Drittmittel-Bias | Bibliotheken in Zürich | Ziegler ist neuer FU-Präsident | Standpunkt: Abschied von Kollegah Arndt

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
die Universität Greifswald ist ihren Namenspatron los, Ernst Moritz Arndt. Endlich. Was diese langwierige, holprige Entscheidung der Uni mit Götz Aly und der AfD zu tun hat, lesen Sie im Standpunkt von Benedikt Erenz. Wer Bibliotheken liebt, kann sich an einem Politikum in Zürich erfreuen. Und in der Fußnote hat Anna-Lena Scholz noch einen Tipp für alle Kopenhagen- und Thrillerfans.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Studie: Drittmittel-Bias
Über ein interessantes Studienergebnis berichtet Nature: Untersucht wurde, wie sich die Zu- bzw. Absage eines Drittmittelprojekts in der frühen Postdoc-Phase auf weitere Bewerbungen auswirkt. Das Ergebnis: Wer Glück hatte, ein erstes großes Projekt bewilligt zu bekommen, strich in den darauffolgenden acht Jahren mehr als doppelt so viele Forschungsgelder ein. Auch die Wahrscheinlichkeit, eine Professur zu erhalten, ist deutlich höher – interessanterweise steigt aber nicht die Anzahl oder der Impact der Publikationen selbst. Das heißt: Wissenschaftler, die über die Vergabe von Geldern für bestimmte Projekte entscheiden, haben eine Art Grant-Bias, der ihre positive Wahrnehmung von erfolgreichen Geldeinwerbern verstärkt. „Glück“ ist bei all dem übrigens ein wichtiges Stichwort. Nature zitiert den Soziologen Thijs Bol von der Universität Amsterdam: „‚There is a group of very young talented scholars who have bad luck,‘ says Bol. ‚They do not get the same resources to bring their ideas to life.‘“
  
 
 
Hamburg, die Möchtegern-Wissenschaftsstadt
Regierungschefs berufen sich gern auf die Strahlkraft ihrer Forschungsstätten. Leider nicht selten nur in Sonntagsreden. So auch in Hamburg, wo die Wissenschaft in den letzten Jahren nicht gerade ein Herzensthema des Senats, konkret des Ex-Bürgermeisters Olaf Scholz war. Hamburg – wo die Wissenschaft im Schnitt gut, aber nicht unbedingt von weltweiter Exzellenz ist; wo der Sanierungsstau beträchtlich ist. Wird das jetzt anders unter seinem Nachfolger Peter Tschentscher? „Wissen und Wissenschaft sind die entscheidende Dimension unserer künftigen Entwicklungen“, sagt er jedenfalls in seiner Regierungserklärung am 11. April. Auf Herz und Nieren prüft diese Ansage in der aktuellen ZEIT unser Kollege Oliver Hollenstein im Hamburg-Ressort, hier online
  
 
 
Untergang des Bibliothekenlandes?
Bücherrevolution in der Schweiz: Die Universität Zürich plant, die über die ganze Stadt verstreuten, 80 Teilbibliotheken – vor allem der geisteswissenschaftlichen Institute – in einer großen Gesamtbibliothek zusammenzulegen. Dubletten sollen in dieser „Bibliothek der Zukunft“, wie sie in einem Papier heißt, ausgesondert, ein Großteil der Bestände in ein Magazin gelagert, womöglich auch Personal eingespart werden. (Tagesanzeiger) Die Pläne stoßen auf großen Widerstand. Studierende und Wissenschaftler fürchten, dass mit der Zentralisierung eine straffe Ökonomisierung, ein Prestige- und Autonomieverlust einhergeht (Zürcher Studierendenzeitung). Auch in Deutschland sorgt man sich: Auf dem ZEIT ONLINE-Jugendportal ze.tt wird das ineffiziente Herumstöbern gefeiert; in der FAZ hieß es gestern: „Deutsche Universitäten werden die Züricher Vorgänge aufmerksam verfolgen. Manche von ihnen haben die Zentralisierung von Fachbibliotheken schon vollzogen, anderen steht sie bevor.“ – Sicher, klandestine Sparmaßnahmen sind ein Ärgernis. Das Herumhetzen zwischen Teilbibliotheken und das vereinzelte Zusammensuchen von tausendundeinem Buch aber irgendwie auch. These: Nicht hinter jeder strategischen Effizienzsteigerung tut sich gleich der Abgrund des akademischen Großkapitalismus auf. 
  
   
 
 
   
   
   
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Rico Gubler sitzt Schleswig-Holsteins Hochschulen vor
Rico Gubler, Präsident der Musikhochschule Lübeck, wurde gestern zum neuen Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen Landesrektorenkonferenz gewählt. Er folgt in dem Amt ab 1. Juni 2018 auf Udo Beer, Präsident Fachhochschule Kiel.

Günter Ziegler neuer Chef der FU Berlin
Der Mathematiker Günter M. Ziegler ist vom gestern zum neuen Präsidenten der FU Berlin gewählt worden; er erhielt 39 Stimmen aus dem Akademischen Senat und war damit seiner Gegenkandidatin Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Universität Frankfurt/Main (15 Stimmen), überlegen. Ein Portrait Zieglers von Anna-Lena Scholz lesen Sie im WISSEN-Ressort der neuen ZEIT.

Rudolf Cohen verstorben
Der Psychologe und ehemalige Rektor der Universität Konstanz, Rudolf Cohen, ist im Alter von 85 Jahren verstorben. Cohen leitete die Universität von 1996 bis 2000 – „mit klugem Kopf in einer Ära der strukturellen Neugestaltung und Modernisierung, als in seiner Amtszeit eine neue Grundordnung der Universität ausgearbeitet und in Kraft gesetzt wurde“, wie der amtierende Rektor Ulrich Rüdiger sagte.

Job: Info/Daten/Tech
Für diesen Job brauche Sie eine extralange Visitenkarte: Die Universität Wuppertal sucht eine Informationssicherheitsbeauftragte (m/w)! Sie sollten ein einschlägiges Studium und ein Herz für Datensicherheit haben. Näheres steht im neuen ZEIT Stellenmarkt.
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Standpunkt
 
 
   
von Benedikt Erenz
Abschied von Kollegah Arndt
Sie haben sich viel Zeit genommen in Greifswald. Seit bald zwanzig Jahren wurde in der Ostseestadt darüber debattiert, ob die 1456 gegründete Hochschule ihren alten Namen zurückerhalten soll, den sie bis 1933 trug: Universität Greifswald. Damals hatten ihr die Nazis in einer Art Umbenennungsputsch den Namen Ernst Moritz Arndt übergestülpt. Es war ein Gewaltakt aus ideologischen Gründen. Denn sowohl literatur- wie wissenschaftshistorisch ist der von Rügen stammende Dichter und Geschichtsprofessor Ernst Moritz Arndt (1769–1860) bar jeder überzeitlichen Bedeutung. Als völkischer Ideologe jedoch, als Antisemit und nationalistischer Hassprediger zählt er zu den Idolen des rechtsradikalen Deutschlands – bis heute.
Nun also ist es amtlich, durch das Ministerium in Schwerin bestätigt: Die Universität ist von der Nazi-Ehrung befreit und hat ihren schlichten alten Namen zurück. »Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität ist«, wie die lokale Ostsee-Zeitung richtig feststellt, »Geschichte.« Das kann nur von Nutzen sein: Denn zum einen bleibt es das oberste Prinzip aller Wissenschaft, die Welt ohne Zorn und Eifer – sine ira et studio – zu erforschen, und dazu war Arndt das denkbar untauglichste Vorbild. Zum anderen versteht sich die Universität Greifswald gleich allen Universitäten von Rang als kosmopolitisches Mitglied der globalen Republik der Wissenschaften und durchaus nicht, wie der Name Arndt signalisierte, als eine nationalpolitische Erziehungsanstalt für die vorpommersche Heimat.
Fragt man, warum es so lange gedauert hat, bis dieser für das Ranking der Hochschule gewiss nicht existenzielle, für ihr Selbstverständnis jedoch bedeutsame Schritt vollzogen war, dann muss man auch die Nachkriegsgeschichte berücksichtigen. Denn wie konnte es überhaupt sein, dass der Name Arndt das Jahr 1945 überlebte? Dass er der Universität nach einer gewissen Schamfrist 1954 erneut angehängt wurde? Die Wahrheit ist zumutbar: auch unter den DDR-Talaren gab es viel »Muff von 1000 Jahren«. Alle Greifswalder Rektoren von 1950 bis 1978 waren einst Mitglied der NSDAP gewesen. Vor diesem Hintergrund brauchte es nicht viel, nur ein bisschen Geschichtsklitterung, um den rechtsautoritären Arndt für die linksautoritäre DDR passend zu machen. Hier zeigt sich eine gesamtdeutsche Nachkriegskontinuität, die von DDR-Nostalgikern gern bestritten wird.
Schon bald nach der Wende kämpfte man in Greifswald um die Rückkehr zum alten Namen. Es gab Studenteninitiativen, es gab Podiumsdiskussionen ohne Ende. Der Senat der Hochschule tat sich zunächst schwer. Doch dann rang er sich mit Zweidrittelmehrheit zum finalen Schnitt durch.
Eine letzte bizarre Volte hatte die Debatte noch 2017 bekommen durch eine Wutrede des Berliner NS-Forschers Götz Aly für die Berliner und die Stuttgarter Zeitung, in der er den Nazi-Namen von 1933 vehement verteidigte. Dieser Beitrag zum Fremdschämen für alle, die Alys Arbeiten über das »Dritte Reich« schätzen, erklärt just den völkischen Monarchisten Arndt zum »Demokraten« und suggeriert zugleich, alle frühen Freiheitsmänner und -frauen seien Antisemiten und Nationalisten gewesen: »Bessere Demokraten« habe es im Deutschland jener Zeit nun mal nicht gegeben. Wie so mancher westdeutsche Ex-Kommunist offenbar wenig vertraut mit den Protagonisten der deutschen Demokratiegeschichte, stellt Aly damit gleich den gesamten demokratisch inspirierten Aufbruch der Jahre zwischen 1789 und 1848 unter Verdacht – politische Autoren und aktive Politiker von Forster, Seume und Büchner bis Rebmann, Siebenpfeiffer und Itzstein, denen Antisemitismus fernlag. Auch scheint der Börne-Preisträger des Jahres 2012 noch nie etwas von den deutsch-jüdischen Demokraten jener Jahre gehört zu haben: von Johann Jacoby oder Emma Herwegh oder Heinrich Simon. Alles Antisemiten? Oder zählt Aly sie nicht unter die Deutschen?
Nebbich. Es gibt genug Frauen und Männer aus der Frühzeit der modernen deutschen Demokratiegeschichte, auf die wir uns heute gern berufen. Es lohnt sich, sie zu kennen. Im Übrigen braucht sich um Arndt niemand Sorgen zu machen. Immer noch tragen etliche Schulen seinen Namen, oft ebenfalls seit Nazi-Zeiten, wie die Arndt-Gymnasien in Bonn und Krefeld. Selbst eine evangelische Kirche, die Arndt-Kirche in Berlin-Zehlendorf, feiert seit 1935 den frömmelnden Rassentümler, dem die Juden »Ungeziefer« waren und der »den Hass zur Religion des deutschen Volkes machen« wollte. Sprach der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm nicht vor wenigen Wochen davon, dass für Antisemitismus kein Platz sei in der Kirche? Für Antisemiten aber wohl doch.
Rettung für den Prototyp aller deutschen Wahnbürger könnte indes auch von der parlamentarischen Rechten kommen. Die AfD sucht ja immer noch einen Patron für ihre Parteistiftung. Erasmus kann es nicht bleiben – viel zu kosmopolitisch, geradezu links-grün versifft. Wie wäre es mit Ernst Moritz Arndt?

Benedikt Erenz ist Redakteur im Ressort GESCHICHTE der ZEIT. Dieser Kommentar erscheint auch in der aktuellen Ausgabe.
   
 
   
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Beschäftigt – oder aufbewahrt Kitas sollen alle Kinder fördern. Dafür müssen sie aber gut sein. Und das ist das Problem. Besuch in zwei Frankfurter Einrichtungen Die Sorgen junger Europäer Eine Studie zeigt: Jugendliche in Europa beunruhigt die Kluft zwischen Arm und Reich

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Fußnote
 
 
   
   
 
   
Vor einer kleinen Ewigkeit las ich im Deutsch-Leistungskurs einen dunklen Bildungsroman: Peter Høegs „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“. Anlässlich einer Kopenhagen-Reise habe ich nun gerade einen weiteren Roman des dänischen Autors gelesen: „Der Susan-Effekt“. Ein Thriller, in dem eine blitzgescheite Physikerin dem Komplott einer wissenschaftlichen „Zukunftskommission“ auf der Spur ist. Bisschen überkonstruiert der Plot, bisschen unterkomplex die Figuren, mitreißend aber der Schneid der Protagonistin. Gute Urlaubslektüre für alle Fans von Wissenschaftsromanen!
Anna-Lena Scholz
   
 
   
 
 
   
Eine Sonnenwoche wünscht Ihnen

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