10 nach 8: Stella Hombach über Bio-Lebensmittel

 
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18.07.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Konsequent inkonsequent
 
Für viele Verbraucher sind Bioprodukte die Wahl ihres Gewissens. Aber wenn gerade kein bio zur Hand ist: Auch nicht schlimm. Dann findet sich schon eine Ausrede.
VON STELLA HOMBACH

Alles, und zwar immer: Mit dieser Luxuseinstellung werden wir nicht weit kommen. © Alexandr Podvalny/unsplash.com
 
Alles, und zwar immer: Mit dieser Luxuseinstellung werden wir nicht weit kommen. © Alexandr Podvalny/unsplash.com
 

Neulich in meinem Lieblingscafé. Auf dem Weg zur Toilette fiel mir eine Milchpalette auf, die neben der Küche lehnte. Auf der Verpackung stand: Vollmilch, Fettgehalt 3,5 Prozent – aber nichts von bio, Fairtrade oder anderen Qualitätssiegeln. Im Café hatte auch niemand was von Biomilch gesagt. Trotzdem hatte ich immer vorausgesetzt, dass man hier darauf Wert legt. Einfach, weil der Laden sich wie viele Großstadtcafés so schön bewusst gibt: selbst gebackene Kuchen und Brote, frische Pasta. Und dann noch die Preise: Ein Milchkaffee kostet mittlerweile 3,20 Euro – vor drei, vier Jahren waren es noch 2,60 Euro.  

Ich bin keine Öko-Fanatikerin, lebe nicht vegan, esse hin und wieder sogar gern Fleisch. Und trotzdem habe ich in den vergangenen Jahren einen Mindeststandard für mich entwickelt. Ich versuche, Obst und Gemüse weitgehend in Bioqualität zu kaufen, wenn möglich regional. Ist der Biokohl ausverkauft, darf es auch mal konventioneller sein. Aber bei Eiern, Fleisch und Milch bin ich streng – aus ökologischen Gründen und wegen der Tierhaltung.

Wieso also habe ich mich nie darum geschert, welche Milch in meinem Lieblingscafé verwendet wird? Warum werfe ich meine Überzeugungen über Bord, sobald ich das Haus verlasse? Aus psychologischer Sicht ist die Antwort einfach, unser Selbst ist nicht aus einem Guss. Da ist der moralische Anteil, der uns dazu motiviert, ethisch korrekt einzukaufen und dafür einiges hinzunehmen: höhere Preise, Anstehen in der Kälte auf dem Markt, Fahrten zum weit entfernten Ökobauernhof. Und dann ist da der Bequemlichkeitsanteil in uns. Sind wir mit Freunden zum Frühstück verabredet (oder gar im Urlaub), aktiviert das Gedanken wie: Lass es dir gut gehen! Genieß' den Latte Macchiato! Du gönnst dir doch sonst nichts – und, ach: wird schon bio oder Fairtrade sein. 

Der Eskapismus, die Flucht in eine Realität der Wahl, ist also menschlich. Ihn hinzunehmen fällt jedoch schwer, wenn man einmal begonnen hat, nachzufragen. Ich habe das blöderweise neulich beim Apfelstreuselkuchen getan, den ich beim Bäcker um die Ecke gern esse. Er kommt von einem Großkonditor. Auf Nachfrage bestätigt dieses Unternehmen meine Vermutung: nicht bio – auch nicht bei den Eiern. "Da wir ausschließlich Gastronomen beliefern, welche meist nicht auf bio achten, hätten wir durch die höheren Preise ungünstigere Absatzmöglichkeiten", lautet die Erklärung. In Berlin beliefert diese Großbäckerei nach eigenen Angaben rund 700 Kunden. Ein anderes Konditorunternehmen zeigt hingegen, dass sich manche Backwaren durchaus in Bioqualität anbieten lassen – und das fast zum selben Preis. 

Doch hier geht es eben nicht nur um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen oder die Preiskalkulation von Cafébesitzern, sondern um mich. Muss ich mir das Bestellen meines Lieblingskuchens in Zukunft also zweimal überlegen? Oder ist die Biofrage am Ende gar nicht so relevant? Den Standards der Europäischen Union entsprechend garantiert das Biosiegel den Verzicht auf künstliche Pflanzenschutzmittel und Gentechnik. Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und Farbstoffe dürfen den Lebensmitteln nicht beigemengt werden. Und für Tiere schreibt eine EG-Öko-Verordnung Freilauf sowie mehr Luft und Raum in der Unterbringung vor. Hört sich erst mal alles gut an. Aber wie geht es den Tieren wirklich in der Haltung? Hennen mit gebrochenen Knochen, Kühe, deren Euter entzündet sind, Schweine mit haltungsbedingten Krankheiten – all das gibt es laut einer Untersuchung der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch auch in manchem Biostall.

Dazu kommt, dass ein Großteil unserer Biolebensmittel aus dem Ausland stammt. Laut Schätzung der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft wurde im Jahr 2017 gut jeder dritte Liter Milch importiert – wobei Länder wie Dänemark oder die Niederlande immerhin nicht ganz so weit weg sind. 80 Prozent der hier verkauften Biotomaten kommen aus dem Ausland, und Biobananen gibt es eigentlich nur aus Übersee. Ihr CO2-Abdruck ist entsprechend schlecht. Unter welchen Bedingungen Obst und Gemüse in anderen Ländern angepflanzt werden und wie die Erntehelfer bezahlt werden, steht auch nicht auf dem Etikett. Viele Biotomaten stammen zum Beispiel aus Spanien, einem Land, das ohnehin unter Wasserknappheit leidet. Damit Tomaten richtig wachsen, brauchen sie aber viel Wasser. Ist das nun wirklich ein gutes Geschäft für Spanien?

Wir brauchen neue Gesetze und Kennzeichnungspflicht

Ich muss mir eingestehen, dass ich im Alltag Gedanken dieser Art in der Regel verdränge. Und dass mir mein frischer Tomatensalat bislang wichtiger war. Immerhin verursacht bio weniger Umweltschäden wie Wasserverschmutzung durch Pestizide, Überdüngung oder Artenzerstörung, deren Vermeidung wiederum Kosten verursacht. Die Kosten, die durch konventionellen Anbau entstehen, sind im Preis herkömmlicher Lebensmittel nicht enthalten, vielmehr zahlen wir sie "versteckt" – etwa mit unseren Wassergebühren. 

Es hilft alles nichts: Wissen bringt Verantwortung. Doch immerhin betrifft das – theoretisch – nicht nur den Einzelnen. Wir brauchen Gesetze, die nicht nur die Wertschöpfungskette berücksichtigen, sondern auch die Folgen – etwa mit der Einführung einer Pestizid-Steuer. So könnten sich Bioprodukte den konventionell hergestellten zumindest preislich annähern. In vielen Supermärkten werden Bioobst und Gemüse separat vom Konventionellen gelagert, damit sich die Pestizide der gespritzten Produkte nicht auf Bioprodukte übertragen. Dann spart man sich auch die Plastikverpackungen. Warum kann das nicht für jeden Laden Pflicht sein? Und warum lassen sich die Emissionen, die ein Rindersteak verursacht, nicht auf dem Etikett vermerken? Mit Kalorienangaben geht das doch auch.

Damit sind wir Verbraucher natürlich nicht entlastet: Der Verzehr von Fleisch ist Luxus, genau wie das ganzjährige Angebot von Tomaten und grünen Bohnen. Der Aufruf zum Verzicht erscheint vielen noch immer naiv, obwohl die Umweltfolgen dieses Lebenswandels langfristig unsere Luxusgesellschaft selbst bedrohen. Steigende Meeresspiegel zwingen Menschen, ihre Heimat zu verlassen, und als Gesellschaft tragen wir die Kosten zur Bekämpfung der Klimaerwärmung. Die Ausrede "Ich allein kann nichts ändern" zieht nicht mehr. 

Hilfreich wäre vermutlich eine Verordnung, die Restaurant- und Caféinhaber dazu veranlasst, die Herkunft ihrer Lebensmittel auszuzeichnen. Man möchte nicht ständig nachfragen, mit welchem Weizen ein Brot gebacken und mit welchen Sonnenblumenkernen die Brötchen bestreut wurden. Wären die Produkte im Menü jedoch klar gekennzeichnet, gäbe es keine Ausflüchte mehr und man könnte und müsste sich bewusst entscheiden, was man konsumieren will. 

Wie ich mich kenne, werde ich mir den Milchkaffee auch in Zukunft nicht verkneifen und bestimmt auch mal im Winter zur spanischen Tomate greifen. Aber seit der Begegnung mit der Milchpalette, überlege ich, welche Lebensmittel ich zu welcher Jahreszeit kaufe und wo ich meinen "Gönn dir was"-Kuchen bestelle. Ich frage in Restaurants auch häufiger nach. So hat der Bio-Eskapismus sogar etwas Positives – hat man ihn einmal entlarvt, zwingt er zum Weiterdenken.

Stella Hombach hat Kulturwissenschaften studiert und arbeitet als Redakteurin für das Online-Magazin "Ihre Gesundheitsprofis" in Berlin. Nebenbei schreibt sie auch für Medien wie "Spiegel Online" oder den Österreichischen "Standard". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". 


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