Eine Brücke zum Neuen
Die Europa-Universität, die wir wollen, ist ein Ort der Begegnung mit dem Anderen und des konstruktiven Umgehens mit Differenz. Sie liegt an der Grenze zwischen Staaten und politischen Kulturen und erlaubt es, die Vielfalt Europas mit ihren Chancen und Herausforderungen konkret zu erleben. Sie ist da, wo es der politischen Gestaltung und des gesellschaftlichen Engagements bedarf. Es ist eine Universität, die zum Mitmachen einlädt, die Brücken zum Neuen schlägt und die Studierenden dabei hilft, diese Brücken zu begehen. Grenzüberschreitende studentische Aktivitäten sind ein selbstverständlicher Bestandteil ihres universitären Lebens. Eine wirkliche Europa-Universität behauptet Europa nicht nur, sondern bildet es in ihrer Organisationsstruktur und Rechtsform ab. Sie schafft einen eigenen europäischen Lehr- und Forschungsraum. Nicht Kooperation zwischen einzelnen nationalen Räumen, sondern Integration mit dem Ziel eines eigenständigen Dritten ist das Ziel. Studierende erwerben europäische Abschlüsse und werden von Lehrenden unterrichtet, die nach europäischem Recht angestellt sind. Die europäische Universität, die wir wollen, ist interdisziplinär, multilingual und transferorientiert. Sie führt die Idee akademischen Forschen und Lehrens aus ihrem Elfenbeinturm heraus und erfindet sie neu als Ort des Lösens komplexer Probleme. Sie bindet außeruniversitäre Institutionen in dem Bemühen ein, einen Beitrag zu einem besseren Europa zu leisten. Studieren und Forschen werden als theoretisch anspruchsvolle und gleichzeitig praktisch relevante Bestandteile gesellschaftlichen Engagements verstanden. Die Europa-Universität, die wir wollen, ist eine Universität für die es sich zu kämpfen lohnt.
Prof. Dr. Stephan Kudert, Präsident Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Eine Universität für globale Herausforderungen
Die Europäische Universität muss – Trumpismus und Brexit zum Trotz – pan-europäisch, transatlantisch und, ja, global sein, in ihren Netzwerken, ihrem Selbstverständnis und ihrem Innovationsdrang. Denn die Herausforderungen, deren Erforschung und Lösung sie sich verschriebe, vom Klimawandel über Technologiechancen bis zu Migrationsdynamiken, sind weder nur auf Europa beschränkt, noch als solche zu lösen. Worum es geht ist die effektive Ausbildung von interdiziplinären, ethisch-motivierten Problemlösern, und um Forschung und Lehre als Teil von lebenslangen Lern- und Innovationsyzklen. Die Europäische Universität muss dafür notfalls auch etablierte akademische Rituale und Parallelwelten verlassen, und sich auf eine offene Suche nach zukunftsgerichteten Forschungs- und Lehrformen begeben. In Nordamerika, Großbritannien, und zunehmend auch Asien forscht und lehrt man beispielsweise zu Earth Sciences, Public Policy oder Network Sciences, man startet vom konkreten Problem aus, und Berührungsprobleme mit der „realen Welt“ kennt man daher auch nicht. Kepler, Kopernikus und Kant haben es vorgemacht: Europa hat eine lange Tradition, fundamentale Fragen radikal neu zu denken. Und Europa hat eines zu bieten, das vor allem aufstrebende Wirtschaftsmächte in Asien nicht selbstverständlich im Portfolio haben: die Wissenschaftsfreiheit. Inmitten der rapiden Veränderung der Wissensgesellschaft, die auf neuerliche Skepsis gegenüber Wissenschaft und Demokratie trifft, kann die Europäische Universität daher auch weltweite Strahlkraft im Sinne einer „Aufklärung 2.0“ entfalten. Eine Europäische Universität zur Erforschung und Lösung globaler Herausforderungen birgt daher nicht nur die Chance, einen wichtigen intellektuellen Impuls für die notwendige Erneuerung der europäischen Universitätslandschaft zu geben. Sie setzt auch ein Zeichen gegen den Zeitgeist und wird sich auf genuin europäische Stärken rückbesinnen.
Prof. Dr. Andreas Goldthau lehrt Internationale Beziehungen am Royal Holloway College der Universität London und ist Associate am Harvard Belfer Center for Science and International Affairs
Prof. Dr. Joachim Koops ist Dekan des Vesalius College of Global Affairs in Brüssel und Direktor des Global Governance Institutes (GGI)