Freitext: Viktor Martinowitsch: Freiheit ist Papier

 
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03.07.2018
 
 
 
 
Freitext


Freiheit ist Papier
 
 
Das Internet ist kein Synonym mehr für Demokratie. Wer von Gleichheit, Protestkultur und mutigen Äußerungen träumt, muss sich vom digitalen Zeitalter verabschieden.
VON VIKTOR MARTINOWITSCH

 
© Manolo Chrétien/Unsplash
 

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Erinnert sich noch jemand an die blauäugigen Tage, da eine vom eigenen Rechner verschickte E-Mail kein gerichtsfester Beweis dafür war, dass man selbst an diesem Mailwechsel beteiligt war? Weil „Dritte den Computer unter ihre Kontrolle gebracht“ haben könnten? Erinnert sich noch jemand an den wunderbaren Begriff des Avatars? Der den Autor vom elektronischen Erzähler unterschied? Erinnert sich noch jemand, wie wir im LiveJournal-Zeitalter, noch bevor die Ära der totalen digitalen Sklaverei anbrach, unseren Alter Egos im Netz fiktive Nicknames gaben? Damit sich niemand über die literarischen Versuche unserer Avatare mokiert? Das war doch erst gestern, ist vielleicht läppische zehn Jahre her!
 
Wer weiß noch, wie schockiert wir waren, als Facebook erstmals mit strenger Stimme verlangte, eine gültige Handynummer zur Bestätigung unseres Kontos anzugeben? Und wie dann die E-Mail-Konten nachzogen, die Tablets und Notebooks? Liberale Technologiefans, die mit dem Durchbruch des Internets den Beginn eines wunderbaren Zeitalters der Freiheit gepredigt hatten, können sich heute schon die Asche der im Überschwang verbrannten Zeitungen und Zeitschriften aufs Haupt streuen.
 
Wir waren freier vor zwanzig Jahren. Freier als heute. Ja, vor dem Aufkommen von „Interaktivität, Digitalität und Konvergenz“ konnten wir keine Kommentare unter Artikeln hinterlassen. Aber was ist die Freiheit wert, sich zu einem Thema oder über einen Autor zu äußern, bei Facebook einen Link zu setzen, wenn du für dieses Recht bestraft oder eingesperrt werden kannst? (In Russland gibt es Haftstrafen für Repostings, in Belarus wurde das Mediengesetz geändert, das nun Haftbarkeit bei Kommentaren und die Möglichkeit zur SMS-Identifizierung Kommentierender vorsieht).
 
Wie Google uns einschätzt
 
Aber mir geht es hier nicht um „Länder mit Defiziten bei der Freiheit des Wortes“. Mir geht es um die Technologien. Das Level der Freiheit des Wortes ist eine variable Größe. Rechtsruck, militärische Auseinandersetzungen, ein selbstherrlicher Charismatiker am Ruder – es gibt eine Vielzahl Faktoren, die die Regierung eines freien Landes dazu bewegen können, in die (zeitweise) Unfreiheit zu gehen. Wichtig ist dabei, dass Google und Facebook (im Unterschied zu Netscape oder dem guten alten LiveJournal) diesen Regierungen ungewollt zu Diensten sind.


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