetauscht, mit welchen Tricks, welchem Make-up oder Bart sie beim nächsten Spiel unauffälliger auftreten könnten.

Immer und immer wieder haben Aktivistinnen das Recht auf einen Stadionbesuch zum Thema gemacht, und stets wurde es quer durch das Parteienspektrum mit der Ausrede beiseite geschoben, es gäbe wichtigere Probleme. Aber die Frauen lassen nicht locker. Zu jedem Fußballanlass fordern sie das Recht auf den Stadionbesuch, so auch im Vorfeld der aktuellen Weltmeisterschaft. Vor dem zweiten Iran-Spiel in der WM-Vorrunde wurde in den offiziellen Nachrichten des Landes bekanntgegeben, dass auch die Frauen zum Public Viewing ins Stadion gehen dürften. Als die weiblichen Fans mit ihren gekauften Tickets vor dem Stadioneingang erschienen, verweigerten die Polizisten ihnen den Zutritt. Aber diesmal ließen sich die meisten nicht mehr so einfach nach Hause schicken. Sie machten vor dem Stadion so lange mit Vuvuzelas und Plastiktrompeten Lärm, bis die Tore geöffnet wurden. 

Die Bilder von Männern und Frauen gemeinsam auf den Tribünenplätzen des Azadi-Stadions tauchten dann in vielen internationalen Medien und in den sozialen Netzwerken auf. Das Wesentliche an diesem Vorgang ist, dass es keine Erlaubnis von oben gab, wie man es heute beispielsweise in Saudi-Arabien sieht, sondern dass das Ergebnis des Widerstandes und der Hartnäckigkeit der weiblichen Fans ist. Die iranischen Frauen haben nicht gewartet, bis die Obrigkeit ihnen ein Gefallen getan oder aus diplomatischen Gründen die Regeln gelockert hat. Sie haben sich den Zutritt zum Stadion erzwungen. 

Auch Setareh war endlich im Stadion. Die Frauen, die es vorher geschafft hatten, mit Bart ins Stadion zu kommen, aber stumm bleiben mussten, um ihre weibliche Identität nicht zu verraten, konnten dieses Mal laut sein. Es war ein kollektives Schreien, das mehr als dem Spielgeschehen galt. Iran schied in der Vorrunde aus. Doch der Jubelschrei der Frauen aus dem Azadi-Stadion bleibt weithin zu hören. Ob der Stadionbesuch bei den regelmäßigen Punktspielen der Clubs oder bei Nationalspielen zum Alltag iranischer Frauen werden kann, ist allerdings noch unklar.

Der amerikanische Schriftsteller Ken Kesey meinte einmal: "Zur Hölle mit Fakten, wir brauchen Geschichten!" An einer solchen Geschichte haben die Iranerinnen während der Fußball-WM 2018 geschrieben

Bahareh Ebrahimi ist eine iranische Journalistin und Kunsthistorikerin. Sie schreibt unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Sie wohnt in Berlin und ist Gastautorin von 10 nach 8.


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