Fünf vor 8:00: Frieden geht anders - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
12.07.2018
 
 
 
   
 
Frieden geht anders
 
Die Argumente für höhere Verteidigungsetats sind plausibel, mehr Waffen lösen aber die drängenden Probleme nicht. Deutschland sollte echte Verantwortung übernehmen.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   

Frieden schaffen ohne Waffen: Zugegeben, der Spruch klingt verdammt altmodisch. Er stammt ja auch aus den Achtzigern, als Hunderttausende Demonstranten gegen die atomare Aufrüstung protestierten – und dann, nach dem Fall der Mauer kurz davon träumten, dass es eine Friedensdividende geben werde. Und eine Welt mit weniger Panzern, Pistolen und Soldaten.
 
Wie naiv das im Rückblick wirkt.
 
In diesen Tagen fordern viele Politiker und auch die überwiegende Zahl der Kommentatoren, dass Deutschland Frieden mit mehr Waffen schafft – denn genau das steckt hinter der Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel: Die Regierung soll, so die Forderung, jedes Jahr mehr Geld für den Verteidigungsetat bereit stellen, und zwar so lange, bis das Nato-Ziel erreicht ist, also zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgegeben werden. Soll das Ziel bis 2024 erreicht werden, müssen es pro Jahr 6,8 Milliarden Euro mehr sein – so hat es die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ausgerechnet. 2024 läge die Summe dann bei zwei Prozent oder 85 Milliarden Euro. Das wären 129 Prozent mehr als heute.
 
In ein paar Jahren sollen wir also mehr als doppelt so viel Geld für Waffen ausgeben wie heute – für Menschen, die sie im Zweifelsfall auch benutzen?
 
Die Argumente dafür klingen erst mal alle plausibel: Die Welt ist unsicherer geworden. Wir können uns auf Trump und die USA nicht mehr verlassen, auf Putin gar nicht. Und deswegen müssen wir selbst gerüstet sein. Leider nur vergessen die Fans dieser Art von Vorsorge dabei gern eines: Viele Probleme, gegen die wir mindestens ebenso beherzt etwas tun müssten, die uns derzeit und wohl auch in den kommenden Jahren wohl am meisten beschäftigen, lassen sich durch mehr Geld für Waffen so einfach nicht lösen.
 
Ein Beispiel? Seit Wochen streitet die politische Klasse der Republik über den Umgang mit den Flüchtlingen aus Afrika. Alle wissen, dass die Ursachen für die Flucht vielfältig sind: Kriege, Armut, Klimawandel – oder auch nur die Hoffnung auf ein besseres Leben. Ebenso klar ist: Das Problem lässt sich weder einfach, noch durch Waffen lösen (jedenfalls nicht, wenn man noch ein bisschen Menschlichkeit und westliche Werte bewahren, also Schutzbedürftige nicht an den Grenzen erschießen und die Augen dann vor dem Elend im Rest der Welt verschließen will).
 
Alle wissen auch, dass die wirkungsvolle Bekämpfung der Fluchtursachen nicht nur Geld kosten wird, sie verlangt andere Politik: Da wird es nicht reichen, ein paar Milliarden Euro mehr in schöne, aber großflächig offensichtlich wenig wirkungsvolle Entwicklungsprojekte zu stecken. Und selbst wenn, wäre dafür niemals die gleiche Steigerung an Mitteln durchsetzbar wie bei der Rüstung. (Nur zum Vergleich: Der Entwicklungsetat beträgt im kommenden Jahr 9,7 Milliarden Euro, der für Verteidigung 42,9 Milliarden – also viermal so viel.)
 
Aber es gäbe ja andere, wirkungsvolle Mittel, jenseits der Milliarden. Damit das Leben auch im Süden besser wird, müsste Europa seine Handelspolitik (endlich!) ernsthaft ändern, faire Abkommen mit den armen Ländern schließen, die Wirtschaft Afrikas mit aufbauen, in Bildung investieren. Die Bundesregierung müsste den Klimawandel nicht mehr nur mit Worten bekämpfen, denn der führt doch schon heute dazu, dass immer mehr Menschen ihre verdorrten Felder und damit ihre Heimat verlassen. Und ja, die Regierungen Europas müssten immer und immer wieder neue Friedensinitiativen starten, sich also in die Weltläufte anderswo viel aktiver einmischen. Afrika ist unser Nachbar!

All das klingt öde, und es ist mühsam. All das wird nur langsame Erfolge bringen – denn es setzt voraus, dass sich auch bei uns etwas ändert. Unsere Regierung müsste mehr Verantwortung für politische Prozesse im Rest der Welt übernehmen, neue, bessere Regeln für den Umgang mit der globalen Wirtschaft und der Umwelt mit entwerfen. Sie müsste den Bürger klar sagen: Ja, auch bei uns wird manches teurer werden (beispielsweise die Verschmutzung der Atmosphäre durch CO2, also durch das Autofahren oder Fliegen), damit der Süden eine Chance bekommt.
 
Nur ist das alles kein Grund, es nicht zu tun. Warum veranstalten wir nicht einen Afrika-Gipfel mit einer Besetzung wie in dieser Woche beim Nato-Gipfel in Brüssel und entsprechender medialer Begleitung? Warum knüpft die Bundesregierung, die jahrelang zu den globalen Vorreitern bei der Suche nach einer klimafreundlicheren Politik gehört hat, nicht gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Macron an ihre Erfolge an: Wer, wenn nicht Europa kann eine andere Energiepolitik entwerfen – und Nachahmer in der ganzen Welt beflügeln? Auf dass Erwärmung der Erde und damit Dürre, Unwetterkatastrophen und Flucht nicht immer noch häufiger werden. Warum gibt es keinen Streit in der Regierung darüber, wie in dieser Welt neue, globale Alliierte für eine friedlichere Entwicklung der Welt gefunden werden können.
 
Klingt alles irgendwie altmodisch? Mag sein, aber falsch ist es damit nicht. Es bräuchte nur mehr Menschen, die wieder ein bisschen träumen.

 


 
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.