Europäische Universitäten in der Debatte | US-Sanktionen offenbaren wunden Punkt der Wissenschaft | Uni Köln verbietet Thor-Steinar-Shirts | Biohacking bis zum Exitus?

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
Europa ist gefordert wie selten. Das Ringen ums Atomabkommen und die US-Sanktionen gegen den Iran betreffen alle – auch die Wissenschaft. An der ETH Zürich zeigt sich gerade beispielhaft, wie weit der Arm von Donald Trump reicht. Bei der Bologna-Ministerkonferenz in gut einer Woche wird also viel zu besprechen und zu bedenken sein. Im Bologna-Spezial der aktuellen ZEIT gibt es einen aktuellen Überblick zur Reform, die bis heute die Hochschulen entzweit. Neues gibt es auch in der Debatte um Europäische Universitäten (ZEIT). Immer noch erreichen uns Beiträge mit interessanten Anregungen. Zwei Gastkommentare finden Sie in diesem CHANCEN Brief, einen von Stephan Kudert, und einen von Andreas Goldthau und Joachim Koops.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
US-Sanktionen offenbaren wunden Punkt der Wissenschaft
Mitgehangen, mitgefangen. Gut eine Woche nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran lässt sich am Beispiel der ETH Zürich erahnen, welchen Flurschaden politische Sanktionen an Hochschulen und Wissenschaft auch in Deutschland verursachen. Wie viele andere Unis pflegt die ETH  strategische Partnerschaften mit der Wirtschaft. Mit dem US-Konzern IBM betreibt sie seit 2011 ein gemeinsames Forschungszentrum in Rüschlikon für Nanotechnologie. Das ist bekannt. Jetzt legen Recherchen der NZZ am Sonntag offen, dass das mit IBM-Geldern finanzierte Labor für Wissenschaftler aus dem Iran gesperrt ist. Die Restriktionen gelten nach NZZ-Informationen auch für Forscher aus Nordkorea, Kuba, Sudan und Syrien – Staaten also, für die Exportkontroll- und Embargogesetze der USA gelten. An diese muss sich IBM als US-Konzern halten. Entsprechend restriktiv fallen die Zugangsrechte zu den Hightech-Laboren aus. Forschungsfreiheit sieht anders aus.
  
 
 
Uni Köln verbietet Thor Steinar-Shirts
Bei Rechtsextremen ist sie so beliebt, dass sie als Erkennungszeichen gilt: Kleidung der Marke Thor Steinar & Co sei ein „identitätsstiftender Code“, meinen Verfassungsschützer. Kommt das Tragen von Shirts dieser Marke einem Verstoß gegen das Neutralitätsgesetz auf dem Campus gleich? Die Universität Köln hat diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet (Welt, Deutschlandfunk) und folgte damit der Kritik des AStA. Er hatte das Rektorat alarmiert, nachdem einige Bauarbeiter an der Uni in Thor Steinar-Shirts gesichtet worden waren. Ein Aufreger in den sozialen Netzwerken, der auf Anraten der Polizei zum zeitweisen Abschalten der AStA-Webseite führte. Sie ist jetzt wieder aktiv und erreichbar, die Bauarbeiter ebenfalls – nur eben in anderen Klamotten.
  
 
 
Biohacking bis zum Exitus
Video-Anleitungen, Wochenendseminare, Shops fürs Zubehör. Seit der Entdeckung der der Genschere Crispr boomt die Synthetische Biologie, besser gesagt das sogenannte Biohacking. Und das mittlerweile in einem Ausmaß, das die etablierte Wissenschaft und die Politik in Alarmbereitschaft versetzen sollte. “There are really only two things that could wipe 30 million people off of the planet: a nuclear weapon, or a biological one,” erklärte Gesundheitsexperte Lawrence O. Gostin diese Woche (New York Times). Gelten an staatlich finanzierten Forschungsinstituten gesetzliche Sicherheitsvorschriften und Ethikregeln, können Biohacker in jeder Garage ungehindert werkeln. Besonders brisant: Die Materialen sind so einfach in der Anwendung wie günstig. Umgerechnet keine 140 Euro kostet ein Do-it-yourself-Gen-Editing-Kit im Internet, was Biohacking zu einem attraktiven Geschäftsfeld macht. Dominiert wird dieser von Stars der Biohacker-Szene wie Josiah Zayner (NZZ) oder Aaron Traywick. Traywick wurde mit einer Eigeninjektion einer Herpes-Therapie bekannt und im April tot aufgefunden. Nach Recherchen von Technology Review hatte er eine Crispr-Therapie gegen Lungenkrebs vorbereitet.
  
   
 
 
   
   
   
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Julia von Blumenthal wird Unipräsidentin
Die Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder hat die Nachfolgefrage in der Präsidentschaft besonders elegant gelöst. Mit der Politikwissenschaftlerin Julia von Blumenthal wählte die Uni eine Präsidentin, die schon weit vor ihrem Amtsantritt im Oktober für Furore sorgt. Von Blumenthal ist Nachfahrin von Georg von Blumenthal. Für Einsteiger im Frankfurter Ahnenwesen: Das ist Mann, der die Uni vor 500 Jahren leitete (Märkische Oderzeitung). Julia von Blumenthal übernimmt das Amt im kommenden Oktober von Stephan Kudert (siehe Gastkommentar).
 
Karl Lauterbach leitet die Kommission „Gesundheitsstadt Berlin 2030“
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach wird Vorsitzender der Expertenkommission „Gesundheitsstadt Berlin 2030“. Das ingesamt elfköpfige Gremium hat Berlins Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) gestern berufen. Die Kommission soll Vorschläge mit dem Ziel erarbeiten, die Bundeshauptstadt bis 2030 zur „europäischen Top-Adresse“ in der medizinischen Forschung machen.
 
BTU Cottbus sucht Bibliotheksleitung
Übersehen Sie dieses Angebot bloß nicht: Für ihre Universitätsbibliothek sucht die BTU Cottbus eine neue Leiterin oder Leiter. Weitere Informationen mit Link zur ausführlichen Stellenausschreibung finden Sie im ZEIT-Stellenmarkt.
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentare
 
 
   
von Stephan Kudert (1) sowie von Andreas Goldthau und Joachim Koops (2)
   
 
   
Eine Brücke zum Neuen
Die Europa-Universität, die wir wollen, ist ein Ort der Begegnung mit dem Anderen und des konstruktiven Umgehens mit Differenz. Sie liegt an der Grenze zwischen Staaten und politischen Kulturen und erlaubt es, die Vielfalt Europas mit ihren Chancen und Herausforderungen konkret zu erleben. Sie ist da, wo es der politischen Gestaltung und des gesellschaftlichen Engagements bedarf. Es ist eine Universität, die zum Mitmachen einlädt, die Brücken zum Neuen schlägt und die Studierenden dabei hilft, diese Brücken zu begehen. Grenzüberschreitende studentische Aktivitäten sind ein selbstverständlicher Bestandteil ihres universitären Lebens. Eine wirkliche Europa-Universität behauptet Europa nicht nur, sondern bildet es in ihrer Organisationsstruktur und Rechtsform ab. Sie schafft einen eigenen europäischen Lehr- und Forschungsraum. Nicht Kooperation zwischen einzelnen nationalen Räumen, sondern Integration mit dem Ziel eines eigenständigen Dritten ist das Ziel. Studierende erwerben europäische Abschlüsse und werden von Lehrenden unterrichtet, die nach europäischem Recht angestellt sind. Die europäische Universität, die wir wollen, ist interdisziplinär, multilingual und transferorientiert. Sie führt die Idee akademischen Forschen und Lehrens aus ihrem Elfenbeinturm heraus und erfindet sie neu als Ort des Lösens komplexer Probleme. Sie bindet außeruniversitäre Institutionen in dem Bemühen ein, einen Beitrag zu einem besseren Europa zu leisten. Studieren und Forschen werden als theoretisch anspruchsvolle und gleichzeitig praktisch relevante Bestandteile gesellschaftlichen Engagements verstanden. Die Europa-Universität, die wir wollen, ist eine Universität für die es sich zu kämpfen lohnt.​
 
Prof. Dr. Stephan Kudert, Präsident Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
 
Eine Universität für globale Herausforderungen
Die Europäische Universität muss – Trumpismus und Brexit zum Trotz – pan-europäisch, transatlantisch und, ja, global sein, in ihren Netzwerken, ihrem Selbstverständnis und ihrem Innovationsdrang. Denn die Herausforderungen, deren Erforschung und Lösung sie sich verschriebe, vom Klimawandel über Technologiechancen bis zu Migrationsdynamiken, sind weder nur auf Europa beschränkt, noch als solche zu lösen. Worum es geht ist die effektive Ausbildung von interdiziplinären, ethisch-motivierten Problemlösern, und um Forschung und Lehre als Teil von lebenslangen Lern- und Innovationsyzklen. Die Europäische Universität muss dafür notfalls auch etablierte akademische Rituale und Parallelwelten verlassen, und sich auf eine offene Suche nach zukunftsgerichteten Forschungs- und Lehrformen begeben. In Nordamerika, Großbritannien, und zunehmend auch Asien forscht und lehrt man beispielsweise zu Earth Sciences, Public Policy oder Network Sciences, man startet vom konkreten Problem aus, und Berührungsprobleme mit der „realen Welt“ kennt man daher auch nicht. Kepler, Kopernikus und Kant haben es vorgemacht: Europa hat eine lange Tradition, fundamentale Fragen radikal neu zu denken. Und Europa hat eines zu bieten, das vor allem aufstrebende Wirtschaftsmächte in Asien nicht selbstverständlich im Portfolio haben: die Wissenschaftsfreiheit. Inmitten der rapiden Veränderung der Wissensgesellschaft, die auf neuerliche Skepsis gegenüber Wissenschaft und Demokratie trifft, kann die Europäische Universität daher auch weltweite Strahlkraft im Sinne einer „Aufklärung 2.0“ entfalten. Eine Europäische Universität zur Erforschung und Lösung globaler Herausforderungen birgt daher nicht nur die Chance, einen wichtigen intellektuellen Impuls für die notwendige Erneuerung der europäischen Universitätslandschaft zu geben. Sie setzt auch ein Zeichen gegen den Zeitgeist und wird sich auf genuin europäische Stärken rückbesinnen.
 
Prof. Dr. Andreas Goldthau lehrt Internationale Beziehungen am Royal Holloway College der Universität London und ist Associate am Harvard Belfer Center for Science and International Affairs
 
Prof. Dr. Joachim Koops ist Dekan des Vesalius College of Global Affairs in Brüssel und Direktor des Global Governance Institutes (GGI)
   
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
I love Bologna  Dieser Tage wird die Bologna-Reform 20 Jahre alt. »Bulimie-Lernen« und »Schmalspur-Studium«, schimpfen die Kritiker. Wie provinziell! In Wahrheit ist die Reform ein großes Glück
 
Zwei Welten Warum Bildungsreformen in Deutschland so oft scheitern: Sieben Erklärungen von Thomas Kerstan  Ach, ach, oh weh! Über die Bologna-Reform ereifern sich Kritiker bis heute. Ein kleines Glossar der Untergangs-Rhetorik Der schnelle Weg In den Naturwissenschaften ist der Masterabschluss der Standard. Drei Bachelorabsolventen, die es anders gemacht haben, erzählen von ihrem Berufseinstieg »Der Wahnsinn« Die Martinschule in Greifswald hat keine Angst vor Inklusion. Hier hat die Hälfte der Schüler ein Handicap

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Fußnote
 
 
   
 
   
Schon mal was von Quizlet gehört? Die digitale Lerntool-App ist weltweit bei Schülern mindestens so beliebt wie bei Studierenden. Jeder kann dort Sets mit Lernkarten erstellen und Spiele daraus entwickeln. Vom einfachen Dreisatz übers Uni-Glossar für Erstsemester bis hin zu Luhmanns Systemtheorie – mit Quizlet ist Lernen superleicht und Schummeln ein echtes Kinderspiel. Letzteres fanden Professoren der Universität Texas diese Woche tatsächlich mit großem Entsetzen heraus (InsideHigherEd, CBS News). Ach, Amerika!
Christine Prußky
   
 
   
 
 
   
Wir gehen an Pfingsten spielen. Bis nächsten Donnerstag!

Ihr CHANCEN-Team


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