Fünf vor 8:00: Mal auf Markus Söder hören - Die Morgenkolumne heute von Carsten Luther

 
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FÜNF VOR 8:00
04.07.2018
 
 
 
   
 
Mal auf Markus Söder hören
 
Ausgerechnet aus der CSU kommt die Forderung, jetzt auf Umgangsformen zu achten. Aber es stimmt: Billige Scherze und hässliche Worte hat es im Asylstreit genug gegeben.
VON CARSTEN LUTHER
 
   
 
 
   
 
   
Der Transparenz halber sei vermerkt, dass ich grob 79 Prozent der Späße auf Kosten Horst Seehofers wirklich witzig finde. Einfach lachen kann ich darüber nicht mehr. Über das eigentlich harmlose Bild eines konzentrierten Mannes am heimatlichen Keyboard ohne Strom nicht, so sehr die dazu verbreiteten Songs auch passen mögen ("… wenn ich König von Deutschland wär"). Nicht über die selige Freude ebendieses Mannes inmitten seines Modelleisenbahnimperiums, wenn darunter Ehrabschneidendes steht, das ich hier nicht einmal bloß wirkungsgleich wiedergeben möchte. Und auch nicht über die Werbung eines Autovermieters mit der Zeile "Egal, wie Sie sich entscheiden: bis zur letzten Minute kostenlos zurücktreten".
 
Sicher, da hat sich in den vergangenen Tagen und Nächten augenscheinlich einer zum Horst gemacht, wie es die Geschichte dieser Redewendung bis dato nicht hergab. Aber man muss ja nicht mitmachen und zum Lachen nur noch in den Keller gehen. Und aus seiner Sicht hat es sich ja offenbar gelohnt: Der Innenminister und CSU-Chef bleibt, was er ist, und bekommt, was er will – oder kann es zumindest vorerst so verkaufen. Manche sagen, er habe gewonnen. Andere sagen, Bundeskanzlerin Angel Merkel habe sich und Europa gerettet. Auch das: vorläufig. Ja, das ist alles ziemlich ernst, Gratislacher über die Charakterfiguren dieses Streits werden dem nicht gerecht.
 
Ich verstehe angesichts dieses gerade noch beruhigten Ego-, Macht- und am Rande wohl auch Politikschauspiels den Reiz, das drohende Scheitern einer viel verhassten politischen Existenz in wuchtige Worte zu kleiden – den Drang, es immer noch ein wenig krasser zu sagen als der twitternde oder leitartikelnde Nebenmann: Da wurde der Innenminister vor dem alle rettenden Kompromiss zum "christsozialen Selbstmordattentäter, ein Antimigrations-Märtyrer, der sich und die CSU und wer weiß was noch in Luft sprengt" (Jakob Augstein, der Freitag); oder auch Markus Söder und Alexander Dobrindt bescheinigt, sie betrieben "Politik wie ein Killerspiel" (Georg Löwisch, taz); da wurde der "Frontverlauf" kartographiert, eine "offene Feldschlacht" wollten die Parteien ja vermeiden (beides Robin Alexander, Welt). Oder es herrschte gleich "Krieg" (zu viele Beispiele).
 
Sicher, die CSU selbst hatte die Niveaulatte mit "Asyltourismus" und anderen schäbigen Begriffen recht niedrig gelegt. Aber man kann ja auch mal entspannt drüberhechten, statt im Schmutz drunter durch zu wollen. Gerade jetzt, wo es vielleicht kurz nicht mehr um Macht und Erscheinung gehen muss, sondern die inhaltliche Qualität des Vereinbarten diskutiert werden kann, wuchern die schmutzigen Wörter allerdings weiter – scheinbar noch zusätzlich legitimiert durch den gefühlten Erfolg. Die CSU wähnt sich also am Beginn einer bei der AfD genauso gut aufgehobenen "Asylwende", und der "Asyltourismus" rutschte dann selbst CDU-Vize Julia Klöckner im Tagesthemen-Interview raus, schwach relativiert als "sogenannter". Während sich einige Beobachter nach dem abgewendeten Rücktrittsrauswurf Seehofers wieder freundlicher ausdrücken können, wird die Sprache der Politik nicht schöner. Dummerweise kann das ansteckend sein. Zurückweisungen wären hier angebracht.

Ein letztes Phänomen, wenn sich nicht auf Anhieb erschließen will, was zum Teufel die in Berlin da eigentlich machen: Die Versuchung ist stark, wie so oft, die politische Fiktion mittels athletischer Metaphern greifbar zu machen oder gleich irgendeine unsinnige Parallele zum Schicksal des deutschen Fußballs zu behaupten. Während die Tränen über das rechtzeitige WM-Aus noch nicht trocken sind, wird kurzerhand auch die Regierungskrise im Elfmeterschießen entschieden, Seehofer soll vom Platz gestellt, in die Kabine geschickt, ihm jedenfalls die Rote Karte gezeigt werden. Oder der Kanzlerin, je nach Vorliebe. Wenn nicht überhaupt Jogi Löw an allem Schuld ist und wirklich jeder der bessere Bundestrainer wäre – das immerhin passt auf beiden Feldern. Und Merkel ist jetzt eine Runde weiter, Löw ja irgendwie auch.
 
Sicher, man darf die Politik auch mal sportlich nehmen. Aber wenn alles nur ein Spiel ist, gewinnt am Ende keiner, höchstens die Bank. Ich lasse mich vielleicht noch zum Vergleich mit einem mehrdimensionalen Schachspiel hinreißen, dessen Regeln ähnlich dem "Masterplan" für die Bewältigung einer an der Grenze nicht vorhandenen Flüchtlingskrise nur widerwillig verteilt werden. Aber das wäre wohl zu viel an Substanz vermutet. Es soll ja dem Vernehmen nach um eine Frage von vergleichsweise geringer Bedeutung gegangen sein. Eine Sache, die "einen begrenzten Ausschnitt der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik umfasst", wie SPD-Chefin Andrea Nahles feststellte. Das wird sich also regeln lassen. Für alles andere sollte ausnahmsweise jeder auf Markus Söder hören. Der sagte nach der entscheidenden Nacht: "Wir müssen auch auf unsere Umgangsformen achten."
   
 
   
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